Johannes F. Kretschmann hat zum ersten Mal im Deutschen Bundestag gesprochen – und dort turbulente Tage erlebt. Foto: Screenshot Bundestag-Parlamentsfernsehen

So aufregend hatte sich Johannes F. Kretschmann seine Zeit im Deutschen Bundestag nicht vorgestellt. Als nachgerückter Abgeordneter für den Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen kam er gerade pünktlich zum Abstimmungseklat. Was hat er erlebt?

„Ich spreche zu Ihnen im politischen Heiligtum der Republik. Diese Trutzburg der Demokratie hat freilich am gestrigen Tage tiefe Risse bekommen!“ Ohne ein gerüttelt Maß an Pathos sollte die erste Rede von Johannes F. Kretschmann (JFK) als Abgeordneter für Bündnis ’90/Die Grünen im Deutschen Bundestag nicht abgehen.

 

Am 27. Januar, nach dem Termin bei der Landeswahlleiterin in Stuttgart, war der Laizer offiziell im Amt, hatte am 28. seine erste Fraktionssitzung, erlebte am 29. die Holocaust-Gedenkfeier im Bundestag mit – und danach den Eklat bei der Abstimmung über den CDU-Antrag zur Migrationspolitik, der nur dank der Stimmen der AfD durchging. „Der CDU geht es darum, Wähler von der AfD zurück zu gewinnen und Nichtwähler zu mobilisieren, das ist legitim“, sagt JFK, „aber diese Mittel sind falsch, gefährlich und nicht statthaft.“

Sachsen und Thüringer haben sich dagegen gestemmt

Von einem „Dammbruch“ spricht JFK und ist entsetzt darüber, wie der AfD in dieser Frage Macht überlassen worden sei, wo sich die CDU-Abgeordneten in Sachsen und Thüringen „mit großer Mühe dagegen gestemmt hätten“, der rechten Partei Macht in den Landesregierungen zu überlassen.

Die Stimmung im Bundestag in diesen Tagen zu vergleichen, fällt JFK schwer, „weil ich ja nicht weiß, wie sie sonst ist“, aber das Gepöbel der AfD-Abgeordneten, martialische Worte wie „das Tor zur Hölle“, das CDU-Chef Friedrich Merz laut dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich aufgestoßen haben soll, und die „vergiftete Stimmung im Plenum“ – all das kennt Kretschmann aus Berichten seines Vaters, Ministerpräsident der grün-schwarzen Landesregierung in Baden-Württemberg, nicht.

„Unsere Hand bleibt ausgestreckt“

„In der Fraktion sind wir uns dennoch einig, dass unsere Hand für Koalitionsverhandlungen nach der Wahl ausgestreckt bleibt“ – in Richtung aller demokratischer Parteien. „Wir müssen möglichst schnell wieder zu Inhalten kommen“, sagt er mit Blick auf den Wunsch der Mehrheit in Deutschland, Migrationspolitik zu regulieren – „bis in grüne Wählerschichten hinein“ – und auf das gemeinsame Ziel, schwere Straftaten wie in Aschaffenburg und Magdeburg zu verhindern.

Gut besucht war der Plenarsaal – trotz mitternächtlicher Zeit – bei JFKs erster Rede im Deutschen Bundestag. Foto: Screenshot Bundestag Parlamentsfernsehen

Johannes F. Kretschmanns Thema bei seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag war hingegen sein Kommentar zum CDU/CSU-Antrag „Unsere Landwirtschaft vielfältig, leistungsstark und nachhaltig ausgestalten“ – und er hat es ihnen ordentlich gegeben, die „Christ-Demokraten“ pointiert adressiert und ihnen aufgezeigt, welche Begriffe in ihrem Antrag nicht einmal auftauchten: das „Höfesterben“ ebenso wie „Arten- und Klimaschutz“, obwohl es sich „um unaufschiebbare Jahrhundertaufgaben handelt“ wie JFK – trotz später Stunde – mit Verve und kräftiger Stimme vorgebracht hat. Kunststück: Der Mann ist unter anderem ein begabter Bühnenkünstler.

Von seinem traditionellen Outfit ist Johannes F. Kretschmann auch als Bundestagsabgeordneter nicht abgerückt. Foto: Bündnis 90/Die Grünen

Die Rolle als MdB „taugt mir“ – davon scheint er selbst ein wenig überrascht. „Im Bundestag zu reden war mir eine totale Freude und riesige Ehre“, betont er. „Die Akustik ist fantastisch, und obwohl Mitternacht schon vorbei war, war der Plenarsaal gut besucht.“

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

In dieser Woche nimmt JFK nun erst einmal Termine in seinem Wahlkreis wahr, ehe es nächste Woche zu einer verkürzten Sitzungswoche wieder nach Berlin geht, und fast scheint er es zu bedauern, dass er für die Bundestagswahl am 23. Februar nicht erneut antritt, obwohl er seinen Parteifreund Simon Schutz für einen „starken und authentischen Kandidaten“ hält. Denn: Politik zu machen, liegt dem Sigmaringer Kreisrat auch auf höherer Ebene, wie sein Bundestagsintermezzo zeigt. Der Apfel fällt da offenbar nicht weit vom Stamm.

Johannes F. Kretschmann hatte 2021 für Bündnis ’90/Die Grünen für den Deutschen Bundestag kandidiert und ist nun für die verstorbene Abgeordnete Stephanie Aeffner für wenige Wochen nachgerückt. Zu Beginn seiner Rede im Bundestag erinnerte er an sie und drückte seine Wertschätzung aus.