Er ist das größte Säugetier der heimischen Wälder, aber wegen intensiver Jagd ist er scheu und nur selten zu sehen: Der Rothirsch zieht sich meist tief in den Wald zurück. Foto: Nationalpark

Übergreifendes Konzept: Wildtiermanager fordert, Tierwohl und Waldwirtschaft in Einklang zu bringen.

Nordschwarzwald - Lässt sich das Rotwild im Nationalpark schützen, ohne große Schäden im angrenzenden Wirtschaftswald in Kauf zu nehmen? Ja, meint Experte Friedrich Burghardt.

Wie das funktionieren kann, erläuterte Burghardt auf Einladung der BUND-Ortsgruppe Freudenstadt bei einem Vortrag. Fritz traut sich nur in der Nacht auf freie Flächen. Tagsüber versteckt er sich im Schutz des dichten Waldes, denn mit Menschen hat er schlechte Erfahrungen gemacht. Der Rothirsch ist eines von sieben Großwildtieren, die derzeit mit GPS-Senderhalsbändern ausgestattet sind, um ihr Verhalten im Nationalpark Schwarzwald zu erforschen.

Beobachtet wird Fritz von Friedrich Burghardt und seinem Team, das sich im Fachbereich "Wald und Naturschutz" des Nationalparks unter anderem um das Rotwild kümmert. Auf rund 400 Tiere schätzt Burghardt den jetzigen Rotwildbestand im Park.

Großwild gilt als "Problemtier"

Deren Populationsentwicklung macht manchem benachbarten Waldbesitzer allerdings Sorgen, wenn die Natur und damit auch die Tierwelt im Nationalpark langfristig auf 75 Prozent der Fläche sich selbst überlassen werden soll. Denn – ähnlich wie der Borkenkäfer – wird auch das Großwild wegen befürchteter Verbissschäden im Wirtschaftswald als "Problemtier" gesehen. Eine Sorge, die Friedrich Burghardt nicht teilt – vorausgesetzt, die Jagdpraxis ändert sich, und die Tiere bekommen im Nordschwarzwald wieder mehr Raum und Ruhe. Beides fehlt ihnen derzeit, und das ist auf eine Gesetzgebung aus der Nachkriegszeit zurückzuführen, wie der Experte erläutert: Damals wurden zum Schutz der Landwirtschaft und wertvoller Waldflächen die Rotwildgebiete in Baden-Württemberg auf fünf kleine Reservate in Hochlagen beschränkt. Außerhalb dieser Gebiete, die lediglich drei Prozent der Landesfläche entsprechen, werden die Tiere intensiv bejagt. Eine Regelung, die das sensible und intelligente Wildtier mit einer Verhaltensänderung quittierte: Der Rothirsch, der eigentlich gerne auf Wiesen am Waldrand grast, meidet die Freiflächen aus Angst vor den Menschen und frisst stattdessen im Schutz des Gehölzes junge Baumtriebe an. Die sind als Nahrungsquelle zwar nicht die erste Wahl, aber sicherer.

Ist das Problem mit den Verbissschäden also vom Menschen hausgemacht? Wildexperte Burghardt sieht den Konflikt zwischen Großwildschutz und wirtschaftlicher Nutzung der Wälder jedenfalls nicht als unlösbar. "Wir können Strukturen schaffen, in denen sich Mensch und Tier arrangieren können", meint er.

Dazu bedürfe es aber eines intelligenten Wildtiermanagements und Rotwildkonzepts für den ganzen Nordschwarzwald, das die sehr mobilen Tiere auf der Populationsebene betrachtet. Denn der Hirsch hält sich nicht an Parkgrenzen. "Wir brauchen eine langfristige Gesamtkonzeption, mit der die nachhaltige Nutzung der Wirtschaftswälder und der Prozessschutz möglich sind", so Burghardt. Dazu müssten Experten aus Forst, Jagd, Tourismus und Gemeinden zusammenarbeiten und sich darauf einigen, wie und im welchem Umfang die Tiere bejagt werden sollen.

Solide Erkenntnisse als Grundlage

Grundlage dieses gemeinsamen Plans müssten solide wissenschaftliche Erkenntnisse über Lebensraum, Verhalten und Population der Tiere sein, wie sie durch Peilsender und andere Monitoring-Methoden derzeit gewonnen werden. "Das wird kein Ringelpietz", sagt der Wildtiermanager mit Blick auf die unterschiedlichen Interessen, die dabei unter einen Hut gebracht werden müssen.

Eine Aufgabe, der sich die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg gerade widmet. Dass der Prozessschutz auch für große Pflanzenfresser möglich ist, zeigt laut Burghardt ein Blick in die Schweiz: Im Nationalpark im Engadin bereitet das Rotwild keine Probleme und hat sich wieder an den Menschen gewöhnt. Dort können Besucher die stattlichen Hirsche tagsüber an den Waldrändern beobachten, denn die Tiere haben schnell gelernt, dass der Mensch ihren Rückzugsraum achtet und sie im Nationalpark sicher sind.

Doch selbst mit einem übergreifenden Rotwildkonzept wird es im Nationalpark Schwarzwald wohl noch einige Jahre dauern, bis die Hirsche ihre Scheu ablegen und sich am Tag auf die Freiflächen trauen. Bis dahin müssen Fritz und seine Kollegen noch eifrig im Dienst der Wissenschaft Daten liefern.