Sprachen über Alkoholsucht (von links): Dieter Bergmann, Erwin Halter, Moderator Dieter Petri, Susann Krannich und Sabine Huck. Foto: Reutter

Erwin Halter betont die für ihn hohe Wichtigkeit der Anonymen-Alkoholiker-Gruppe. Lesung mit anschließender Fragrunde gut besucht.

Haslach - "Einmal süchtig - immer süchtig?" diese Fragestellung lockte rund 30 Interessierte am Donnerestag zur Veranstaltung der katholischen Arbeitnehmerbewegung ins Haslacher Bürgerhaus. Sie sollten ihren Besuch nicht bereuen.

"Schrei nach Liebe" heißt das Buch des Zellers Erwin Halter in dem er über seine Zeit als Alkoholiker geschrieben hat. Aus dieser Autobiografie las sein Freund Dieter Bergmann, der selbst trockener Alkoholiker ist, einige eindrückliche Passagen vor, die einen teilweise auch ungewollt schmunzeln ließen.

Denn Erwin Halter nutzte den Alkohol früher auch, um ungehemmt den Clown spielen zu können. So zog er beispielsweise beim Bund einen Rock an und strippte dann auf einem Tisch stehend. Oder er nahm ein Kleid aus einem Kaufhaus mit, aber nicht um es zu stehlen, sondern um darin in der Fußgängerzone wie ein Model zu posieren. "Ich wusste oft vor lauter Torheit nicht, was ich machen sollte", schreibt Halter in seinem Buch. Auch Gläser wollte er aus Jux verspeisen. Zum Glück war das DRK zur Stelle. "Ich hatte tausende von Schutzengel und so meine Clownereien überlebt", schreibt Halter.

Doch wie konnte es so weit kommen? In seinem Buch beschreibt der Zeller eine typische Alkoholikerkarriere. Er hatte einen Vater, der oft seinen Frust an der Familie ausließ und dies durch im ganzen Dorf hörbaren lauten Schreien sowie durch das Verteilen von Prügel. Liebe und das Gefühl über Probleme sprechen zu können war dagegen Mangelware.

Zum ersten Mal kam Halter schon als Neunjähriger mit Alkohol in Form von Most in Berührung. Oder was heißt in Berührung kommen? Obwohl der Most ziemlich sauer geschmeckt habe, hätte er ihm gleich ziemlich zugesprochen und ihn unverdünnt getrunken. Der Vater schalt ihn dafür, was das Trinken aber noch attraktiver machte.

In seiner Berufschulzeit hat Halter dann alles "auf Ex gesoffen" und "kotzte" auch mal im Büro quer über den Schreibtisch. Damals glaubte er, der Alkohol wäre sein Freund und vertreibe alle Sorgen". Die Zeit beim Bund war dann ein "einziges Besäufnis" und er wurde durch seine Clownereien zum Maskottchen der ganzen Kaserne. Später im Berufsleben hatte der "Teufel Alkohol" ihn immer noch in seinen Fängen. In dieser Phase trank er auch, um Stress abzubauen.

Halter erkannte nun aber, dass er ein Problem hatte und kam über die Etappen Hausarzt und Psychiater zu den Anonymen Alkoholikern. "Ich schwöre auf die AA-Gruppe, weil ich durch den Besuch trocken geworden bin", sagte Halter. In der Gruppe habe er über Probleme reden können und sei nicht als Alkoholiker beschimpft worden. "Ich weiß heute; Alkohol löst keine Probleme", sagt der 66-Jährige Zeller, der seit 35 Jahren trocken ist.

Dass es verschiedene Wege aus dem Alkoholismus gibt, die alle beschwerlich seien, verdeutlichten in der anschließenden Fragerunde Susann Krannich und Sabine Huck, die beide seit mehreren Jahren im Pflege- und Betreuungsheim Gegenbach-Fußbach Alkoholiker betreuen. Dabei ist das Leitprinzip absolute Abstinenz.

"Leitplanken" sollen beim Ausstieg helfen

Um diese einzuhalten gebe es Anfangs für die Bewohner sehr viele "Leitplanken", in denen sie laufen können. Nach und nach würden diese Regeln dann abgebaut, erläuterte Huck. In der Einrichtung leben rund 40 Personen, wovon 80 Prozent Männer seien. Die Betreuung werde dabei immer so lange wie es nötig angeboten, sagte die Sozialarbeiterin.

Krannich und Huck lobten Halter dann für seine "schonungslos offene" Biografie. "Es ist klasse, dass das jemand macht", sagte Krannich. Sie stellte klar, dass nach ihrer Erfahrung niemand aus Jux und Tollerei trinke, sondern sehr häufig eine Sehnsucht nach Liebe, Anerkennung und Verständnis eine Rolle spiele. Daher würden auch viele Alkoholikerkarrieren schon in der Kindheit angelegt. Dabei sei es wichtig, dass Eltern ein offenes Ohr für Probleme und Schwierigkeiten der Kinder hätten und diesen das Gefühl geben, dass man mit diesen umgehen könne. Auch das gesellschaftliche Umfeld und Rollenbilder seien nicht zu vernachlässigen. So heiße es oft, "ein Mann muss was vertragen können".

Besucherinnen der Lesung merkten auch an, dass beim Feiern der Konsum von Alkohol fast zum Pflichtprogramm gehöre und in der Lokalen nicht-alkoholische Getränke vor allem früher oft teurer gewesen seien als alkoholische. Für Halter ist beides heute aber kein Problem mehr. Er sei für sich selbst verantwortlich und daher habe er auch kein Problem, wenn andere Alkohol trinken.

Das für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, ist laut Bauman, Krannich und Huck auch extrem wichtig, um aus der Sucht herauszukommen. Zuvor müsse man aber auch erst einmal in der Lage sein, zu erkennen, dass man überhaupt ein Problem habe. "Gott sei Dank haben sie das gekonnt", sagte Krannich in Richtung Halter.