Maria Künstle, scheidende Kindergartenleiterin, im neuen Ruheraum des Kindergarten St. Josef: Laut des Orientierungsplans von Baden-Württemberg muss die Pädagogik offen sein und Räume für die Kleinen schaffen, in denen sie sich aufhalten können. Foto: Steitz

Kindergartenleiterin Maria Künstle geht am Donnerstag in den Ruhestand

Oberwolfach. Die Leiterin des Oberwolfacher Kindergartens St. Josef, Maria Künstle (61), wird am morgigen Donnerstag ab 17.30 Uhr in der Pfarrkirche St. Bartholomäus verabschiedet. Sie geht auf eigenen Wunsch in den Ruhestand. Im Interview mit dem Schwarzwälder Boten blickt sie auf ihre beruflichen Jahre zurück und in die Zukunft.

Haben Sie denn Ihre persönlichen Ziele in 25 Jahren im Oberwolfacher Kindergarten erreicht?

Ja, das habe ich. Ich habe 1992 beim Kindergarten St. Martin in Oberwolfach angefangen. Und was mir immer wichtig war, dass wir uns an den Bedürfnissen von den Familien orientiert haben. Damals war es so, dass die Einrichtungen morgens um 8 Uhr geöffnet, mittags um zwölf geschlossen und von 13 Uhr bis 16 Uhr wieder betreut hatten. Da hätten die Frauen bei uns in der Region nicht groß zum Arbeiten gehen können. Das habe ich also selber erlebt und gesagt: "So kann es ja nicht sein."

Was haben Sie dagegen unternommen?

Wir haben vor zehn Jahren schon damit angefangen, eine verlängerte Öffnungszeit einzuführen und haben noch die Regelkinder gehabt. Von daher hatten wir schon von 7.30 Uhr bis 16.30 Uhr durchgehend geöffnet. Wir haben auch vor zehn Jahren mit der Schulkindbetreuung angefangen. Damals merkten wir, dass die Eltern eine Einrichtung brauchen, wo ihre Kinder im Grundschulalter nachmittags betreut werden. Außerdem begannen wir damit das Mittagessen anzubieten und das war natürlich für die Familien von Vorteil.

Warum?

In der heutigen Zeit möchten wir Frauen einfach arbeiten, weil es uns gut tut. Und es tut nicht nur uns gut, sondern auch der Familie. Wir müssen es auch manchmal wegen des Geldes heutzutage machen. Wir haben damals mit zwei Kindern im Schulalter angefangen und sind jetzt bei 18 bis 20 Kindern.

Die Nachfrage ist also da.

Ja. Und was dazu gekommen ist, war der Orientierungsplan von Baden-Württemberg. Wir haben gemerkt, dass die Rahmenbedingungen nicht funktionieren. Als dann die zweite Auflage des bearbeiteten Orientierungsplans gekommen ist, haben wir gemerkt, man muss Pädagogik verändern und eine offene Kindergartenarbeit einführen. Offen heißt, man arbeitet mit Bezugserzieherinnen, Stammgruppen, die Kinder dürfen sich in allen Räumen aufhalten, man schafft Bereiche für sie.

Sie haben damals festgestellt, dass das Betreuungsangebot im Wolftal nicht so gut ist. Was war das für eine Zeit und warum empfanden Sie es als notwendig, etwas zu verändern?

Das war einfach eine Zeit, wo ich gemerkt habe, ich habe gar keine Chance, irgendwo hinzugehen und zu arbeiten. So ab 1984 aufwärts. Da hatten die Kindergärten von 8 bis 11.30 Uhr und wieder von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Und ich muss sagen, bei uns in der Region ist es einfach so, wir haben lange Anfahrtswege und viele Seitentäler. Oder selbst, wenn Sie als Lehrer arbeiten, haben Sie auch nachmittags Konferenzen. Wo gehen Sie dann hin, mit Ihrem Kind?

Sie wollten damals in den Erzieherberuf zurückkehren und dies war schwierig, weil Sie selbst Mutter waren?

Ja.

Sind Sie erst berufstätig gewesen, als Ihre Tochter bereits 18 Jahre alt war?

Nein, ich bin schon vorher wieder zurückgekehrt.

Aber Sie hätten es sich früher gewünscht?

