Die Bürgermeister Mykhailo Tsykhuliak (links) und Martin Aßmuth 2022 bei der Unterzeichnung des Freundschaftsvertrags. Die Hofstetter bangen um ihre Freunde in Trostjanez. Foto: GeitlingerKleinberger/Kleinberger

Seit einem Jahr tobt der Krieg in der Ukraine. Hofstetten ist der einzige Ort in der Ortenau, die freundschaftliche Beziehungen zu einer Gemeinde dort pflegt. Wie es den Freunden in Trostjanez geht, berichtet Bürgermeister Martin Aßmuth.

„Ich bin im täglichen Kontakt mit meinem Amtskollegen Mykhailo Tsychuliak“, berichtet Bürgermeister Martin Aßmuth im Gespräch mit unserer Redaktion. Auch von anderen Verwaltungsangestellten aus Trostjanez, einer Flächengemeinde in der Nähe von Lviv in der Ostukraine, höre er mehrfach in der Woche.

Als Vladimir Putins Armee vor einem Jahr in die Ukraine einmarschierte, war das Entsetzen groß. Auch wenn Trostjanez nicht an der Frontlinie liegt, ist die Gemeinde oft von landesweiten Flugalarmen betroffen. Auch Lviv ist inzwischen unter Raketenbeschuss geraten. Jeder in der Gemeinde kennt jemanden, der in der Armee – oder gefallen – ist. So verlor Tsychuliak im vergangenen Jahr seinen Schwager. Er fiel bei Bachmut, berichtet Aßmuth. Der Kontakt zu seinem ukrainischen Kollegen sei inzwischen sehr persönlich und freundschaftlich. „Er ist mir zu einem Bruder geworden“, sagt Hofstettens Bürgermeister. „Wir verstehen uns über die Dienstgeschäfte hinaus.“

Beispiellose Hilfswelle aus dem Kinzigtal

Als der Krieg vor einem Jahr begann, formierte sich im Kinzigtal in Windeseile eine beispiellose Hilfswelle, angetrieben von der Gemeinde Hofstetten und der Ukraine-Hilfe. Für einen ersten Hilfstransport brachten damals zahllose Bürger aus dem Umland Hilfsgüter in den Bauhof, wo Freiwillige sie stundenlang durchsortierten und für den Transport vorbereiteten. „Es ist eine andere Art der Verbindung, weil wir die betroffenen Menschen vor Ort kennen“, weiß Aßmuth: „Es ist eine andere Situation, als die Waren einfach in ein Zentrallager zu schicken.“ Wohl auch, weil er selbst im vergangenen Jahr drei der Transporte begleitete, um die Güter selbst an der polnisch-ukrainischen Grenze zu übergeben.

Eine weitere Lieferung ist bereits in Planung. Im März, wenn der Krankentransportwagen, den Hofstetten mit Mitteln aus dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung beschafft hat, Richtung Ukraine transportiert wird, ist Aßmuth wieder dabei. Der Wagen kommt aus Gibraltar, wird in Hofstetten mit Medikamenten und weiteren Hilfsgütern beladen und dann direkt nach Trostjanez überführt. Für Aßmuth ist es das erste Mal zurück in der Ukraine seit der Krieg ausbrach. „Natürlich müssen wir aber sehen, wie die Lage sich entwickelt“, schränkt er ein.

Wichtig sei, dass in Trostjanez genau das ankomme, was aktuell gebraucht werde. Tsychuliaks Vater sei Pfarrer in der Gemeinde – und könne so abschätzen, wo welche Hilfe notwendig sei. Er benenne konkret, welche Hilfsgüter wohin weiterverteilt würden. So befindet der Sprinter, der im August – zur mobilen Arztpraxis umgebaut – nach Trostjanez gebracht wurde, sich derzeit in der Ostukraine. „Für mich war von Anfang an klar, dass die Hilfe dort ankommen muss, wo sie gebraucht wird“, macht Aßmuth deutlich. Neben diesem Sprinter und einem Feuerwehr-Transportwagen ist über Hofstetten auch ein Bus mit einem Hubsystem für Rollstuhlfahrer nach Trostjanez gegangen. Dazu kommen zahllose Hilfsgüter, ab Oktober und November außerdem Stromgeneratoren und Heizgeräte.

