Gesundheitsamtsleiter Jochen Früh, Landrat Sven Hinterseh und Ärztin Karin Todoroff sprechen über den Ernst der Lage. Foto: Spitz

Neue Anlaufstelle im Krisenmodus. Verdachtsfälle sollen Arztpraxen fern bleiben.

Schwarzwald-Baar-Kreis - Es ist die Szenerie wie aus einem Kriegsfilm. Nur, dass die Kulisse für diesen Streifen nicht Hollywood wäre, sondern die Halle des Tennisclubs Schwenningen hinter dem Messegelände. Und die Protagonisten sind keine Schauspieler, sondern es ist die Bevölkerung des Schwarzwald-Baar-Kreises, um deren Schutz es hier geht.

Auch wenn es kein Lazarett ist, sondern "lediglich" die neue Fieberambulanz im Schwarzwald-Baar-Kreis, die Landrat Sven Hinterseh, Oberbürgermeister Jürgen Roth, der Leiter des Kreis-Gesundheitsamtes Jochen Früh und die Bad Dürrheimer Ärztin Karin Todoroff als Notdienstbeauftragte der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) im Schwarzwald-Baar-Kreis, an diesem Sonntagabend zeigen - der Ernst der Lage wird klar: Unter dem gewölbten Dach der Tennishalle sind alle Organisationen des Katastrophenschutzes in der Region dabei, Zelte aufzubauen. Fünf Behandlungsfälle für die Verdachtsfälle, eines für die Bürokratie, etwa das Ausdrucken der Überweisungen oder Rezepte, und auch ein Sauerstoffzelt – die Sauerstoffflaschen stehen zwischen mit Absperrgittern errichteten Wänden und extra-breiten Fluren schon bereit. Und auch die Schutzausrüstung liegt, in ausreichender Anzahl, "zumindest für derzeit", parat – eine Vollausrüstung, "Maske, Kopfbedeckung, Kittel – so wie im OP". Doch auch die Gesichter der vier spiegeln den Ernst wider – auch wenn, oder gerade weil das von Karin Todoroff zur Hälfte unter einem Mundschutz verborgen ist.

Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein

175 erwiesenermaßen mit dem Coronavirus Infizierte wurden schon registriert in der Region. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein. Und man will sich rüsten hinsichtlich der stetig steigenden Fallzahlen. Zu dieser Strategie gehört es nun auch, dass die so genannten Verdachtsfälle auf keinen Fall mehr bei den Hausarztpraxen in der Region aufschlagen sollen. Rund zehn von ihnen seien im Schwarzwald-Baar-Kreis schon geschlossen – entweder weil der Arzt selbst infiziert ist oder ein Mitarbeiter der Praxis. Doch die ärztliche Versorgung soll auch für all jene gewährleistet bleiben, die eben nicht an dem fiesen Virus leiden, sondern an Gebrechen und Schmerzen jedweder Art.

Newsblog zur Ausbreitung des Coronavirus in der Region

Ein Anruf beim Hausarzt soll für alle, die fürchten, am Coronavirus erkrankt zu sein, die erste Maßnahme überhaupt sein. Dieser füllt den Anamnese-Bogen aus, für den die Patienten ihre Telefonnummer und sogar ihr Autokennzeichen angeben sollen – beides ist später wichtig, falls sie eine Überweisung für die so genannte Fieberambulanz erhalten werden. "Es ist wichtig, dass die wirklich schwerwiegenden Fälle nicht lange im Auto draußen warten müssen", sondern von den Security-Leuten direkt in der Warteschlange der wartenden Autos identifiziert und in die Ambulanz hereingeholt werden, macht Karin Todoroff deutlich. Und auch das ist neu im Vergleich zur Abstrichstelle am Messegelände, die mit Aufnahme des Betriebs in der Fieberambulanz am Montag, 30. März, um 13 Uhr, stillgelegt wird: Die Patienten sollen das Auto nicht verlassen müssen, ehe ihre Behandlung in einem der fünf Behandlungszelte in der Tennishalle beginnt. So wenig Kontakt wie möglich – das ist die Devise.

