Feierlicher Beginn der Veranstaltung Foto: Roland Stöß

Mit der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg. Im Landratsamt Calw erinnerte man sich 80 Jahre später an diese schlimme Epoche deutscher Geschichte.

Bei der zweistündigen Feier wurde offenbar, was angemessenes Gedenken und Erinnern bedeutet und welche Lehren aus der Geschichte mit Sicht auf die heutige Zeit gezogen werden können. Der Begriff „Verantwortung“ nahm einen bedeutenden Raum in den Grußworten und Referaten ein.

 

Die deutsche Historikerin und Autorin Benigna Schönhagen sprach von einem „Erbe, das nicht ausgeschlagen werden kann“. Die Honorarprofessorin der Universität Tübingen beleuchtete die Entwicklung und die Perspektiven, die mit unserer Erinnerungskultur verbunden sind.

Fragen verdrängt

Im Wort „Verantwortung“ ist das Wort „Antwort“ enthalten. „Doch um Antworten zu erhalten, ist es wichtig, dass Fragen gestellt werden.“ „In Familien und sonstigen Begegnungen sollten Räume geschaffen werden, damit ohne Vorverurteilung über die Vorfahren gesprochen werden kann.“ Früher wurden Fragen verdrängt. Heut fragt man sich, wie man damit umgehen kann, wenn man erfährt, dass der eigene Großvater dem Nazi-Regime zugerechnet werden konnte.

An die Lehren erinnern Heute ist die Ausgangslage eine andere als vor 40 Jahren. Dort lebten noch viele der Täter; oft sogar in maßgeblichen Stellungen beschäftigt. Schönhagen erinnerte an das lang anhaltende Schweigen über die NS-Zeit. Das offizielle Bekenntnis zur Verantwortung Deutschlands für seine schuldhafte Vergangenheit und der ehrliche Umgang mit der Geschichte war mühsam. „Weltweit betrachtet steht Deutschland heute im Umgang mit seiner eigenen Vergangenheit als Vorbild da.“ Doch häufen sich aktuell andere Stimmen von politischen Rändern.

„Nie wieder“

Schönhagen resümierte, dass man jahrzehntelang fälschlicherweise von einem „gesicherten Frieden in Europa“ ausging. Heute sterben, keine zwei Flugstunden entfernt, wieder Menschen in einem Krieg. „Wenn wir uns heute an das Kriegsende vor 80 Jahren erinnern, ist es wichtig, an die Lehren zu erinnern, die aus diesem Armageddon gezogen werden.“ Die Professorin stellte die Losung „Nie wieder“ in den Raum.

Podiumsdiskussion In einer Podiumsdiskussion näherte man sich der Antwort auf die Frage „Welche Verantwortung haben wir aufgrund unserer Geschichte heute?“ an. Der lange in Nagold praktizierende Arzt Fredy Kahn referierte über sein Leben als jüdischer Mitbürger in seiner Heimatstadt Baisingen. Kahns Vater überlebte vier Jahre in Konzentrationslagern.

Der Geschäftsführer des Evangelischen Bildungswerks, Tobias Götz, verwies auf die positiven Erfahrungen, die man mit Veranstaltungen „wie dieser heute“ macht. Es müssen Gesprächsräume und Orte der Verständigung angeboten werden, in denen sich Menschen mit anderen Meinungen auseinandersetzen können.

„Nur Pflicht getan“

Nagolds Stadtarchivarin Claire Hölig räumte mit den positiven Schilderungen über den Nagolder Ehrenbürger Hermann Maier auf. Diesem wurde zeitweise nachgesagt, er wäre ein Gegner des Regimes gewesen. Hölig zählte Aktivitäten Maiers auf. Diese widersprechen diesem positiven Bild. Maier berief sich im Nachhinein, dass er „als Beamter nur seine Pflicht getan hat“. Kreisarchivar Kilian Spiethoff beleuchtete die Machtergreifung und Geschehnisse während des Nationalsozialismus aus der Sicht des Kreises.

Für Landrat Helmut Riegger ist der Blick auf die Vergangenheit „nicht dazu da, um Schuld zu benennen, sondern um zu verstehen, wie wertvoll Demokratie und Menschlichkeit ist“. Riegger bezeichnete den Weg von der Gewaltherrschaft in die heutige Demokratie als eine große Leistung von entschlossenen Menschen. „Der Blick in die Geschichte ist ein Blick in den Spiegel unserer Stärken und Schwächen. „Er ermöglicht, die Zukunft zu gestalten sowie Verantwortung für ein geeintes Europa zu übernehmen.“

Nicht unbelastet

Der Erste Landesbeamte Frank Wiehe erzählte, dass auch seine Vorfahren nicht unbelastet waren. Mit dieser „sehr persönlichen Botschaft“ verbindet Wiehe eine „klare Haltung gegen Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus; gegen die Verächtlichmachung unserer Demokratie und gegen die Wissenschaftsfeindlichkeit“. Stattdessen tritt Wiehe für einen „differenzierten Blick auf den einzelnen Menschen und seine Würde, geschützt durch unser Grundgesetz“ ein. „Aus der Geschichte zu lernen, heißt auch, die Feinde der Demokratie nicht zu unterschätzen.“ „Wir müssen den Mut haben, uns gegen Verfassungsfeinde mit rechtsstaatlichen Mitteln zu wehren.“

Der Autor des Buches „Der Kreis Calw in der Zeit des Nationalsozialismus“, Gabriel Stängle, berichtete in Auszügen von „grausamen Zwangssterilisationen und eugenischen Abtreibungen,“ die auch im Landkreis Calw systematisch durchgeführt wurden.

Buch mit 704 Seiten

Co-Autor Thorsten Trautwein brach Aspekte der nationalsozialistischen Herrschaft auf den Landkreis herunter. Trautwein bewarb das soeben erschienene Buch. Dieses umfasst 32 Aufsätze, geschrieben von 23 Autoren. 262 Fotos mit Personen und entlarvenden Darstellungen machen das Buch besonders interessant, da hier die Region Nordschwarzwald abgebildet wird. Für 30 Euro erfährt der Leser auf 704 Seiten, was damals „in der unmittelbaren Nachbarschaft“ geschah.

Besinnliche Lieder Die Christophorus Kantorei Altensteig begleitete das Programm mit besinnlichen Lieder wie der hebräischen Volksweise „Shalom chaverim“ und dem zur Nachdenklichkeit anregenden „Wie liegt die Stadt so wüst.“

Der jüngste Diskussionsteilnehmer Tobias Dehmel, Vorsitzender des Dachverbandes der Jugendgemeinderäte, bot den Zuhörern das Motto, das für seine Altersgruppe stehen kann, an: „Wir können zwar nichts dafür, was in der Vergangenheit passiert ist, doch tragen wir Verantwortung dafür, wie die Zukunft ausgestaltet wird.“

Info zum Buch: ISBN 978-3-945178-20-1, MORIJA gGmbH, www.morija.de