Ja, genau. Ich bin als Teilzeitkraft wieder zurückgekehrt. 2000 habe ich dann die Leitung im ehemaligen Kindergarten St. Martin in Oberwolfach übernommen und bin ich dann den ganzen Tag wieder eingestiegen, da war meine Tochter dann 18 Jahre alt. Ich denke, jede Frau kann das sicherlich nachempfinden, wie das heutzutage ist. Da hat sich die Gesellschaft gewandelt.

Wie hat sich denn das Sozialverhalten der Kinder im Vergleich zu früher verändert?

Die Kinder brauchen kompetente, gut ausgebildete Ansprechpartner. Aber nicht nur sie, sondern auch die Familien, brauchen das. Heute ist 40 Prozent der Erzieherinnenarbeit auch Elternarbeit.

Wie war das damals?

Als ich in den 70er-Jahren angefangen habe, wissen Sie, da wurde eben höchstens einmal im Jahr ein Elternabend gemacht, Elterngespräche genauso, die Großfamilie war noch überall da. Kooperationspartner haben wir damals keine gehabt.

Das hat sich nun alles professionalisiert...

Ja, genau. Der Orientierungsplan schreibt auch vor, die Kinder zu beobachten und zu dokumentieren, das gehört heute alles zur Elternarbeit dazu. Das waren früher Fremdworte in der Erziehung.

Was dokumentiert heute ein Erzieher im St.-Josef-Kindergarten?

Eigentlich die Entwicklung vom Kind: Wo hat es seine Stärken? Vor jedem Elterngespräch wird die Dokumentation in die Kindbesprechung gebracht und dann schauen alle Erzieherinnen noch mal drüber, was Ihnen aufgefallen ist. Dann wird ein Portfolio von jedem angelegt, worin sich die ganze Entwicklung des Kindes befindet. Die Erzieher schreiben auch Briefe, was sie am Kind diese Woche toll gefunden haben.

Wie fällt das Feedback der Eltern aus?

Das Feedback ist gut. Und ich muss sagen, wenn ich Elterngespräche von früher mit heute vergleiche, ist da jetzt einfach eine Qualität dahinter. Und diese Qualität war mir die ganzen Jahre über schon wichtig, seitdem ich mit dem Beruf angefangen habe.

Dass Sie mit der Entwicklung der Kinder vorankommen?

Ja, genau. Was sich auch gewandelt hat: Früher haben Sie sich mit Kindern in den Stuhlkreis gesetzt und eine Geschichte vorgelesen oder ein Lied gesungen. Man hat sich dann gewundert, dass die Kinder ein paar Tage später nicht mehr wussten, welche Geschichte oder welches Lied das war. Daher lernen sie nun in Projekten, weil man weiß, wenn ein Kind sich dazu anmeldet, dann ist es an diesem Thema interessiert und dann weiß es, was es dabei gelernt hat, auch noch in zehn Jahren. Und das ist genau das, was die Industrie sagt, dass sie solche jungen Auszubildenden braucht, die in Projekten arbeiten können, weil hinterher das Ergebnis nicht das eines Einzelnen, sondern der Projektgruppe, ist. Und ich sage auch immer: Das Ergebnis im Kindergarten, wie die Einrichtung heute dasteht, ist nicht das Ergebnis der Leitung, sondern wie ich geleitet habe und vor allem, was dabei am Ende gekommen ist.

Es war sicherlich anfangs schwierig, sich nach der Fusion als Leiterin des neuen Kindergartens St. Josef zu etablieren. Die Oberwolfacher aus dem Ortsteil Kirche waren erst einmal nicht begeistert, dass ihre Einrichtung wegfiel. Wie haben Sie das hingekriegt?

Es war ganz viel Eltern- und Öffentlichkeitsarbeit nötig, ein ganz gutes Konzept musste dringend her. Ich denke, selbst dieses Busheft, das wir dann eingeführt haben, das war eine ganz tolle Sache. Ja, die Kommunikation hat gestimmt. Heute fahren die Kinder gern Bus und die Eltern sind zufrieden, so wie es ist. Wenn ich daran denke, was wir jetzt alles gemacht haben: das Projekt Prävention Ortenau, den Umweltpreis erreicht, wir haben das Bundesprogramm KitaPlus eingeführt und öffnen nun von sechs bis 18 Uhr. Wir machen auch laufend Elternumfragen.

Der Kindergarten war Ihr Herzensprojekt, Sie haben sehr viel Ideen und Mühe hineingesteckt...

Ja, sehr viel Freizeit. Das können Sie in 39 Stunden pro Woche nicht erreichen.

Woher kam der Antrieb, dass Sie mehr in die Einrichtung investiert haben, als Sie mussten?

