Im Prozess gegen die 36-jährige Albstädterin, die sich wegen Kindstötung verantworten musste, hat die Erste Große Strafkammer des Landgerichts Hechingen das Urteil gesprochen.
Acht Jahre Freiheitsentzug hatte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer beantragt, der Verteidiger wollte es bei drei Jahren bewenden lassen – und das Gericht hat sich nun – sehr präzise – für den Mittelweg entschieden und die Angeklagte wegen vollendeten Totschlags zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.
Was hat die Angeklagte am 29. März zu jenem Verhalten motiviert, das mehr oder weniger mittelbar zum Tod ihres neugeborenen Säuglings führte? Die Große Strafkammer hat drei Verhandlungstage lang nicht wenig Mühe darauf verwendet, eine Antwort auf diese Frage zu finden; am Ende musste der Vorsitzende einräumen, dass es nicht gelungen sei. „Wir wüssten es gerne; wir wissen es nicht.“
Wahrscheinlich weiß es die Angeklagte selbst nicht – bis zum Ende der Beweisaufnahme hatte sie darauf beharrt, sie habe von ihrer Schwangerschaft nichts geahnt, das Neugeborene, das nicht schrie, für tot gehalten und den vermeintlichen Leichnam dann in ein Handtuch gewickelt und in die Waschmaschine gelegt, die ihr ahnungsloser Lebensgefährte einige Zeit später einschaltete. Dass sie nicht aktiv die Vitalfunktionen des Babys untersucht und Lebenszeichen provoziert habe, räumte sie ein – „mein einziger Fehler“ – , aber im übrigen schien sie der Meinung zu sein, sie habe sich nichts vorzuwerfen und sei selbst das Opfer einer Verkettung von unglücklichen Umständen.
„Nicht einer, sondern viele Fehler“
In diesem Punkt widersprach ihr der Vorsitzende eindringlich: „Sie haben nicht nur einen, sie haben viele Fehler gemacht.“ Unter Berufung auf die psychologischen und gynäkologischen Sachverständigen vertrat er die These, dass die Angeklagte ihre Schwangerschaft allein deshalb nicht als solche wahrgenommen habe, weil sie sie nicht wahrhaben wollte. Zwar habe sie ihren Zustand nicht vorsätzlich vor ihrer Umgebung geheimgehalten, wie die Staatsanwaltschaft unterstellte; sie habe es aber unbewusst vermieden, sich der Realität zu stellen und dafür alles, was auf eine Schwangerschaft hindeutete, in eine andere Richtung – die Stichworte lauteten Zyste und Magen-Darm-Verstimmung – interpretiert.
Nicht umbringen – nur verbergen
Ein Verhalten, dass nach Einschätzung des Richters nicht von ungefähr kam und Methode hatte: Die Angeklagte neige dazu, Konflikten mit Hilfe kleiner oder großer Unwahrheiten aus dem Weg zu gehen; sie lüge lieber anderen und auch sich selbst etwas vor, als Farbe zu bekennen und Probleme zum Austrag zu bringen. Paradigmatisch dafür sei ihre Reaktion auf die unerwartete Niederkunft: Nein, sie habe ihr Baby nicht umbringen wollen, sie habe es lediglich beiseite schaffen und verstecken wollen, damit kein anderer es sah oder hörte.
Bei dieser Camouflage sei sie zwar so methodisch vorgegangen, dass Schuldunfähigkeit für sie nicht in Betracht komme, dabei aber überaus kurzsichtig – sie habe ihre Schwangerschaft noch gegenüber Rettungssanitätern und Notärztin geleugnet, als es schlechterdings nichts mehr zu leugnen gab. Letztlich habe nicht böser Wille, sondern diese kurzsichtige Verstocktheit das kleine Mädchen das Leben gekostet.
Das Motiv bleibtweiter rätselhaft
Eine gewisse Logik mag dieses Verhalten gehabt haben, wenn auch eine verquere – aber was war das Handlungsmotiv der Angeklagten? Sie musste nicht mit nennenswertem Widerstand ihrer Familie oder des Partners gegen ihre Schwangerschaft rechnen; es gab auch keinen Lebensentwurf, den diese zunichte gemacht hätte; spätestens nach der Geburt des Kindes hätte das Versteckspiel ein Ende haben müssen. Mildernde Umstände, etwa die Überraschung, mochte das Gericht einer 35-Jährigen nicht mehr zugute halten. Der Vorsitzende empfahl ihr am Ende, Licht in das eigene Dunkel zu bringen und sich therapieren zu lassen – in ihrem ureigensten Interesse. Gegen das Urteil kann keine Berufung, wohl aber Revision eingelegt werden.