So sah die Fabrik um 1950 aus. Foto: Stadtarchiv Balingen

„Deutsche Qualitätsware zu volkstümlichen Preisen“: Damit warb vor gut 150 Jahren Georg Strasser für die Schuhe aus seiner Fabrik. Seit dem ist viel Wasser die Eyach hinabgeflossen – und es gab jede Menge, auch hochtrabender Pläne für das Areal.

Die Balinger haben ihre Plaza lieb gewonnen seit der Gartenschau 2023. Der übergroße, weiße Schriftzug aus Stein weist das ehemalige Strasser-Areal als Royan-Platz aus – ein Ort für Konzerte, den Weihnachtsmarkt oder die gemütliche Mittagspause. Geht es nach dem Willen der Bürger soll das trotz der geplanten Bebauung – die Wohnbau will ein Wohn- und Geschäftshaus errichten – auch so bleiben.

 

Dabei hätten die Balinger längst einen Einkaufstempel haben können: 2009 hätten die Eyach-Arkaden eröffnet werden sollen, ein stilisiertes Segel als architektonische Hommage an den abgerissenen Fabrikschornstein inklusive.

Abrissunternehmen geraten sich in die Haare

Der stand länger, als damals gedacht. Erst im Oktober 2013 kam die Abrissbirne zum Einsatz. Zunächst hatten Anwohner Bedenken geäußert und vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen erfolglos geklagt, dann waren sich zwei Abrissunternehmen in die Haare geraten.

Für die Eyach-Arkaden wurde schon geworben. Foto: Stadtarchiv Balingen

Es scheinen einige Leute felsenfest an die Eyach-Arkaden geglaubt zu haben, bereits im Januar 2013 wurden Wohnungen im Internet angeboten. Und auch potenzielle Mieter standen in den Startlöchern: Media-Markt, New Yorker und der Drogeriemarkt Müller wollten unter anderem einziehen.

Eine Brauereigaststätte hatte Interesse

20 Millionen hätte der Neubau kosten sollen. Geld, das nie ausgegeben werden musste. Nach dem Rückzug der dicksten Fische unter den Handelsketten gaben das Planungsbüro Activ-Group und die Balinger Wohnbau das Projekt auf.

Es ging auch um jede Menge Schotter, wortwörtlich: was nach dem Abbruch der Schuhfabrik übrig blieb, wurde am Bahnhof ausgestreut.

Die Ideen für die Nutzung des Areals gingen nicht aus. Eine Brauereigaststätte äußerte 2015 Interesse.

Im selben Jahr legt der Engstlatter Projektentwickler PMG eine verschlankte Planung für die Eyach-Arkaden vor. Unter anderem die Modekette H&M hob den Daumen – entschied sich 2016 allerdings für den Standort Ebingen.

Die turbulente Geschichte des Gebäudes

Die Firma Strasser, einst ein Aushängeschild von Balingen, ist längst Geschichte – vergessen aber ist sie nicht.

Balingens Stadtarchivarin Nicole Scheletz kann aus einem reichen Fundus aus Dokumenten und historischen Fotos schöpfen.

Unserer Redaktion hat sie Einblick gewährt in die turbulente Geschichte des Gebäudes, in dem nach dem Auszug des Kundendienstes von Bizerba und nach dem Kauf durch die Stadt 1994 neue Mieter einzogen: das Volkstheater probte im Backsteinbau, der Balinger Rockverein hatte dort seinen Sitz und die Rumänienhilfe veranstaltete Flohmärkte.

„Ich habe hauptsächlich Heeresgut anzufertigen“

Erbaut wurde das Fabrikgebäude anno 1889 von Carl Martz, vier Jahre später verkaufte der Schnupftabak-Hersteller es an den Schuhfabrikanten und Namensgeber Jakob Strasser. Dessen Vater Georg hatte seit 1858 eine kleine Manufaktur für Schuhe.

Mit der Dampfmaschine kam der Aufschwung. Strasser erweiterte das Gebäude kontinuierlich. Der Schornstein wurde hochgezogen, weitere Fabrikgebäude und das Wohnhaus des Chefs errichtet. Strasser gönnte sich auch ein luxuriös anmutendes Büro mit Holzvertäfelungen bis zur Decke.

Von dort aus schrieb Strasser am 21. August 1941 einen Brief an das Bürgermeisteramt: Der Hof brauche eine neue Überdachung, er melde Bedarf an Eisen an – schwer zu beziehen in Kriegszeiten.

Das war 2003 der Blick von der Herrenmühlenstraße aus, in welcher unsere Redaktion liegt. Foto: Stadtarchiv Balingen

Doch der Schuhfabrikant hatte eine Begründung: „Ich habe hauptsächlich Heeresgut anzufertigen.“ Wenn es regne, würden die Stiefel für die Soldaten nass.

Dass um den Jahrtausendwechsel herum Jugendliche bei Strasser rauschende Parties feiern, sämtliche Scheiben einschlagen und die Wände mit Graffitis besprayen würden – zu den altehrwürdigen Strasser-Zeiten unvorstellbar.