So sieht das normalerweise aus: "Wald- und Wiesenreiter" Charlotte Reinhard auf ihrem eigenem Pferd mit dem Wallach ihres Manns als Handpferd. Foto: Privat

Redakteurin Charlotte Reinhard wiederholt ihre erste Reitstunde auf Gutacher Bachbauernhof

Eines meiner ersten Worte nach den üblichen wie "Mama" und "Papa" war "Pferd". Als ich ganze Sätze sprechen konnte, wurde ich etwas spezifischer: "Ich will ein Pferd." Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde meinen Eltern klar, dass mit mir etwas nicht stimmte. Niemand aus unserer Familie hatte jemals wirklich mit Pferden zu tun gehabt und außer meiner Großtante hatte auch keiner viel für sie übrig. Woher diese Pferdeliebe kam, blieb ein Rätsel (und das ist es heute noch). Als ich etwa fünf Jahre alt war, begriff ich, dass ich, um ein Pferd besitzen zu können, erst einmal reiten lernen musste. Ab da wurde ich etwas bescheidener und wünschte mir statt eines ganzen Pferds erst einmal Reitstunden. Und auch wenn meine Eltern meinen "Pferdefimmel" zwar nicht verstanden, er sich aber nicht "auswuchs", unterstützten sie mich. So durfte ich mit sieben Jahren das erste Mal auf dem Pferd eines Nachbarn Platz nehmen und zum neunten Geburtstag bekam ich dann tatsächlich Reitstunden geschenkt.

Meinen ersten Reitunterricht hatte ich auf einer braunen Stute namens Cinderella, die sich für mich, eins von hunderten Reitschulkindern, nicht sonderlich interessierte. Das Pferd, auf dem ich 24 Jahre später meine erste Reitstunde wiederholen soll, ist nicht viel neugieriger darauf, wer da gleich auf seinem Rücken herumturnt. Wayne, eines der Schulpferde des Bachbauernhof in Gutach, hebt einmal träge kauend den Kopf, als ich und Stallbesitzerin Sigrun Wöhrle uns nähern.

Ihr sei es wichtig, dass die Schulpferde nicht nur in der Box herumstehen und die Wand anstarren, wenn sie nicht gerade geritten werden, erklärt Wöhrle. So leben die Tiere in einer großen Herde in einem Offenstall. Artgerecht eben. Das war zu meiner Zeit noch nicht so. Boxenhaltung in "Einzelhaft" war normal, die Pferde kamen nur zu den Reitstunden raus und sahen alle paar Jubeljahre eine Koppel. Als ich älter wurde, wurde mir bewusst, dass das den Vierbeinern als Flucht- und Herdentieren nicht gut tut. Von da an begleitete ein schlechtes Gewissen jede meiner Reitstunden. Ich war froh, als ich mit 14 Jahren mein erstes Pflegepferd fand und den Schulbetrieb verließ. Nicht nur, weil sich meine Turnierträume mangels Talent schnell zerschlagen hatten, sondern auch, weil ich nun in einem Privatstall ritt, in dem täglicher, freier Auslauf im Herdenverband für die Tiere ganz selbstverständlich dazu gehörte. Glückliche Pferde brauchen das, das weiß auch Sigrun Wöhrle. Wayne wirkt jedenfalls ziemlich zufrieden.

Nachdem ich ihm das Halfter angelegt habe, führe ich ihn zum Putzplatz, wo mir Wöhrle erklärt, wie ein Pferd geputzt wird. Sie legt dabei Wert darauf, dass man sich nicht sofort aufs Pferd "stürzt". "Als Mensch fände man es ja auch nicht toll, wenn ein Wildfremder plötzlich anfängt, an einem herumzuzupfen, ohne dass er sich vorstellt und klar macht, was er vorhat", meint sie. Ansonsten ist mir das, was sie übers Putzen erzählt, bekannt. Als ich allerdings seine Beine bürste, knie ich mich hin. Keine gute Idee, gerade bei einem fremden Pferd, das ich noch nicht einschätzen kann. "Immer nur bücken, dann kann man im Zweifelsfall zur Seite springen", erinnert Wöhrle.

