Beim ersten Prozesstag vor dem Amtsgericht Horb waren die Eltern aus der Reichsbürgerszene untergetaucht. Sie werden angeklagt, weil sie ihr Kind nicht zur U-Untersuchung gebracht haben. Der Prozess könnte Justizgeschichte schreiben.
Der Fall ist tragisch, sagt Verteidiger Rüdiger Kaulmann. Weil ein Kind gestorben ist. In der Pause fügt er noch hinzu: „Unabhängig von der strafrechtlichen Verantwortung der Eltern.“ Doch jetzt kommt raus: Der Prozess um ein Reichsbürger-Kind vor dem Amtsgericht Horb könnte Justizgeschichte schreiben.
Frank Grundke, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Rottweil: „Tatvorwurf ist fahrlässige Tötung durch Unterlassen der Veranlassung rechtzeitiger ärztlicher Versorgung eines Kindes.“
Klartext: Die Eltern sind der fahrlässigen Tötung angeklagt. Unter anderem, weil sie ihr Kind nicht zur U-Untersuchung gebracht haben.
Am ersten Prozesstag, an dem die Eltern nicht gekommen sind und auch die Polizei niemanden antraf, kam heraus: Die Eltern hatten ihr Kind bei der Geburt nicht bei den Behörden angemeldet. Es war eine Hausgeburt. Das kam, so bestätigt der Ortsvorsteher, erst bei der Beerdigung heraus: „Das war ganz schön umständlich, das Kind nachzumelden.“
Anklage nur, weil die Eltern Reichsbürger sind?
Das zweieinhalbjährige Kind, so heißt es im Ort, sei bei einem Besuch der Eltern bei Bekannten erstickt.
Ein ungewöhnlicher Tatvorwurf. Geht es hier bei der Anklage um die Lebensweise der Eltern? Laut Staatsanwaltschaft gehören sie zur Szene der „Selbstverwalter oder Reichsbürger.“ Hätte die Teilnahme des Kindes an den regelmäßigen U-Untersuchungen das Leben des Kindes retten können? Haben die Eltern durch den Verzicht auf U-Untersuchungen das Kindeswohl gefährdet?
Müssen Eltern zittern, wenn sie keine Kinderarzt-Termin bekommen?
Eine heikle Frage angesichts der Kinderarzt-Krise in Horb. Viele Eltern fragen sich: Mache ich mich strafbar, wenn ich mangels Kinderärzten gar keine U-Untersuchung bei meinem Kind machen lassen kann?
Eine Sprecherin des Sozialministeriums Baden-Württemberg: „Die Krankenkassen zahlen die U-Untersuchungen, überwachen aber nicht die Einhaltung der Untersuchungen durch die Eltern. Die Teilnahmepflicht ist im Kinderschutzgesetz Baden-Württemberg des Landes verankert. Das Kinderschutzgesetz sieht keine Sanktionen und kein Tracking vor. Der Öffentliche Gesundheitsdienst muss die Einhaltung dennoch im Blick behalten und sollte dann auch gegebenenfalls das Jugendamt einschalten.“
Überprüft mich das Gesundheitsamt, wenn ich U-Untersuchung verpasse?
Die Sprecherin des Sozialministeriums: „Der Öffentliche Gesundheitsdienst fordert nicht aktiv zur Durchführung einer regulären U-Untersuchung auf. Ein Sonderfall stellt hier die Einschulungsuntersuchung dar, im Rahmen dieser ein Nachweis der gesetzlich vorgeschriebenen Früherkennungsuntersuchungen (U-Untersuchungen) verpflichtend ist.“
Klartext: Die Einschulung ist der erste offizielle Akt, an dem die Teilnahme an U-Untersuchungen überprüft werden.
Die Sprecherin weiter: „Falls bei der Einschulungs-Untersuchung auffällt, dass die letzte reguläre U-Untersuchung versäumt wurde, weist der Öffentliche Gesundheitsdienst die Sorgeberechtigten auf die Teilnahmepflicht an den U-Untersuchungen in Baden Württemberg hin und fordert die Sorgeberechtigten zur Nachholung der versäumten U-Untersuchung auf.“
Wollten die Reichsbürger-Eltern ihr Kind nie zur Schule schicken?
Allerdings: Einige Angehörige der „Selbstverwalter“ oder Reichsbürgerszene lehnen nicht nur den Staat ab, sondern auch die staatliche Schule. Möglich, dass die Eltern ihr Kind deshalb nicht bei den Behörden angemeldet hatten und geplant hatten, ihr Kind selbst zu unterrichten.
Davon unabhängig ist die Frage, ob bei dem Vorfall, bei dem das „Reichsbürger-Kind“ gestorben ist, der Notarzt gerufen wurde. Ob das rechtzeitig geschehen ist und was bei diesem Einsatz passiert ist.
Was bedeutet der Haftbefehl gegen die Reichsbürger-Eltern?
Es bleibt also spannend. Richterin Jennifer Dallas-Buob hatte beim ersten Prozess eine polizeiliche Vorführung angeordnet und dann Haftbefehl erlassen.
Dieser Fall des Reichsbürger-Kinds vor dem Amtsgericht Horb könnte Justizgeschichte schreiben. Die Frage ist auch, wie schwer der Verlust des Kindes die Eltern – unabhängig von Reichbürgertum – getroffen hat. In Paragraf 60 des Strafgesetzbuchs steht: „Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre.“