Seit zwei Jahren weiden Tiere in einem Teil des Gechinger Walds. Das soll den Fledermäusen helfen. Zeit für ein Zwischenfazit.
Im Gechinger Masenwald ist ein etwa 8,5 Hektar großes Gebiet eingezäunt. Aktuell stehen die Tore offen, das Gehege ist leer. Aber Schilder informieren, was sich hier in wärmeren Monaten abspielt. Dann weiden dort nämlich Rinder und Ziegen zwischen den Bäumen. Dadurch lichten sie den Wald, die Sonnenstrahlen erreichen den Boden. Und alles, was die Tiere im Wald als Nahrung finden, scheiden sie dort auch wieder aus.
Altes Konzept aus neuem Grund
Genau das ist auch der Grund, warum diese Tiere überhaupt im Wald weiden. Denn das Projekt „Waldweide“ ist der Teil der Ausgleichsmaßnahmen für die Reaktivierung der Hermann-Hesse-Bahn (HHB). Der lichtere Wald und der Tierkot fördern die Insektenvielfalt. Und diese Insekten wiederum sind die Nahrungsgrundlage für Fledermäuse. Fledermäuse, wie die, die bisher in den Bestandstunneln der HHB leben. Für die soll die Waldweide ein „Ausweichquartier“ sein, wie das im Behördendeutsch heißt.
Weidewälder sind aber kein neues Konzept. Bis ins 19. Jahrhundert war es üblich, Tiere zur Futtersuche in den Wald zu treiben. Doch dann begann der Prozess der Verstaatlichung des Forstwesens. Die Wälder sollten jetzt primär Holzlieferanten sein. Tiere, die Pflanzen abknabbern und so den Baumbestand verringern, störten da nur. Und die Praxis Tiere im Wald zu weiden, hatte teilweise dafür gesorgt, dass – zum Beispiel in Hessen – ganze Wälder verschwanden. Diese Gefahr droht in Gechingen nicht. Hier macht die Waldweide flächenmäßig nur einen kleinen Teil des Gesamtwaldes aus.
Genug Futter für sechs Rinder und zehn Ziegen?
Im Masenwald hat die Waldweide nun ihr zweites Jahr hinter sich. Sechs Limousin-Rinder vom Waldhof der Familie Böttinger und zehn Ziegen der Familie Esslinger weiden dort. 2024 blieben die Tiere von September bis Oktober im Wald, 2025 von Mai bis Juli. „Der Weidebeginn, die Beweidungsdauer, die Anzahl der Tiere, die Nachpflege werden individuell für jedes Jahr angepasst“, sagt Mara Müssle, Pressesprecherin des Landratsamts, welches das Projekt betreut. Alles hänge von den Faktoren Wetter, Verfügbarkeit der Nahrung und der Flächenentwicklung ab.
„Derzeit sind die Beweidungsperioden recht kurz, da sich das Nahrungsangebot auf den Flächen noch entwickeln muss“, erklärt sie. Doch das Angebot werde sich noch weiter erhöhen, weil sich der Wald durch die Beweidung verändere. Eine Zufütterung sei nicht erlaubt. Die Tierhalter schauten zwei Mal täglich nach den Tieren. Seien Tiere verletzt oder krank, würden sie von der Fläche genommen. Das sei bisher aber noch nicht passiert.
Wolf als Gefahr?
In der Weidezeit bleiben die Tiere Tag und Nacht im Wald. Ist das nicht gefährlich? Immerhin gibt es hin und wieder Tierrisse durch den Wolf in der Region. Gerade Ziegen und Schafe sind hierbei beliebte Beutetiere. Die Tiere seien auf der Gechinger Waldweide durch einen elektrischen Zaun geschützt, so Müssle. Und sie kämen mit der Situation gut zurecht. „Die Tierhalter schätzen die Gefahr durch den Wolf bisher für sehr gering beziehungsweise nicht gegeben ein“, sagt Müssle.
Kommen die Fledermäuse?
Das Landratsamt ist mit dem Projektverlauf zufrieden. Die Beweidung zeige den gewünschten Effekt. Durch den Fraß, das Scheuern und den Tritt schafften die Tiere neue Strukturen. Doch die Entwicklung eines lichten Weidewalds brauche Zeit. Waldweiden gewännen über die Jahre an ökologischem Wert. Aber was ist mit dem Hauptziel der Fledermausansiedelung? „Ob sich bereits mehr Fledermäuse in diesem Gebiet angesiedelt haben, lässt sich derzeit noch nicht sicher bestätigen“, so Müssle. Das nächste Monitoring stehe nämlich erst im kommenden Jahr an. Aber ein Blick in die Fledermauskästen zeige, dass sich dort mehr Fledermäuse eingenistet hätten als in den vergangenen Jahren.
Nebeneffekt: entspannte Tiere
Fledermäuse hin oder her, das Projekt hat auf jeden Fall schon jetzt 16 Gewinner: die Rinder und die Ziegen. Der Wald biete den Ziegen „ein gutes Futterangebot und viele Beschäftigungsmöglichkeiten“, habe der Ziegenhalter berichtet, so Müssle. Dazu kämen die insgesamt große Fläche sowie die Totholzstämme, an welchen sich die Ziegen scheuerten und darauf herumkletterten. Zudem herrsche im Wald im Sommer ein für die Ziegen angenehmes Klima. Insgesamt zeigten die Ziegen auf der Waldweide „ein sehr entspanntes Gemüt“.
Auch die Rinder fühlten sich dort laut Halter sehr wohl, so Müssle. Sie kämen mit dem ungewohnten Nahrungsangebot „hervorragend“ zu recht. Und der Halter habe ein weiteres Phänomen beobachtet: Rinder, die auf der Waldweide waren, brächten ihre Kälber ohne Komplikationen auf die Welt. Der Halter führe das darauf zurück, dass sich die Tiere dort viel bewegten. Dadurch blieben die Rinder „fit und vital“ und bauten mehr Muskeln auf.