Englisch statt Western

Nachdem Wayne gesattelt ist, geht es auf den Reitplatz. Die Steigbügel sind schnell verstellt, dann versuche ich mich elegant auf den Rücken des Wallachs zu schwingen. Er ist nur zehn Zentimeter größer als mein eigenes Pferd, aber das macht ganz schön was aus. Meinen Fuß in den Steigbügel zu hieven, erinnert eher an eine gymnastische Schwerstübung als an routiniertes Aufsteigen. Als ich im Sattel lande, folgt die nächste Überraschung. Ich fühle mich hilflos. Normalerweise sitze ich in einem Westernsattel, Wayne wird englisch geritten. Ich habe das Gefühl, keinen Halt zu haben. Am liebsten würde ich mich irgendwo festkrallen.

Es wird nicht besser, als Wayne losläuft. Wöhrle gibt mir Aufgaben, die ich aus meiner ersten Longenstunde noch kenne. Arme kreisen lassen, Fußspitzen berühren, langsam gewöhne ich mich an Waynes Bewegungen. Als Kind fand ich die Übungen lustig und das einzige, was mir Unbehagen bereitete, war die Höhe, aus der ich herunter fallen könnte. Ans Fallen denke ich jetzt merkwürdigerweise überhaupt nicht. Eher daran, wie steif ich mich fühle. Als ich nach hinten an Waynes Schweifrübe fassen soll, gerate ich für einen Sekundenbruchteil fast in Panik. So weit nach hinten? Da komme ich doch nie hin! Aber ich versuche es, und, Halleluja, es gelingt.

Dann geht es ans Traben. Leichttraben. Kein Problem, aufstehen, hinsetzen. Ich muss mich an den im Vergleich zu meiner Stute schwungvolleren Gang von Wayne gewöhnen, aber es geht. Profimäßig sieht es aber wahrscheinlich nicht aus.

Auch das Galoppieren darf ich auf Wayne ausprobieren, Das ist schon schwieriger und es gelingt mir nicht immer, ihn in die schnellste Gangart zu bekommen. Immer wieder muss Wöhrle mein Kommando aus der Platzmitte mit einem Kommando ihrerseits unterstützen. Und an meinen Sitz will ich gar nicht erst denken.

Zum Schluss darf ich frei reiten. Die Reitlehrerin löst die Longe von Waynes Trense, ich lenke ihn auf den Hufschlag. Er läuft fleißig an, ich spüre Schub aus der Hinterhand. "Na, das fühlt sich ja gut an", freue ich mich. Kaum bin ich aber etwas weiter weg von Wöhrle, ist das gute Gefühl vorbei. Wayne wird langsamer, mein Treiben bringt nicht viel. Am schlimmsten wird es aber, als ich versuche, ihn abzuwenden. Keine Chance. Verdattert wiederhole ich das Kommando, diesmal stärker. Immer noch nichts. Das kann doch nicht wahr sein! Ich kann mich doch normalerweise durchsetzen, bei meinem Pferd genügt oft ein Blick in die Richtung und sie geht da hin, wo ich sie hin haben möchte! Versuche ich also, mich durchzusetzen oder lasse ich es gut sein, frage vielleicht sogar nochmal nach? Mit mir geht der Stolz durch und ich tue das, worüber ich bei anderen Reitern immer wieder den Kopf schüttle. Ich zerre am Zügel. Natürlich bringt auch das nichts, außer dass ich mich plötzlich schäme. Verärgert über mich selbst lasse ich es gut sein und Wayne zur Platzmitte laufen. Ich steige ab.

Eins ist mir während dieser Reitstunde klar geworden: Auch wenn man schon 20 Jahre reitet, tut etwas Demut gut. Und mir ist wieder richtig bewusst geworden, was für einen Unterschied es macht, wenn Pferd und Reiter sich kennen und sich gegenseitig vertrauen. Das gleicht wohl auch einiges an mangelnden reiterlichen Fähigkeiten aus. Mein früherer Reitlehrer pflegte immer zu sagen: "Ein guter Reiter kann jedes Pferd reiten." Aber vielleicht braucht es manchmal etwas Zeit und Arbeit, bis es soweit ist. Und vielleicht würde es mit Wayne irgendwann besser klappen, wenn ich noch ein paar Mal mit ihm üben würde.                            Charlotte Reinhard

INFO

Offenstall

In der Offenstallhaltung steht allen Pferden einer Gruppe ein überdachter Bereich als Witterungsschutz zur Verfügung, häufig mit Fressständern, Futterkrippen oder Heuraufen und einer Selbsttränke, die von den Pferden jederzeit aufgesucht werden können. An den Offenstall angeschlossen liegen Weiden oder Ausläufe.