Ralf Broß im Interview mit dem Schwarzwälder Boten Foto: Stadt Rottweil

Oberbürgermeister der ältesten Stadt Baden-Württembergs freut sich über Bürgerbeteiligung. Interview

Rottweil - 2016 wurde die Stadt Rottweil für besonders bürgerfreundliches Verhalten mit dem Demokratie-Preis ausgezeichnet. Im Interview blickt Oberbürgermeister Ralf Broß (parteilos) zurück – auf die Bedeutung der Demokratie-Rose, die Entwicklung und die Verpflichtung.  

Wie geht es denn der Demokratie-Rose? Hat sie noch Wasser oder ist sie schon verblüht?

Symbolisch betrachtet geht es der Rose bei uns in Rottweil immer noch bestens. Im übertragenen Sinne hegen und pflegen wir die Rose, die Staatsrätin Gisela Erler der Stadt überreicht hat, damit sie weiter gedeihen kann. Schließlich war sie Ansporn für weitere Projekte der Bürgerbeteiligung.  

2016 wurde die Stadt Rottweil vom Verein "Mehr Demokratie" mit dem Preis ausgezeichnet. Wie hat sich die Bürgerfreundlichkeit denn hier seither entwickelt?

Wir haben weitere Projekte mit Beteiligung der Bürger vorangebracht. Ich nenne als Beispiele die Dialoggruppe zur Fußgänger-Hängebrücke, die Projekte "Agenda 2030" für eine nachhaltige Entwicklung und "Quartier 2020" in der Altstadt. Und nicht zuletzt die großartige Unterstützung unsere Landesgartenschau-Bewerbung durch zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen. Den Zuschlag haben wir insbesondere aufgrund unseres Schwerpunktes einer bürgernahen Landesgartenschau bekommen, bei der die Bürger bei der Gestaltung mitwirken können. Wir prüfen aber auch bei weniger bekannten Projekten, ob und in welchem Umfang Bürgerbeteiligung notwendig und sinnvoll ist. Es findet innerhalb von Verwaltung und Gemeinderat ein Kulturwandel statt: Bürgerbeteiligung wird zunehmend als selbstverständlicher Bestandteil kommunaler Gestaltungsprozesse angesehen.  

Wie waren denn die Reaktionen von außerhalb auf die Auszeichnung mit der Demokratie-Rose?

Sehr interessiert und positiv. Ich möchte daran erinnern, dass wir die Auszeichnung für einen sehr schwierigen Dialogprozess bei der Ansiedlung der Justizvollzugsanstalt Rottweil erhalten haben. Es galt, einen hochemotionalen Konflikt zu befrieden und dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten trotz aller Meinungsverschiedenheiten miteinander fair und sachlich umgehen konnten. Ich wurde wiederholt von Kollegen gebeten, über unsere Erfahrungen hier in Rottweil zu berichten. Der Rottweiler Weg in Sachen Bürgerbeteiligung ist bei Expertenhearings und Tagungen als "Best-Practice-Beispiel" gefragt.

Rottweil war schon zertifiziert. Rottweil ist digitale Zukunftskommune. Rottweil ist mit dem European Energy Award ausgezeichnet. Welchen Stellenwert hat eigentlich die Demokratie-Rose?

Zunächst ist die Demokratie-Rose eine Auszeichnung für alle, die sich im Beteiligungsprozess engagiert haben. Damit wird die Bereitschaft gewürdigt, aufeinander zuzugehen und auf Augenhöhe in den Dialog zu treten. Die Demokratierose hat uns außerdem darin bestärkt, dass ein solcher dialogorientierter Politikstil der richtige, zeitgemäße Weg ist. Bürger wollen sich heute einbringen, mit ihren Argumenten gehört werden. Und sie wollen auf Augenhöhe mit den Verantwortlichen kommunizieren. Dafür gilt es, den geeigneten Rahmen zu schaffen. Zu den organisatorischen Voraussetzungen ist dazu auch der bereits angesprochene Kulturwandel in Verwaltung und Gemeinderat notwendig.  

Ist so eine Auszeichnung für eine Stadtverwaltung eher Bürde oder ebnet sie den Weg?

Sie ist sicherlich auch eine Verpflichtung für die Zukunft, den einmal eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen. Bürgerbeteiligung sollte aber immer bedarfsorientiert erfolgen. Es gilt stets, für jedes Thema das jeweils passende Format zu finden. Es muss nicht immer ein groß angelegter Bürgerdialog oder gar ein Bürgerentscheid sein. Häufig können auch Gesprächsrunden im kleineren Kreis, etwa mit den direkt Betroffenen, eine gute und unkomplizierte Lösung darstellen. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre fließen übrigens in einen Beteiligungsleitfaden für die Verwaltung ein. Damit wollen wir unseren Mitarbeitern ein Instrument an die Hand geben, um Beteiligungsprozesse in der Zukunft ebenso erfolgreich zu gestalten.  

Lohnt es sich für eine Kommune, die Bürger so intensiv in Prozesse und Projekte einzubeziehen? Wäre es nicht kostengünstiger, einfach den Gemeinderat entscheiden zu lassen?

Auf den ersten Blick mag das so sein. Ein quälend langer gesellschaftlicher Konflikt in einer Kommune kann sich aber auch zu einer kostspieligen Sache entwickeln. Unterm Strich fährt eine Gemeinde günstiger, wenn sie im Konfliktfall frühzeitig in einen Dialog eintritt. Der "klassische" Weg in der Kommunalpolitik ist und bleibt aber nach wie vor die repräsentative Demokratie. Alle Entscheidungsprozesse mit Bürgerbeteiligung auszugestalten, wäre weder leistbar noch ist dies notwendig, denn der überwiegende Teil der Gemeinderatsbeschlüsse findet auch so eine breite gesellschaftliche Akzeptanz. Schließlich entscheiden hier die gewählten Vertreter der Bürgerschaft.  

Gibt es für Sie Themen, die sich für eine Bürgerbeteiligung nicht eignen?

Ganz grundsätzlich betrachtet gibt es Themen, die außerhalb der Spielräume kommunaler Selbstverwaltung liegen. Hier haben wir gesetzliche Verpflichtungen, die wir umsetzen müssen. Ein Beispiel ist etwa das Straßenverkehrsrecht. Innerhalb der kommunalen Selbstverwaltung sind die Möglichkeiten einer Bürgerbeteiligung unterschiedlich stark gegeben. Bürgerbeteiligung im Sinne von Mitgestalten ist zum Beispiel im Rahmen von Workshops möglich, wenn es an eine konkrete Ausgestaltung geht. Ich denke da zum Beispiel an die Bürgerbeteiligung zur Umgestaltung von "Rottweil Mitte" oder künftig zur Gestaltung der Daueranlagen bei der Landesgartenschau. Im Sinne einer Anhörung oder eines Dialogs ist Bürgerbeteiligung dagegen zu allen kommunalen Themen denkbar. Hier geht es darum, die Argumente der Bürger aufzunehmen und in den Abwägungsprozess für eine Entscheidung einfließen zu lassen, die letztlich dann die gewählten Bürgervertreter im Gemeinderat treffen. Wichtig ist aber, hier auch das Zeitbudget sowohl von Bürgern als auch von der Verwaltung nicht zu überfordern: Beteiligung sollte dort stattfinden, wo sie durch Konfliktlagen notwendig ist oder kreatives Potenzial der Bürgerschaft eine bessere Gestaltung konkreter Projekte hervorbringen kann.