Die Caritas-Mitarbeiter Gerhard Schrempp (von links), Victorienne Ouraga und Constanze Blank Foto: Reinhard Foto: Schwarzwälder-Bote

Armut ist auch im Kinzigtal ein Thema / Kinder, geringe Rente und schlechte Ausbildung als Risiko

Nachdem ihr Mann sie verlassen hat, wächst Franziska alles über den Kopf. Sie ist allein mit zwei kleinen Kindern und einem gerade neu gebauten Haus, an dem noch viel gemacht werden muss und das noch lange nicht abbezahlt ist. Sie findet keine Arbeit, die sich mit der Betreuung der Kinder vereinbaren lässt. So schlittert die Mutter schnell in die Schulden, ihr Mann weigert sich, Unterhalt zu zahlen, und die richterliche Durchsetzung dieses Anspruchs zieht sich hin. Noch lange vor Monatsende herrscht sowohl auf dem Konto als auch im Kühlschrank Ebbe. Sie ist plötzlich arm.

Franziska gibt es nicht in Wirklichkeit. Ihre Geschichte steht stellvertretend für all diejenigen, die die Mitarbeiter der Caritas Kinzigtal täglich hören. "Armut gibt es auch hier – trotz angehender Vollbeschäftigung", sagt Constanze Blank vom Caritas Sozialdienst, der diesen Menschen mit Beratungen und praktischer Hilfe zur Seite steht. Normale Familienstrukturen, ausreichend Ärzte, wenige soziale Brennpunkte, gutes Gemeindeleben – eigentlich geht es dem Menschen im Kinzigtal gut.

Eigentlich. "Aber ein paar Menschen fallen durchs Raster und werden arm", so Blank. Als arm gilt in Deutschland, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Das entspricht einem Wert von 979 Euro pro Monat für eine alleinstehende Person. Der häufigste, aber nicht einzige Grund für Armut: Arbeitslosigkeit. Gründe, warum Menschen in eine Arbeitslosigkeit und damit auch oft in die Armut rutschen, gibt es viele. "Mangelnde Ausbildung, gar keine Ausbildung, mangelnde soziale Kompetenz, eine psychische Erkrankung", zählt Blank nur einige Beispiele auf. "Zu uns kommen aber nicht nur Leute, die keinen Job haben", ergänzt sie, "sondern auch solche, die ganztags arbeiten, aber prekär beschäftigt sind oder noch nach dem Mindestlohn entlohnt werden" – Menschen, die nur über die Runden kommen, weil sie vom Amt ergänzende Leistungen erhalten. Aber auch das reicht eben nicht immer, vor allem angesichts der hohen Mietpreise in der Region. "Die häufigste Frage, die wir hören ist ›Kennen Sie eine günstige Wohnung in der Gegend?‹", berichtet Caritas-Mitarbeiter Gerhard Schrempp, der unter anderem in der Schuldner- und Insolvenzberatung tätig ist. Die Lebenshaltungskosten im Kinzigtal sind hoch, so dass am Monatsende bei den meisten nichts mehr übrig bleibt. "Die Menschen können keine Rücklagen bilden und wenn dann unvorhergesehen Ausgaben auftauchen, haben sie ein Problem", so Schrempp.

Teure Klassenfahrt als Problem für Alleinerziehende

Eine kaputte Waschmaschine oder eine teure Klassenfahrt bereiten gerade Familien oder Alleinerziehenden oft Kopfzerbrechen. "Kinder sind ein Armutsrisiko. Leider", fasst Victorienne Ouraga vom Caritas-Sozialdienst zusammen: "Denn Bildung, Schule und Teilhabe am Leben kosten eben Geld" Erschwerend käme hinzu, dass bei vielen Kindern oft ein Einkommen wegfalle, da ein Elternteil ihre Betreuung übernehmen muss.

Im Falle einer Trennung käme es dann oft zum "Klassiker", den die Caritas-Mitarbeiter häufig erleben: "Die Familie hat ein Haus gebaut, das noch nicht abbezahlt ist, der Mann verlässt Frau und Kinder und nimmt die EC-Karte mit", erzählt Constanze Blank. "Wenn der Kühlschrank leer ist, die Kinder Hunger haben und die Mutter nicht mehr weiter weiß, kommt sie dann zu uns." Die Caritas berät, macht Hausbesuche, informiert zu Ansprüchen auf Sozialleistungen und arbeitet mit anderen Beratungsstellen wie beispielsweise den psychiatrischen Fachdienst zusammen, an die die Caritas im Bedarfsfall weiter vermittelt. "Vernetzung ist wichtig", sagt Schrempp.

Im äußersten Notfall gibt es auch Geld aus dem Caritas-Hilfsfond – Schuldenberge werden daraus aber nicht bezahlt. "Wir geben nur kleine finanzielle Hilfen, zum Beispiel 50 Euro, damit die Familie bis zum Monatsende etwas zu essen hat oder zehn Euro für eine Fahrkarte zu einem Facharzt. Wir sind keine Bank", stellen Constanze Blank, Gerhard Schrempp und Victorienne Ouraga klar. Dieser Fond wird nämlich ausschließlich über Spendengelder finanziert, eine Stiftung übernimmt größere Beträge.

Menschen mit Schulden bietet die Caritas eine Schuldnerberatung an. Der Gang zur Caritas fällt den meisten, die Hilfe benötigen, schwer. Gerade den Älteren. "Eine geringe Rente ist ein zunehmendes Armutsrisiko. Aber viele Senioren verzichten aus Rücksichtnahme auf ergänzende Leistungen. Scham ist gerade hier im ländlichen Raum ein Thema", berichtet Schrempp. Es gebe Rentner, die lieber ihre Sterbeversicherung kündigten als beim Amt einen Antrag auf Grundsicherung zu stellen.

350 Fälle betreut die Caritas derzeit. Ein Drittel davon geht in die Schuldnerberatung. "Mangelnde Finanzkompetenz ist auch ein Armutsrisiko", sagt Gerhard Schrempp. "Da müssen Hilfen nachhaltig greifen."     Charlotte Reinhard

Als arm gilt in Deutschland, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Das entspricht momentan 979 Euro pro Monat für eine alleinstehende Person. Für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren liegt der Schwellenwert bei 2056 Euro im Monat. Armut betrifft damit vor allem Personen, die Sozialhilfe beziehen. 2013 waren es 15 959 Menschen im Ortenaukreis, die Arbeitslosengeld II (Hartz IV) bekamen. Die Arbeitslosenquote betrug im September dieses Jahres im Kinzigtal (Bezirk Hausach) 2,2 Prozent.