Nach der Zugbergung wurde der Blick auf die entscheidende Weiche frei. Wurde sie umgestellt, während der Zug darüber fuhr? Fotos: Lück Foto: Schwarzwälder Bote

Nach IC-Entgleisung wird weiter nach Ursache gesucht. Krisen-Management der Bahn in der Kritik. Mit Video

Horb - Nach der Intercity-Entgleisung kurz vor dem Horber Bahnhof am Donnerstagabend verdichten sich die Hinweise, dass tatsächlich menschliches Versagen eine Rolle gespielt hat. Das Krisen-Management der Bahn im Anschluss wirkt dabei alles andere als optimal.

Noch immer wird gerätselt, wie es genau zum Zug-Unfall – zum Glück ohne Verletzte – gegen 20 Uhr auf der Einfahrt in den Horber Bahnhof kommen konnte. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen einen Bahnmitarbeiter wegen Gefährdung im Bahnverkehr eingeleitet. Es gebe einen Anfangsverdacht", so Frank Grundke, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Rottweil im Gespräch mit unserer Zeitung.

War es menschliches Versagen?

Der SWR bestätigte das am Wochenende. Die Entgleisung solle auf menschliches Versagen zurückzuführen sein. Der SWR beruft sich dabei auf eine Quelle bei der DB Netz AG. Die unter dem Zug befindliche Weiche sei gedreht worden, was vermutlich auf den Fehler eines Fahrdienstleiters zurückzuführen sei. Dieser Fehler wiederum sei nur möglich, weil die mechanischen Stellwerke sehr alt seien.

Auf Twitter werden diese Aussagen von Bahn-Experten, unter anderem Lokführer und Stellwerker, heiß diskutiert. Ein Mann, der selbst Stellwerke bedient, schreibt: "Ich war mal für ’ne Woche in Horb um das dortige E43 (Stellwerk-Bauart, Anm. d. Red.) kennenzulernen. Wenn ein Zug auf Hauptsignal in Richtung Stuttgart fährt, ist es nicht möglich an der Stelle, bei der der IC entgleist ist, bereits die Weiche zu drehen. Die Fahrstraße löst erst viel später auf (...)."

Auch zu veralteten Technik wird sich geäußert. Kann das wirklich ein Grund sein? Ein Lokführer schreibt: "Nunja, Jein. Bei modernerer Technik mit Gleisfreimeldeanlage und Rotausleuchtung kann der Bediener einfacher und eindeutiger feststellen, dass der Zug sich bereits auf der Weiche befindet und würde dann natürlich eher davon absehen, die Weiche zu drehen. Aber meines Wissens ist selbst das schon mal passiert." Aber, so betont er: "Auf die modernste Technik lässt unter vergleichbaren Bedingungen das Drehen unter dem Zug zu." Ein Fahrdienstleiter schreibt: "Die Belegung blockiert (aus gutem Grund) das Umstellen."

Ersatzsignal wegen Störung?

Doch was bedeutet das genau? Ein Insider klärt im Gespräch mit unserer Zeitung auf. "Normalerweise funktioniert alles automatisch und ein Mensch kann nicht eingreifen. Der Stellwerker kann nicht einfach die Weiche bedienen. Anders ist das allerdings, wenn der Zug auf Ersatzsignal oder auf Befehl fährt."

Doch was bedeutet das? Ein Ersatzsignal (das durch drei weiße Leuchten signalisiert wird) werde eingesetzt, wenn eine Störung vorliege. So kann eine Signalstörung vorliegen. "Beim Ausfall einer Lampe oder der sonstigen Signalschaltung, bei Formsignalen zusätzlich Schwergang durch Schmiermängel, Frost und Schnee sowie durch Vegetation oder bei Drahtbruch in der Stellleitung", heißt es auf Wikipedia dazu. Auch eine Fahrstraßenstörung oder eine fehlerhafte "Besetztmeldung" des Gleises sind Gründe für den Einsatz eines Ersatzsignals. Fahren auf Ersatzsignal stellt allerdings eine "Verringerung des Sicherungsniveaus" laut Wikipedia-Beitrag dar. "Dann wird tatsächlich vieles von Hand gesteuert. Und da ist die vollkommene Aufmerksamkeit des Stellwerkers absolute Pflicht", so der Bahn-Insider.