Mein Mann hat das immer unterstützt. Er ist zum 1. März in den Ruhestand gegangen, er hat auch sehr viel in der Branche des Maschinenbaus gearbeitet und wir sind uns gegenseitig, was den Beruf betrifft, nie im Weg gestanden. Wir haben immer Rücksicht aufeinander genommen. Er war beruflich auch sehr spät unterwegs. Das war für uns nie ein Thema, im Gegenteil, wir haben uns immer unterstützt.

Warum waren Sie so motiviert?

Vielleicht, weil ich aus Oberwolfach komme. Ich wohne in Wolfach, aber mein Herz hängt an beiden Orten. Ich wollte Oberwolfach immer unterstützen. Und ich glaube, wir haben den Ort weiter gebracht. Der Kindergarten gehört auch zur Infrastruktur eines Dorfs. Mir war wichtig, dass die Kinder mitbekommen, was dort gerade passiert. Ich bin auch stolz, dass – egal welches Geschäft, welcher Bürgermeister, welcher Gemeinderat – ich immer offene Türen gehabt habe und ich meistens mehr bekommen habe, als ich erhoffte. Auch die politische Gemeinde hat unser Konzept mitgetragen, sonst würden wir heute nicht so gut da stehen.

Haben Sie schon erlebt, dass Wolfacher Eltern ihre Kinder lieber in Ihre Einrichtung in Oberwolfach geben wollten, weil sie zum Beispiel die längeren Öffnungszeiten besser fanden?

Das ist schwer, was dazu zu sagen. Wir haben viele auswärtige Kinder, von Bad Rippoldsau bis Hausach.

Hätten Sie anfangs gedacht, dass sich diese Beliebtheit des Kindergartenstandorts einmal ins Gegenteil verkehrt?

Nein, ich habe das nicht gedacht. Aber ich habe einfach daran gearbeitet, wollte immer wissen, was brauchen die Familien und habe das Konzept stetig weiterentwickelt. Ich habe zum Beispiel mit der Firma Vega zusammengearbeitet und es wurde dadurch ein technik-freundlicher Kindergarten. Wir haben die ganzen Projekte wie Nutzgarten und Energiewerkstatt auf die Füße gestellt. Ich habe immer geschaut, was läuft kommunalpolitisch und wie können wir uns da einbringen, und darauf geachtet, dass es keine Eintagsfliege bleibt.

Sie sind umtriebig: Fallen Sie mit der Rente in ein Motivationsloch?

Nein, das glaube ich nicht (lacht). Mein Mann und ich haben jede Menge Hobbys, die wir gemeinsam und allein ausüben. Wir haben einen eigenen und gemeinsamen Bekanntenkreis. So wie wir uns früher während der berufstätigen Zeit nicht im Weg standen, werden wir uns auch nun nicht in die Quere kommen. Das haben wir so besprochen, bevor er in Rente gegangen ist und wir haben uns jetzt auch ein Wohnmobil gekauft und werden öfters unterwegs sein.

Welche Reiseziele haben Sie denn sich gesetzt?

So vier, acht Wochen unterwegs zu sein. Der Rasen daheim wird dann mal etwas höher sein, aber das ist nicht schlimm. Einfach mal so drauf losfahren mit dem Wohnmobil, das ist das Ziel.

Werden Sie den Kindergarten zwischendurch noch besuchen? Oder hat sich das mit dem Ruhestand dann erledigt?

Nach dem Rechten sehen, werde ich nicht. Ich werde natürlich über die Presse verfolgen, was mit dem Kindergarten läuft. Ich werde auch mal vorbeischauen und "Hallo" sagen, aber dann komme ich auf eine Tasse Kaffee vorbei.

 Die Fragen stellte Melanie Steitz.

INFO

Biografie

1956: in Oberwolfach geboren, 1972: Hauptschulabschluss, 1972-73: Hauswirtschaftsschule Wolfach

 1973-75: Ausbildung zur Kinderpflegerin im Oberlinhaus Freudenstadt, 1975-78: Kinderpflegerin in Hausach

 1978: Heirat mit Hans Künstle

1978-80: Ausbildung zur Erzieherin an der evangelischen Fachschule in Königsfeld, 1980-81: Erzieherin in Hausach

 1981: Geburt von Tochter Yvonne

 1992: Erzieherin in der Kita St. Martin in Oberwolfach

 2012-17: Gesamtleitung des Kindergartens St. Josef in Oberwolfach