Norbert Haug und Michael Schumacher Foto: dapd

Mercedes-Motorsportchef Haug über den enttäuschenden Saisonverlauf und die Verhandlungen mit Schumacher und Ecclestone.

Stuttgart - In Spa fährt Michael Schumacher an diesem Sonntag (14 Uhr) seinen 300. Formel-1-Grand-Prix. Ob der Rekord-Weltmeister über die Saison hinaus im Silberpfeil sitzt, ist weiter offen. „ Wir verzögern nicht im Unverstand. Wir wissen, was wir tun“, sagt Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug.


Herr Haug, Sie haben ein Faible für Rock-Musik. Wie wichtig ist Sound für die Formel 1?
Sound ist ein Teil der Anziehungskraft. Formel 1 zu hören ist so wichtig, wie sie zu sehen. Und das wird auch auf lange Sicht so bleiben. Aber wieso fragen Sie?

Ex-Formel-1-Fahrer Marc Surer prognostiziert, dass Michael Schumacher Ende 2013 aufhören wird, weil danach Turbomotoren eingeführt werden und damit der schrille Formel-1-Sound fehlt.
(Schmunzelt) Deshalb soll er aufhören? Das ist Spekulation. Die Verantwortlichen wissen genau, dass der Sound eine große Rolle spielt. Deshalb wird es den auch nach der Reglementsänderung weiter geben, anders, aber sehr gut.

Fährt Michael Schumacher denn überhaupt bis Ende 2013?
Wir sprechen mit Michael. Solange wir uns nicht gemeinsam festgelegt haben, können wir nicht mehr dazu sagen. Wir sagen immer die Wahrheit, und das und nichts anderes ist die Wahrheit.

In Spa fährt Michael Schumacher sein 300. Rennen – das wäre doch ein schöner Anlass, seinen Vertrag zu verlängern?
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Spa ist etwas ganz Besonderes. Michael fuhr dort sein erstes Rennen, er holte in Spa seinen ersten Sieg, er feierte dort seinen ersten WM-Titel, und im vergangenen Jahr den 20. Jahrestag seines ersten Formel-1-Rennens. Am Samstagabend, zu seinem 300. Grand Prix, wird es ein kleines Treffen geben, das Michael selbst gestaltet.

Wie groß ist Ihr Wunsch, dass er bei Mercedes bleibt?
Wir teilen das mit, sobald die Entscheidung gefallen ist. Klar ist, dass sehr viel von Michael abhängt und er nach zwei Dritteln der Saison mehr über unsere Möglichkeiten wissen wird als jetzt – und umgekehrt ist das genauso. Wir verzögern nicht im Unverstand. Wir wissen, was wir tun.

„Michael hatte viele Ausfälle, die nicht hätten sein sollen“


Der Mythos Schumacher bröckelt, wenn er nicht gewinnt. Welche Rolle spielt der bisher enttäuschende Saisonverlauf bei seiner Entscheidung?
Michael hatte viele Ausfälle, die nicht hätten sein sollen. Er hatte aber auch Höhepunkte wie die Qualifikations-Bestzeit in Monaco und einen Podiumsplatz in Valencia. Wir hatten an seinem Fahrzeug technische Probleme, die müssen wir abstellen und uns steigern.

Warum trafen die technischen Defekte immer Schumacher und nie Nico Rosberg?
Das hatte nichts mit Michael Schumacher zu tun.

War es Zufall?
Nein, es war kein Zufall. Es gab technische Unzulänglichkeiten in dem jeweiligen Moment. Aber das lag nicht an Michaels Fahrstil.

Befürchten Sie nicht, dass der Markt an guten Piloten leer sein könnte, wenn Schumacher zu lange zögert?
Natürlich denken wir alle Eventualitäten durch. Da verrate ich keine Geheimnisse.

Sebastian Vettel gilt als Ihr Wunschkandidat.
Er ist ein sehr guter Fahrer, unser Verhältnis ist von gegenseitigem Respekt geprägt, aber er steht unter Vertrag. Deshalb gibt es nichts zu verhandeln.

Nach gutem Saisonstart geriet Mercedes gegenüber den anderen Teams ins Hintertreffen. Woran liegt das?
Ich glaube nicht, dass wir in der Weiterentwicklung hinterherhinken. Wir haben ein anspruchsvolles und komplexes Auto. Wir sind in der aktuellen Aufstellung erst im dritten Jahr unterwegs, haben in diesem Jahr gewonnen, Pole-Positions und Podiumsplätze geholt. Wir brauchen Zeit, um zu lernen und dies zu stabilisieren.

Ausstieg aus der Formel 1 steht nicht auf dem Programm


War dies in der Sommerpause möglich?
Zwei Wochen Urlaub waren für alle in der Formel 1 vorgeschrieben. Jetzt reisen alle ausgeruht und angriffslustig nach Spa. Und, wie gesagt, völlig klar ist: Wir müssen uns steigern.

Wäre es nicht sinnvoller, sich verstärkt auf die Entwicklung des Autos für 2013 zu konzentrieren, statt 2012 um den Anschluss zu kämpfen?
Wir wollen beides. Viele aktuelle Themen sind auf 2013 übertragbar, da es keine riesengroßen Einschnitte im Reglement geben wird.

Vor dem Saisonstart haben Sie von einem Countdown gesprochen, mit dem Mercedes sich innerhalb von drei Jahren bis zum Titelkandidaten steigern wollte. Nach Platz vier in der Vorsaison liegen Sie auf Rang fünf mit 83 Punkten Rückstand auf Ferrari. Das kann doch nicht Ihr Anspruch sein?
Dass von uns viel erwartet wird, ist eine Auszeichnung. Man kann Erfolg nicht bestellen, nicht kaufen, sondern sich nur hart erarbeiten. Ich bin ungeduldig, aber konstruktiv ungeduldig, und jeder weiß, dass wir ohne Defekte 60 Punkte mehr hätten holen müssen.

Mercedes hat das Concorde-Agreement, das den Konzern bis 2020 an die Formel 1 binden würde, noch nicht unterschrieben. Wie ist der Stand der Dinge?
Wir befinden uns in konstruktiven Gesprächen. Einiges hat sich zum Guten gewendet.

Ist ein Ausstieg aus der Formel 1 ein mögliches Szenario?
Nein, das steht nicht auf dem Programm.

Wird Mercedes an der Formel E, der neuen Rennserie für Elektroautos, ab 2014 teilnehmen?
Nein, wir haben ein breit angelegtes Motorsportprogramm und müssen nicht in jeder neuen Serie Pionier sein.

Sie sind nicht nur Musik-, sondern auch Fußball-Fan. Was gelingt früher: der WM-Gewinn von Mercedes oder der Champions-League-Einzug des VfB Stuttgart?
Beides darf ruhig gleichzeitig passieren. Dann wäre rund um das Werk in Untertürkheim und das Museum richtig was los – und nicht nur da.