Nach positivem Test munter weiter verkauft? Jetzt soll die Polizei im Dorf ermitteln

"Wir sind in einer ernsten Situation", unterstreicht Landrat Sven Hinterseh zum x-ten Mal im Rahmen dieses Pressegesprächs. Und wenig später wird klar, warum der Landrat so ungehalten scheint, obgleich die Straßen in seiner Region doch längst wie leergefegt scheinen. Manchmal, stellte er fest, da trüge der Schein offenbar. Extrem ärgerlich sei beispielsweise das Verhalten in einem Dorf des Landkreises unlängst gewesen. Dort sei man "phlegmatisch mit der Situation umgegangen": Freizeitsportler seien mit dem Bus nach Ischgl gefahren zum Skifahren – zurückgekehrt und davon erfahren, dass Ischgl zum Risikogebiet erklärt worden sei, hätte mindestens einer von ihnen wenig später sogar ein positives Testergebnis erhalten. Doch anstatt sich, wie angewiesen, unverzüglich in Quarantäne zu begeben, habe er seinen Beruf offenbar weiter ausgeübt und munter weiter Verkaufsgespräche geführt. Infektionsketten, die Fälle wie dieser auslösten, seien irgendwann so lang, dass sie nicht einmal mehr zurückverfolgt werden könnten, schildert Karin Todoroff. "Das ist Vorsatz", setzt Jürgen Roth hinzu und Sven Hinterseh betont, diesen und einen weiteren Fall habe man der Polizei übergeben, um die Sache zu prüfen. Denn klar ist: Ein solches Verhalten, sollte all das so zutreffen, sei schlichtweg rechtswidrig. "Wir akzeptieren so etwas nicht!"

Nicht nur Alte und Schwache können schwer krank werden

Und dann ist da noch die Grauzone, die tiefe Sorgenfalten in des Landrats Stirn gräbt: Senioren, die anstatt einen der zahlreich angebotenen Einkaufsservices zu nutzen, tagtäglich in den Supermarkt marschieren, Familien beim Kindergeburtstag-Feiern oder unter Quarantäne stehende Kreisbewohner, die sich Dienstleister – etwa Handwerker – "ins Haus holen". "Das verstößt ganz klar gegen die Auflagen!"

Panik zu verbreiten, liege ihnen fern, betonen Hinterseh und Roth. Ihre Sorge aber können sie nicht verbergen. "Die Pandemie, die bisher stattfindet, war noch nie da, die Infektionswege sind viel zu unbekannt", erläutert die Ärztin und betont: "Kinder als auch Erwachsene, nicht nur Alte und Schwache, können von einem Tag auf den anderen schwer krank werden!"

Warum, so eine Frage, richtet man nun diese Fieberambulanz in der benachbarten Tennishalle ein, anstatt auf dem Messegelände zu bleiben. "Die Messe war zu groß – und zum Schluss für uns auch zu teuer", winkt Hinterseh ab. Aber: Der spitze Bleistift werde nicht jetzt, sondern erst nach überstandener Krise gezückt. Und: "Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um über Zuständigkeiten zu beraten, wir brauchen Lösungen!" Eine davon ist es offenbar, dass der Landkreis sich hier mit seinen Katastrophenschutzorganisationen stärker einbringt, als vorgesehen.

86-Jähriger darf nach Oberschenkelhalsbruch nicht zurück in sein geliebtes Seniorenheim

Im Hintergrund des Pressegesprächs werden längst weitere Bodenmatten ausgerollt und wird von den unermüdlichen Helfern Hand an das Sauerstoffzelt angelegt, als vorne Erfahrungen ausgetauscht werden von den jeweils ersten Männern des Landkreises und des Oberzentrums Villingen-Schwenningen.

Letzterer hat seine liebe Mühe mit Pferdeliebhabern, die nicht akzeptieren wollen, dass sie ihr geliebtes Pferd eben nicht mehr in der Halle, sondern nur noch draußen ausreiten dürfen und auch nicht die Zeit für Einzelunterricht am Ross ist. Der Landrat hingegen lässt den Gesundheitsamtsleiter Jochen Früh ungewohnt offen zum Fall eines 86-jährigen dementen Seniors berichten. Obwohl dieser symptomfrei sei und nicht mit dem Coronavirus infiziert zu sein scheint, darf er nach der Behandlung seines offenen Oberschenkelhalsbruchs im Schwarzwald-Baar-Klinikum vorerst nicht mehr zurück in sein gewohntes Villinger Seniorenheim. Die Klinik, stellt Früh klar, sei eines der ersten Zentren des Coronavirus im Kreis gewesen – die Sorge, dass Patienten sich hier "etwas geholt haben", ist groß – und die Vorstellung ähnlich wie in Wolfsburg könnte das Virus in einem Altenpflegeheim grassieren, ist der blanke Horror. Deshalb die eiserne Regel: Zunächst geht es in Quarantäne in eine der Reha-Kliniken im Kreis und erst dann dürfen Patienten wie der 86-Jährige wieder zurück, in ihre gewohnte Umgebung. Gewohnheit – sie wird zum Sehnsuchtsbegriff in diesen Tagen und vor einer Kulisse wie der Fieberambulanz, in der ab Montag, 13 Uhr, zehn bis zwölf Mitarbeiter in Voll-Schutzausrüstung Dienst tun werden.