Wilhelm Rauser wurde wohl durch seine Arbeit als Diakon psychisch krank. Außerdem war er homosexuell. Die Nationalsozialisten ermordeten den Nagolder 1940 in Grafeneck in der Gaskammer als „lebensunwert“. Dies ist seine Geschichte.
Nagold hat seine ersten fünf Stolpersteine bekommen. Vor der heutigen Bäckerei Ziegler in der Nagolder Turmstraße 2 wird Wilhelm Rauser gedacht, der dort lebte. Er wurde Opfer der „Aktion T4“, von den Nazis beschönigt als „Euthanasie“ bezeichnet. Dabei wurden Kranke, Menschen mit Behinderung und Homosexuelle als „lebensunwert“ eingestuft und ermordet.
Wilhelm Rauser kam am 21. Mai 1888 in Nagold zur Welt. Er war das jüngste von insgesamt acht Kindern. Sein Vater war der Gerber Christian Friedrich Rauser (*1852) seine Mutter Wilhelmine Rosine, geb. Rauser (1858-1932). Im Zuge einer Insolvenz verließ sein Vater die Familie und wanderte nach Amerika aus. Die Mutter musste Wilhelm und die anderen Kinder allein durchbringen.
1902 wurde Wilhelm Rauser in Nagold konfirmiert. Er begann anschließend eine dreijährige Ausbildung als Kaufmann in dem Kolonialwarengeschäft Frobenius in Stuttgart. Danach arbeitete er drei Jahre in Waiblingen als Kaufmann. Zwischen 1908 und 1911 arbeitete er in verschiedenen Geschäften. 1912 trat er auf der Karlshöhe in Ludwigsburg die Ausbildung zum Krankenwärter/ Diakon an und arbeitete bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs in einem „Schwachsinnigen- und Krüppelheim“ in Erlenbach bei Zürich.
„Mit den Nerven sehr unten“
Zwischen 1914 und 1916, im ersten Weltkrieg, war er als Krankenwärter im Ludwigsburger Reservelazarett II tätig und anschließend in Feldlazaretten in Frankreich. Nach seiner Entlassung vom Militär ging er wieder auf die Karlshöhe nach Ludwigsburg. Als in Pforzheim im Frühjahr 1919 eine Typhus- Epidemie grassierte, wurde er von der Leitung der Karlshöhe in die Goldstadt geschickt. Von Juli 1919 bis Ende Juni 1920 war er in der Landarmenanstalt Rabenhof bei Ellwangen als Wärter in der männlichen „Schwachsinnigen“-Abteilung tätig.
Im Zeugnis der Landarmenbehörde wird Rauser ein einwandfreies Verhalten ausgestellt: „Herr Rauser, eine sittlich unantastbare,opferwillige Persönlichkeit von tadellosem Charakter, ist seinen Aufgaben in unserer Anstalt in jeder Beziehung musterhaft nachgekommen. Seine Führung verdient alles Lob.“ Nach dieser Zeit arbeitete er für zweieinviertel Jahre in München im Christlichen Hospiz. Im September 1922 wurde er dort entlassen und stieg in die Milchhandlung mit Mutter und Schwester in Nagold ein, da er mit seinen Nerven „sehr unten“ war.
Eine einschneidende Wirkung in seinem Leben hatte auf Rauser 1927 ein selbstverschul deter Autounfall. Von Selbstvorwürfen geplagt, dachte er über Suizid nach. Danach war er zu einem Kuraufenthalt in Baden-Baden. Vom 13. Februar bis 29. Juni 1928 verbrachte er in der Heilanstalt Christophsbad in Göppingen wegen einer „Geistesstörung“, während des Aufenthalts wurde dies als Form der Schizophrenie erklärt. Er wurde als gebessert, aber nicht geheilt entlassen.
In der Zeit nach seinem Autounfall wurde ihm seine homosexuelle Orientierung bewusst. Er suchte auch Partner und es kam zum Verkehr mit einem Hausierhändler. Aktenkundig wurde ein Prozess vor dem Amtsgericht Nagold, bei dem er auf Grund des Paragrafen 175 Strafgesetzbuch (Strafbarkeit von Homosexualität, Anmerkung der Redaktion) wegen „widernatürlicher Unzucht“ zu einer Geldstrafe von 30 Reichsmark verurteilt wurde. 1932 starb seine Mutter. In der NS-Zeit wurde er erneut wegen Verstöße gegen den Paragrafen 175 Strafgesetzbuch verurteilt.
Wegen Homosexualität weggesperrt
1937 geriet Rauser in die Mühlen der NS-Justiz. Am 20. Juli 1937 wurde er vom berüchtigten Tübinger Landgerichtsdirektor Hermann Cuhorst verurteilt: „Beim Angeklagten ist daher die Anstaltsunterbringung das einzige Mittel, um ihn vor weiteren derartigen Verfehlungen zurückzuhalten; die öffentliche Sicherheit erfordert daher die Unterbringung gemäß Paragraf 42 b Strafgesetzbuch (Unterbringung von Straftätern in einer Heil- und Pflegeanstalt nach einer Tat im nicht oder nicht voll zurechnungsfähigen Zustand, Anmerkung der Redaktion).“
Am 9. August 1937 wurde Rauser in die Heilanstalt Weissenau eingewiesen. Ab 1939 drängte er darauf, aus der Anstalt entlassen werden. Dies war jedoch ein aussichtsloses Unterfangen. Am 20. Mai 1940 wurde nach Grafeneck gebracht und in der Gaskammer umgebracht. Den Angehörigen wurde zur Verschleierung der Todesumstände die Mitteilung geschickt, dass Wilhelm Rauser am 16. Juni 1940 in Hartheim in Österreich verstorben sei.
Der Grund seiner Verlegung war weniger die fehlende Arbeitskraft. Zu offensichtlich waren die Anweisungen des Württembergischen Innenministeriums, wer zur Vergasung nach Grafeneck geschickt wurde.
Der stellvertretende Direktor der Weissenau, Wilhelm Westkott, schrieb wenige Wochen nach Rausers Tod an Ministerialrat Eugen Stähle: „Es fällt mir auf, dass alle nach Paragraf 42b (StGB) eingewiesenen bevorzugt nach Grafeneck kommen. Nun ist aber die Gerichtspraxis in diesem Paragrafen sehr verschieden je nach der Einstellung des Gutachters.“
Er fährt fort: „Manche Gerichte wenden den Paragrafen selten und nur bei unverbesserlichen Fällen an. Andere Gerichte fassen ihn im Gegenteil als Erziehungsmaßnahme auf und nehmen die Einweisung sehr leicht, z.B. bei kleineren Diebstählen im Rückfall oder einfachen strafbaren Handlungen, die durch Affektentladung verursacht wird. Es liegt nahe, dass bei dieser Lage schwerste Fehlgriffe vorkommen müssen.“
Rauser wurde somit ein Opfer der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung. Er starb einen Tag vor seinem 52. Geburtstag.