Ulrich Schmid hatte eine geistige Einschränkung, nachdem er als Kleinkind an einer Hirnhautentzündung erkrankte. Sein Leben verbrachte er unter anderem in den Mariaberger Heimen, der Heil- und Pflegeanstalt Zwiefalten und in der Tübinger Psychiatrie. Die Nazis vergasten ihn schließlich in Grafeneck als „lebensunwert“. Dies ist seine Geschichte.
Nagold hat seine ersten fünf Stolpersteine bekommen. Vor der Herrenberger Straße 31 wird Ulrich Schmid gedacht, der dort lebte. Er wurde Opfer der „Aktion T4“, von den Nazis beschönigt als „Euthanasie“ bezeichnet. Dabei wurden Kranke, Menschen mit Behinderung und Homosexuelle als „lebensunwert“ eingestuft und ermordet.
Ulrich Schmid kam am 29. August 1911 als zweiter Sohn des Studienrats Karl Schmid und seiner Frau, der Lehrerin Anna Schmid, geb. Dieterich zur Welt. Die Eltern heirateten 1907, zwei Jahre später wurde ihr erstes Kind Eberhard geboren. 1912 zog die Familie nach Nagold.
Dort wirkte Karl Schmid als Seminaroberlehrer bis 1938 am Lehrerseminar, einem der vier Ausbildungsstätten für Volksschullehrer in Württemberg. Die Familie wohnte zuerst in der Emminger Straße und zog später in das eigene Haus in der Herrenberger Straße 31.
Meningitis hinterlässt geistige Behinderung
Im Alter von zweieinhalb Jahren erkrankte Ulrich Schmid an einer Hirnhautentzündung (Meningitis). Die Krankheit hatte Auswirkung auf sein Sprachzentrum. Er konnte sich ab da sprachlich nur auf dem Entwicklungsstand eines Zweijährigen äußern.
Im Oktober 1916 wurde das fünfjährige Kind zum ersten Mal in die psychiatrische Klinik in Tübingen eingewiesen. Die Ärzte dort bestätigten die geistige Behinderung und die mangelnde Sprachentwicklung, stellten aber auch heraus, dass er körperlich keine Einschränkungen habe, seine Sinnesorgane gut wären und er für sein Alter ganz gut zeichnen könne. Da er andererseits schwer zu erziehen, ständig unruhig, unfolgsam, reizbar und zu Hause sehr störend sei, würde er sich für eine Unterbringung in den Mariaberger Heimen bei Gammertingen eignen.
Von Mariaberg in die Tübinger Nervenklinik
Im Alter von neun Jahren brachte man Ulrich Schmid 1920 nach Mariaberg. Da er mit der Zeit wegen seines schwierigen Verhaltens in Mariaberg nicht mehr tragbar wurde, erhoffte sein Vater Karl Schmid durch einen Aufenthalt in der Tübinger Nervenklinik Klarheit, wie seinem Sohn geholfen werden könne.
Von Juni bis Oktober 1931 wurde er in der Tübinger Nervenklinik behandelt. Dort wiederholte sich, was schon in Mariaberg beobachtet wurde, dass er sein Kinn und seine Nase so lange auf dem Fußboden rieb, bis sie wund wurden. Dann reagierte er erregt und auch gewalttätig. Drei Anstalten lehnten eine Aufnahme ab. Deshalb wurde Ulrich Schmid schließlich am 8. Oktober 1931 in die Heil- und Pflegeanstalt Zwiefalten eingeliefert.
In der Anfangszeit verhielt er sich „recht unbotmäßig, umtriebig und störend, ging viel aus dem Bett, trieb allerlei Unfug, war widerstrebend und mitunter bösartig“ so das ärztliche Zeugnis in Zwiefalten. Mit der Zeit muss sich eine Besserung eingestellt haben. Am Ende seines über dreijährigen Aufenthaltes wurde die Unterbringung in einer Pflegeanstalt empfohlen.
„Arbeiten tut er gerne und ist auch geschickt zum Arbeiten“
Am 18. September 1934 wurde Schmid in der Heil- und Pflegeanstalt Stetten im Remstal gebracht. Sein Pfleger beschrieb 1936 seine ihm zugewiesene Tätigkeiten: „Beschäftigt wird [der] Patient im Haus auf dem Zimmer, dann beim Mülleimer leeren, Kartoffeln tragen, im Park mit Jäten und Unkraut wegtragen. Arbeiten tut er gerne und ist auch geschickt zum Arbeiten. Nur wenn eine Arbeit länger geht, verliert er die Lust.“
Weiter über seine Freizeitbeschäftigung: „Nimmt man ihn zum Spaziergang, so muss man ihn immer bei sich halten. Sonst läuft er bald hier hin, bald dort hin und sammelt auf, was er liegen sieht.“ Nach fünf Jahren in Stetten wurde Schmid zunehmend zu einer Belastung für Mitpfleglinge, Pfleger und alle weiteren Personen, die er im Haus antraf.
Aufnahme in Winnental, als Massenmord schon im Gange war
Deshalb wurde Schmid am 16. Mai 1940 in Winnental aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war der arbeitsteilige Massenmord in Grafeneck an Anstaltspatienten schon voll im Gange. Auf dem Meldebogen vom 31. Oktober 1940 wurden seine Symptomatik folgendermaßen beschrieben: „Tief verblödet, Meist in triebartiger Unruhe. Spricht zwecklos umher. Macht allerlei verkehrte Handlungen. Unsauber und unrein. Eine Verständigung ist mit ihm nicht möglich.“
Weiter hieß es, dass er zu keiner Arbeit fähig sei und mit einer baldigen Entlassung nicht zu rechnen ist, da er dauernd anstaltsbedürftig sei. Die letzte Bemerkung lautete: „Die Erkrankung des Sohnes bedeutet für den Vater eine schwere wirtschaftliche Belastung.“ Für die Gutachter der „Aktion T4“, die nach einem reinen Nützlichkeitsdenken über Leben und Tod entschieden, waren diese Sätze ein klares Zeichen, dass von Seiten der Familie keine kritischen Rückfragen im Fall einer Tötung zu erwarten seien.
Vier Wochen später wurden 42 Personen von Winnental nach Grafeneck gebracht, die vorher in verschiedenen Anstalten untergebracht waren. Ulrich Schmid starb am 29. November 1940 im Alter von 29 Jahren in Grafeneck.