"Lokführer hat keine Schuld"

Und in diesem Fall kann es tatsächlich sein, dass die Weiche direkt unter dem fahrenden Zug umgestellt wurde. Der Insider bezweifelt aber, dass der Fahrdienstleiter damit etwas zu tun haben könnte. "Und klar ist auch für mich, dass der Lokführer keine Schuld hat."

Der Einsatz des Ersatzsignals würde zumindest auch erklären, warum der Zug mit so geringer Geschwindigkeit unterwegs war – vor Ort war am Freitag von circa 20 km/h die Rede.

Eine geringe Geschwindigkeit sei allerdings keine Garantie, dass nicht auch etwas Schlimmeres passieren könnte. "Auch bei geringer Geschwindigkeit kann ein oder mehrere Waggons umkippen."

Bahnkunden verärgert

Unterdessen wird auch das Krisen-Management der Deutschen Bahn kritisiert. Aufgrund der Zug-Bergung am Freitag musste die Oberleitung abgestellt und der Streckenabschnitt gesperrt werden. Ersatzverkehr wurde eingerichtet. Doch das lief alles andere als reibungslos.

Auf Twitter ließen einige Bahnkunden ihrem Frust freien Lauf. Und auch ein Leser aus Horb schreibt ausführlich über große Service-Probleme, die er zusammen mit seiner Frau erlebte.

Der Zug RE für die Rückfahrt um 14.18 Uhr auf Gleis 3 in Stuttgart habe die Anzeige "Zug fällt heute aus" erhalten. Ebenso auf Gleis 4 der IC um 14.29 Uhr. "Laut Durchsage solle man sich an das Informationsbüro der DB wenden. Beide Bahnsteige waren gut mit Menschen gefüllt, welche sich dann vor diesem Büro bei Gleis 1 natürlich drängelten. Sicher können Sie sich die Länge dieser Warteschlange gut vorstellen.

Nun hätten sich immer vier Personen mit dem gleichen Ziel zusammen finden müssen, um mit einem Taxi befördert zu werden. Mit zwei jungen Damen aus Horb erhielten wir schließlich Zettel mit der Nr. 446 für ein Taxi nach Horb."

Mitarbeiter völlig überfordert?

Doch es ging für das Ehepaar nicht voran. "Nachdem einige nach uns wartende Gruppen bereits weg waren, fragte ich schließlich um 15.30 Uhr nach, wo unser Taxifahrer bleibe. Ich hatte beobachtet, dass die Taxifahrer zunächst im Büro ihren Auftrag erhielten, und dann vor dem Büro die Gruppe mit der entsprechenden Nummer suchten. Unsere Nummer war nie dabei."

Unser Leser erfuhr, dass sein Taxi schon weg sei und sie angeblich ausgerufen worden seien. "Wir standen die ganze Zeit circa sechs Meter entfernt von diesem Eingang." Das Ehepaar sollte sich nun wieder hinten an der Schlange anstellen. Später dann wurde ihnen gesagt, dass man den Zug um 16.18 Uhr, der wieder von Gleis drei nach Freudenstadt abfuhr, nehmen soll.

Der Leser schreibt: "Unglücksfälle können immer einmal passieren und erfordern dann besondere Maßnahmen. Dafür hat man ja dann Verständnis. Aber: Abgesehen von diesen Zeitverlusten ärgert immer wieder vor allem das Warten/Stehen in der Kälte, die Unterstellung, vier Personen müssen wohl alle taub sein – einfach die Tatsache, dass organisatorisch die Mitarbeiter/innen wohl völlig überfordert waren und sind. Und dies, obwohl diese Beeinträchtigung vom Vortag genug Vorlaufzeit gelassen hätte, die Folgen rechtzeitig in den Griff zu bekommen, denke ich."