Fabian Riegger und Vanessa Buer leiden an der Augenerkrankung Retinitis Pigmentosa. Auf Instagram machen sie auf Barrieren im Alltag aufmerksam. Blindenführhündin Hanni ist für Vanessa Buer eine wichtige Unterstützung im Alltag. Foto: Simone Neß

Vanessa Buer und Fabian Riegger sprechen offen über ihr Leben mit der Augenerkrankung Retinitis Pigmentosa und ihren Kampf für mehr Verständnis und Inklusion. Auf Instagram geben sie Einblicke in ihren Alltag mit Sehbehinderung.

„Sehbehindert? Na und!“ – Unter diesem Motto geben Vanessa Buer und Fabian Riegger auf Instagram Einblicke in ihren Alltag mit der Augenerkrankung Retinitis Pigmentosa.

 

Die 25-Jährigen sind sehbehindert und leben mit der fortschreitenden Netzhautdegeneration, die ihr Sehvermögen zunehmend einschränkt und bis zur vollständigen Erblindung führen kann.

Auf Instagram machen sie sichtbar, was vielen verborgen bleibt: wie Barrieren im Alltag aussehen, was es heißt, nicht in die üblichen Schubladen zu passen, und warum Inklusion vielschichtiger ist als viele im ersten Moment denken.

Neuer beruflicher Weg

Fabian Riegger Bei Fabian Riegger wurde Retinitis Pigmentosa im Alter von zwölf Jahren diagnostiziert. Er trägt eine Form der Erkrankung, die ausschließlich bei Männern ausbricht – und leidet vor allem an ausgeprägter Nachtblindheit. Der 25-Jährige verfügt noch über rund 50 Prozent seines Sehvermögens, sein Gesichtsfeld ist stark eingeschränkt – als würde er durch Scheuklappen blicken. Ohne eine Taschenlampe verlässt er nie das Haus, verrät er.

Nach der mittleren Reife hat Fabian Riegger eine Ausbildung zum Koch absolviert. Mit fortschreitender Erkrankung wurde ihm jedoch klar: „Wenn es irgendwann ganz dunkel wird, dann funktioniert Koch einfach nicht mehr“, sagt er. Inzwischen hat er sich beruflich neu orientiert und befindet sich im zweiten Lehrjahr seiner Ausbildung zum Medienkaufmann.

Fabian Riegger (25) hat eine neuen beruflichen Weg eingeschlagen. Foto: Simone Neß

Blindenführhündin an ihrer Seite

Vanessa Buer Vanessa Buer arbeitet als Erzieherin in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bad Dürrheim. Davor hat sie in der Behindertenhilfe mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet.

Bei Vanessa Buer wurde die Augenerkrankung schon sehr früh festgestellt. Foto: Simone Neß

Die Augenerkrankung ist bei ihr untypischer Weise bereits als Kleinkind festgestellt worden. „Ich habe nie den Kopf gedreht, wenn man mich angesprochen hat“, erzählt sie. Mit vier Jahren wurde erstmals der Verdacht auf Retinitis Pigmentosa geäußert. Seitdem hat sich ihr Sehvermögen schleichend verschlechtert – hormonelle Veränderungen wie die Pubertät können diesen Prozess zusätzlich beschleunigen. Mit 17 wurde ihr zum ersten Mal bewusst, wie sehr sich ihr Sehvermögen verändert hatte. „Ich merke Stück für Stück, wie Dinge nicht mehr gehen“, sagt sie. Inzwischen ist sie auf dem rechten Auge blind, auf dem linken Auge hochgradig sehbehindert. Ihren Sehrest schätzt man auf noch 15 Prozent. Für mehr Sicherheit im Alltag und mehr Selbstbestimmtheit hat Vanessa Buer Blindenführhündin Hanni an ihrer Seite.

