Der Arbeitskreis Stolpersteine hat weitere zehn Stolpersteine anfertigen lassen – am 6. November werden sie verlegt.
Isaak Braunschweig, seine Frau Frieda Levi und ihre drei Kinder – Sophie und zwei jüngere Brüder Julius und David – waren 1928 in den Bergrain 4 in Kirchen gezogen. Zusammen mit seinem Bruder Max betrieb Vater Isaak in der Nähe der Synagoge eine Metzgerei.
In Kirchen hatten die drei Geschwister, so schreibt es Sophie später in einem Brief, eine „angenehme Jugend“. Diese endete abrupt, als am 30. Januar 1933 die Herrschaft der Nationalsozialisten begann, und Juden zunehmend Ausgrenzung und Hass erfuhren. „Ich konnte in kein Kino, zu keinem Tanz oder zu sonst einer Veranstaltung, ohne als Jude behandelt zu werden“, heißt es in dem Brief.
Als ein Nazi am Weihnachtsabend 1937 ihren kleinen Bruder verprügelte, war es genug. Die Familie beschoss, in die USA zu fliehen. Nicht allen gelang die Flucht: Viele Kirchener Juden wurden später von den Nationalsozialisten ermordet.
Engagierte und unverzichtbare Mitglieder
Damit Sophie Kessler, ihre Familie und die vielen anderen aus Kirchen vertriebenen Juden nicht vergessen werden, hat sich vor zwei Jahren in Efringen-Kirchen der Arbeitskreis Stolpersteine gegründet.
Dessen Sprecherin Marion Caspers-Merk bezeichnet es als „himmlisches Glück“, dass „die beiden versierten Rechercheure“ Axel Huettner und Wilfried Bussohn zum festen Kern der ehrenamtlich Engagierten gehören. Da ist der evangelische Pfarrer und Historiker Huettner, der 1978 über „Die jüdische Gemeinde von Kirchen“ ein Buch verfasst hat. Und da ist der frühere Gemeinderat Wilfried Bussohn, dessen Wissen über die Euthanasie-Opfer unverzichtbar sei.
Da ist das Kirchener Urgestein Ernst Giesel, der „Hinz und Kunz“ kenne, und der den Kontakt anbahnt zu den Anwohnern und über die Verlegung informiert. Und da sind Karl-Frieder Hess, Armin Schweizer und viele weitere Mitglieder. Kurz, so Casper-Merk: ein tolles Team.
Verwaltung bestand auf unsinniger Vorgabe
Die einstige Staatssekretärin und SPD-Politikerin Marion Caspers-Merk hat in ihr verwinkeltes Fachwerkhaus nach Welmlingen eingeladen und erzählt von den Startschwierigkeiten, vor denen der Arbeitskreis nach seiner Gründung vor zwei Jahren stand.
Nach „viel Überzeugungsarbeit“ hatte im April 2023 der Gemeinderat dem Gremium genehmigt, auf Kirchener Gehwegen, vor den jeweiligen Wohnungen oder Häusern vertriebener Juden Stolpersteine zu verlegen. Nicht alle Gemeinderäte seien sofort überzeugt gewesen.
Nicht alle Gemeinderäte waren überzeugt
Irritierend: Die Verwaltung hatte darauf bestanden, dass die heutigen Anwohner eine schriftliche Zustimmung erteilen. „Wenn die Gemeinde ein Kabel verlegt, werden die Hausbewohner auch nicht gefragt“, zeigt sich die ehemalige Gesundheitspolitikerin Caspers-Merk nach wie vor verwundert. Diese Vorgabe habe dazu geführt, dass einige Anwohner – wegen juristischer Bedenken – nicht unterschrieben und so die Verlegung der bereits angefertigten Stolpersteine verhinderten. Ein Ärgernis. Caspers Merk ist erleichtert: Der Arbeitskreis hat mittlerweile erreicht, dass die sinnlose Verpflichtung aufgehoben wurde.
Welche Form der Erinnerungskultur ist richtig?
Die Gründungsmitglieder des Arbeitskreises setzten sich zusammen aus Mitgliedern des Arbeitskreises Museum in der Schule, hiesigen SPD-Mitgliedern und „ein paar kulturell Interessierten“, die sich schon immer dem Thema Erinnerungskultur beschäftigen wollten.
Das Suchen nach einer angemessenen Form für die lokale Erinnerungskultur begann nicht bei Null: Der frühere Bürgermeister Horst Dierkes hatte 1983 Überlebende nach Efringen-Kirchen eingeladen und dafür gesorgt, dass eine entsprechende Ausstellung organisiert wurde. Unter den Besuchern war auch Sophie Kessler, die von ihrer Familie begleitet wurde.
In den Amtsphasen der beiden folgenden Bürgermeister Fürstenberger und Schmid sei das Thema versandet, sagt Caspers-Merk. Schmids Idee, eine Stele als Mahnmal zu errichten, wurde nie realisiert. Die Frage blieb: Welche Form könnte die Erinnerungskultur in der Reblandgemeinde annehmen?
Anschluss an dezentrales Projekt Stolpersteine
„Wir entschieden, uns der etablierten Initiative von Gunter Demnig anzuschließen“, berichtet Caspers-Merk. Vor mehr als 30 Jahren hat der Performance-Künstler das Projekt Stolpersteine, die an die Opfer des NS-Regimes erinnern, ins Leben gerufen. Lokale Initiativen wie die in Kirchen können sich anschließen, was Lörrach, Müllheim, Sulzburg, Weil am Rhein, Schopfheim und auch Grenzach-Wyhlen schon getan haben.
Auf diese Weise erinnern mittlerweile etwa 120 000 Stolpersteine in ganz Europa an Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden. Die Stolpersteine fertigt Demnig mit seinem Team, auf den faustgroßen Betonwürfeln befindet sich eine Messingplatte, auf der Name und Lebensdaten stehen. Kosten: 120 Euro. Diese werden vor dem jeweiligen Wohnhaus des Opfers in den Boden eingelassen. Der Arbeitskreis wird über Spenden finanziert und erfährt breite Unterstützung.
Erinnerungsarbeit ist bedeutender denn je
Mittlerweile wurden in Kirchen 21 Stolpersteine verlegt. Am 6. November – drei Tage, bevor sich die Reichspogromnacht jährt – werden noch einmal zehn verlegt. Laut Caspers-Merk folgen 2026 weitere Verlegungen , die entsprechenden Biografien lägen bereits vor. „Diese Erinnerungsarbeit ist bedeutender denn je“, betont sie.
Spenden und Verlegung am 6. November
Ein Stolperstein
kostet 120 Euro, für diese kann man eine Patenschaft übernehmen. Der Arbeitskreis nimmt gerne auch kleinere Spenden an. Auf der Homepage www.stolpersteine-efringen-kirchen.de findet man die Biografien der Vertriebenen (auch den Brief von Sophie Kessler) sowie ein Unterstützungsformular mit der Bankverbindung.
Am 6. November um 15 Uhr
werden an den Adressen Bergrain 1 und 4 sowie in der Basler Straße 57 zehn weitere Stolpersteine durch den Werkhof verlegt, Interessierte sind willkommen.