„Die Stimmung vor Ort ist wirklich schlecht“, fasst Aßmuth zusammen. Das sei aus seiner Sicht noch bis etwa September oder Oktober des vergangenen Jahres noch anders gewesen. Nach der ukrainischen Offensive habe man damals auf einen baldigen Sieg gehofft. „Doch jetzt ist Winter und es hat sich nichts Wesentliches getan“, fasst Aßmuth die bei seinen Freunden spürbare Resignation zusammen. Ungebrochen sei jedoch der Wille, Russland aus der Ukraine zurückzutreiben.

Dass der Krieg sich wesentlich im Osten abspielt, schmälert das Leid auch in Trostjanez nicht. Die kritische Infrastruktur – Strom, Wasser, Abwasser – sei so massiv zerstört, dass Jeder unter großen Einschränkungen zu leiden habe. „Das macht auch etwas mit der Psyche“, sagt Aßmuth. Und selbst in Trostjanez müssten die Menschen derzeit 15 bis 16 Stunden täglich ohne Strom auskommen.

Neben den Schäden an der Infrastruktur steht Trostjanez auch vor anderen, unmittelbar durch den Krieg bedingten, Herausforderungen. Ab März erwartet die Gemeinde wieder eine große Anzahl Binnenvertriebener, die sie irgendwie unterbringen muss. „Niemand weiß, wohin mit ihnen“, berichtet Aßmuth. „Das ist eine riesige Herausforderung.“ Außerdem wurde vor Ort im Sommer eine Traumaklinik eingerichtet, in der vornehmlich psychosomatische Fälle behandelt werden. Ein Heim für Kriegswaisen beherbergt derzeit 20 Kinder.

Hoffnungsschimmer für Kriegswaisen

Diesen Kindern wurde dank einiger Spenden von Hofstetter Bürgern „ein wenig Normalität geschenkt“, so Aßmuth. Über die orthodoxen Feiertage feierten sie auf einem Hof Weihnachten und bekamen auch Geschenke – ein kleiner Hoffnungsschimmer in schlimmen Zeiten.

Und auch ein Jahr nach Kriegsbeginn ist der Unterstützungswille in Hofstetten und der Region ungebrochen. Aßmuth berichtet von zahlreichen Projekten wie der Unterstützung von Kriegswaisen, Anschaffung weiterer Stromgeneratoren oder der Akquise von Fördermitteln für ambitionierte Ideen wie eine Photovoltaikanlage mit Energiespeicher. Aus einem Bundesprogramm hat er bereits die Förderzusage für Sachmittel in sechsstelliger Höhe, bei der es um die Anschaffung von Bauhofgeräten mit dem Schwerpunkt Wiederaufbau geht. Denn die Kommunen in der Ukraine unterliegen einer Haushaltssperre und können selbst keine Gelder für diese wichtigen Geräte ausgeben. Im Grunde sei es dort aktuell nur möglich, Geld für Medizin oder Energie auszugeben, so Aßmuth.

„Ich fühle mich nach wie vor auch persönlich betroffen“, verdeutlicht Aßmuth am Ende. „So lange unsere Unterstützung benötigt wird, werden wir diese leisten.“

Freundschaftsvertrag

Unterzeichnung 2022:
 Hofstetten ist die erste Gemeinde im Ortenaukreis, die einen Freundschaftsvertrag mit einem Partner in der Ukraine unterzeichnet hat. Im Juli vergangenen Jahres waren Martin Aßmuths ukrainischer Kollege Mykhailo Tsykhuliak und Serhii Chernov, Präsident der Gemeindeverbände der Ukraine, eigens nach Hofstetten gekommen.

Erste Kontakte 2019:
 Über einen Kontakt zur Servicestelle des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung war die Idee entstanden, einen Austausch mit einer Partnergemeinde einzugehen. 2019 hatte eine Abordnung aus Hofstetten die Gemeinde im Westen der Ukraine besucht und erste Bande geknüpft. Während der Corona-Pandemie und des Kriegs wurde der Kontakt über das Internet gehalten.