Kraft, Mut – und häufig auch Frust

Präsenz auf Instagram Auf Instagram zeigen sich Vanessa Buer und Fabian Riegger humorvoll, selbstironisch und mit Leichtigkeit. Im Gespräch mit unserer Redaktion wird deutlich – im echten Leben ist die Erkrankung mit viel Kraft, Mut, Disziplin aber auch Frust verbunden.

„Die meiste Zeit komme ich sehr gut zurecht, weil ich für vieles schon Lösungen gefunden habe“, sagt Vanessa Buer. In der Behindertenhilfe habe sie jahrelang mit vollblinden Menschen gearbeitet, von denen sie sich viel abschauen konnte. Dennoch gesteht sie ein: „Es gibt Tage, da ist man frustriert“. Vor allem dann, wenn man eben nicht überall dabei sein kann oder alles machen kann, obwohl man es möchte. „Man findet für vieles eine Lösung, aber eben nicht für alles“, sagt sie.

Die Krankheit sei auch ein Prozess, erklärt sie. Vor drei Jahren habe sie die Krankheit noch viel lockerer gesehen. Heute denkt sie öfter an ihre Zukunft – an Familie, an Kinder – und daran, was sie nicht können wird. „Ich werde meine Kinder nie irgendwo hinfahren können“, wirft sie in den Raum.

Und dann sagt sie: „Ich bin super dankbar über den restlichen Sehrest, den ich noch habe.“ Doch dann gebe es Tage, an denen dieser restliche Sehrest so unfassbar anstrengend sei, dass sie manchmal überlege, ob es nicht besser wäre, bereits vollständig erblindet zu sein, stellt sie fest. Der Grund: Sie versuche ständig noch Dinge zu erfassen und zu fokussieren. „Ich habe einfach nicht mehr so viel Akku wie früher“, gibt sie ehrlich zu.

Berufliche Zukunft ungewiss

Während Fabian mit seinem neuen Beruf einen Plan B gefunden hat, ist bei Vanessa die berufliche Zukunft noch ungewiss. Sie liebt ihre Arbeit als Erzieherin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und erfährt dort viel Wertschätzung. Trotzdem sagt sie, sie habe noch keine Perspektive, was sie mache, wenn sie auch den restlichen Sehrest, den sie noch besitzt, verlieren wird.

Dass Vanessa Buer heute so öffentlich über ihre Erkrankung sprechen kann, war nicht immer so. „Ich war viele Jahre lang sehr verschlossen“, gibt sie zu, nur wenige wussten anfangs von ihrer Erkrankung. Erst mit der Zeit – und wachsendem Selbstbewusstsein – hat sie sich auch im Orchester geoutet, in dem sie seit Jahren spielt.

Auf Instagram für mehr Inklusion einstehen

Gemeinsam mit Fabian Riegger, den sie bereits in der Grundschule kennengelernt hat, wollen sie mit ihrer Präsenz in den sozialen Medien für mehr Inklusion einstehen. Viele Behinderungen, die nicht auf den ersten Blick ersichtlich seien, rücken häufiger in den Hintergrund, meint Fabian Riegger. So eben auch die Sehbehinderung. Für die Gesellschaft gebe es nur sehend und schwarz-blind, sagt Vanessa Buer. „Wir passen damit einfach in keine Schublade“, ergänzt Fabian Riegger.

Durch ihren Instagram-Account, der den Namen „blindpeople_vs“ trägt, erhoffen sie sich mehr Akzeptanz und Verständnis für ihre Behinderung. Gleichzeitig sagt Vanessa Buer: „Wir sind beide nicht auf den Mund gefallen und trauen uns, auch für andere hinzustehen“. Ihr Kanal soll auch anderen Sehbehinderten Mut machen und eine Stimme geben.

Von ihren Followern, von denen auch viele selbst Betroffen seien, kriegen die beiden durchgehend positives Feedback. Gleichzeitig können sie die Plattform nutzen, um auf Barrieren aufmerksam zu machen, bei denen Sehbehinderte im Alltag immer wieder an ihre Grenzen stoßen.

