Werner Bliß sieht sich in seinem Hausacher Atelier die Werke "seiner" Flüchtlinge an. Foto: Schwannauer

Sechs junge Menschen aus Syrien und dem Irak treffen sich bei einem Hausacher Künstler zum Malen

Hausach. Werner Bliß, pensionierter Lehrer und frei schaffender Künstler aus Hausach, macht seit Oktober bildende Kunst mit jungen Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak. Zu den wöchentlichen Treffen kommen fünf Männer und eine Frau. Der SchwaBo hat sich mit Werner Bliß unterhalten.

Herr Bliß, Sie laden Flüchtlinge zu sich ins Atelier ein, um mit ihnen zu malen. Warum?

Ich versuche, ihnen Boden unter die Füße zu geben, Struktur in ihr Leben zu bringen. Was sie machen, würde möglicherweise nicht so sehr unter "große Kunst" laufen, und doch: Für die jungen Leute ist das eine großartige Sache, weil ich sie über die Bilder zum Sprechen bringe.

Wie funktioniert das?

Das ging mit Spielereien los. Gemeinsam haben wir eine hölzerne Obstkiste mit den Füßen kaputt getreten. Sinnbild für ihr zerstörtes Land. Holzlatten mit Nägeln drin blieben übrig, darauf haben sie Farbe angebracht und damit als Werkzeug Abdrücke auf Papier erstellt. Dabei war mir wichtig, dass Unregelmäßigkeiten akzeptiert werden: Nägel stecken noch im Holz, das grob und voller Spreißel, voller Verletzbarkeit und voller Sprache sein kann.

Und wie sprechen Ihre Gäste darüber?

Manchmal tritt zunächst Stille ein, für Minuten, bis jemand etwas sagt. Dann kann es sein, dass sich jemand öffnet und berichtet, was er auf seinem Bild sieht. Es kann sein, dass jemand ganz gerührt von seiner persönlichen Geschichte ist und dann auch Dinge von sich erzählt, die nicht nur mit den jüngsten Kriegs- und Fluchterfahrungen zu tun haben. Und andere reagieren darauf. Dann entstehen Worte und Dialog.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Einer der jungen Syrer ist als einziger seiner Familie geflohen. Seine Bilder drehen sich fast ausschließlich um familiäre Beziehungen. Er entdeckte, dass er auf seinem letzten Bild, wie er es ausdrückte, zum Fremdkörper wird, aus der familiären Gemeinschaft ausschert. Auf einem anderen Bild scheinen zwei Wege auseinanderzugehen und am anderen Ende wieder zusammenzuführen. Der Urheber erzählt viel von Bedrohungen, die von außen kommen.

Wie verstehen Sie einander?

Zum einen sprechen die jungen Leute inzwischen schon etwas mehr Deutsch, kein Vergleich wie das beispielsweise noch vor einem Vierteljahr war. Außerdem sitzt meistens jemand dabei, der übersetzen kann – zurzeit ist das mein palästinensischer Freund Younis.

Wie kann Kunst Struktur ins Leben bringen?

Indem sie über die gewöhnliche Alltagsstruktur hinausreicht. Die jungen Leute pinseln mit Inbrunst und ohne Hektik und Ängste. Sie haben ja bereits eine gewisse Alltagsstruktur durch Sprachkurs und ihre neue Wohnsituation, die vier Syrer leben gemeinsam in einer Wohngemeinschaft. Sie kannten sich schon aus Damaskus. Die Kunst trägt zu einer Struktur bei, die über all das noch hinausgeht. Nebenbei läuft im Atelier übrigens immer Mozart, das Klarinettenkonzert. Und am Ende dürfen sie hier drin eine Zigarette rauchen.

Welche Rückmeldungen bekommen Sie?

Ganz unterschiedliche. "Bis nächsten Mittwoch" höre ich jedes Mal am Ende. Und dass sie lieber alleine arbeiten als mit einem Partner – denn Partnerarbeit haben wir auch schon ausprobiert. Einer holt immer das Beil und fächert damit erst einmal das Holz auf – so gestaltet er sein individuelles Werkzeug.

Sie haben lange als Lehrer am Haslacher Bildungszentrum unterrichtet, hatten Mathematik und Chemie studiert. Wie kamen Sie zur Kunst und jetzt zur Kunst mit Flüchtlingen?

Zur Kunst kam ich, weil ich das in meinen Anfangsjahren als Lehrer aushilfsweise unterrichten musste. Ich bin dabei geblieben und wüsste nicht, wo ich heute stünde, hätte ich mich nicht der Kunst verschrieben. Die jungen Leute aus Syrien und dem Irak kannte ich aus meiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Sprachlehrer. Sie verbrachten nach ihren ersten Kursen einen zähen Sommer, hingen viel herum, einer klagte, er tue nichts außer rauchen – dann dachte ich: ok, wir starten was.

Wie geht es mit dem Projekt weiter?

Wir haben ohne festes Ziel begonnen, wir wollten einfach mal machen. Unser Plan ist, im Januar in einer kleinen Ausstellung die Werke, die entstanden sind, der Öffentlichkeit zu zeigen. Da fällt mir noch ein, dass Waleed aus dem Irak einmal viel Freiraum auf seinem Bild gelassen hat. Ich habe ihn gefragt, warum, und er meinte: "Die Zukunft ist offen."

 Die Fragen stellte Nicola Schwannauer