In Sachen Barrierefreiheit ist noch viel zu tun

Barrierefreiheit in VS Da gibt es zum Beispiel Blindenleitsysteme, die in Nichts führen oder sich wie in der Rietstraße farblich kaum vom restlichen Straßenbelag abheben. Und E-Scooter, die achtlos mitten auf Gehwegen abgestellt werden, stellen ebenfalls ein großes Hindernis dar.

Ein graues Blindenleitsystem, eingebettet in graue Pflastersteine – für Sehbehinderte ist diese Linie in der Rietstraße in Villingen aufgrund des schwachen Kontrasts nur sehr schwer zu erkennen. Foto: Simone Neß

Auch am Ticketautomaten im Villinger Bürgeramt haben sie Verbesserungen angestoßen: Trotz großem Bildschirm waren die Nummern für Sehbehinderte kaum lesbar, eine Sprachfunktion fehlte ganz – nach ihrer Kritik sei das System angepasst worden.

Schon vor Jahren machten sie auf fehlende akustische Signale an Ampeln aufmerksam – inzwischen habe sich einiges getan, und die Stadt habe versprochen, auch die restlichen Standorte mit Signalampeln nachzurüsten.

Straßenbeleuchtung ist für Fabian Riegger durch seine Nachtblindheit ein weiteres wichtiges Thema. Zwar sei vielerorts auf LED umgestellt worden, dennoch gebe es dunkle Stellen – etwa in der Güterbahnhofstraße, wo Baumkronen die Straßenlaternen verdecken.

Betroffene miteinbeziehen

Was Vanessa Buer besonders wichtig wäre: Betroffene frühzeitig in Planungen miteinbeziehen. Zum Beispiel dann, wenn Gebäude von Grund auf neu gebaut werden, wie das geplante Zentralbad in VS. Für Sehbehinderte sei vor allem eine kontrastreiche und große Beschilderung entscheidend, doch in der Praxis werde meist auf die Optik ein viel größerer Wert gelegt, sind sich beide einig.

Ein großes Problem stellt auch die Mobilität dar. Problematisch seien beispielsweise ausgeschaltete Durchsagen im Bus, die eigentlich die nächste Haltestelle ankündigen sollten. Und auch Webseiten mit Fahrplänen sind häufig alles andere als barrierefrei und machen es Sehbehinderten zunehmend schwer, sich im öffentlichen Raum frei zu bewegen.

Alltagssituationen werden zu Herausforderung

Auch alltägliche Situationen wie das Einkaufen stellt für Sehbehinderte eine Herausforderung dar. Durch ihr geringes Sehvermögen ist Vanessa Buer darauf angewiesen, dass sie Mitarbeiter zu dem gesuchten Produkt begleiten und es ihr im besten Fall in die Hand drücken. Doch auch hier musste die 25-Jährige schon häufig schlechte Erfahrungen machen. Und das kostet immer wieder erneut eine große Portion Mut. Fabian Riegger weist hingegen auf die Wühltische hin, die häufig im Eingangsbereich von Geschäften stehen – für Sehbehinderte jedoch ein großes Hindernis darstellen.

Was den beiden im Alltag auch auffällt: Fabian Riegger wird als Mann deutlich häufiger mit Misstrauen konfrontiert. Oft muss er sich rechtfertigen und wird auf seine tatsächliche Sehbehinderung hin getestet. Es geht sogar so weit, dass ihm vorgeworfen wird, zu simulieren. „Warum muss ich mich ständig erklären?“, fragt er sich immer wieder, weil Sehbehinderungen in der Gesellschaft offenbar noch nicht richtig angenommen werden.

Mehr Offenheit und mehr Respekt

Was sich Vanessa Buer und Fabian Riegger wünschen, ist im Grunde ganz einfach: mehr Offenheit, mehr Respekt, in manchen Situationen mehr Hilfsbereitschaft und ein wacheres Bewusstsein dafür, dass nicht jede Behinderung auf den ersten Blick sichtbar ist.