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Höchste Fall-Zahlen, meiste Neuerkrankungen und Tote. Ursache könnten Ski-Urlaube sein.

Kreis Calw - Der Blick in die offizielle Corona-Statistik des Landkreises Calw lässt schon seit einigen Tagen besonders die Nagolder Bevölkerung aufhorchen: Nirgendwo im Kreis sind so viele Personen an Covid-19 erkrankt wie hier, nirgendwo gibt es täglich so viele bestätigte Neuinfektionen. Und nirgendwo in der Region sind bisher so viele Menschen an den Folgen der Pandemie gestorben wie in Nagold.

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Die vom Landkreis Calw veröffentlichten Zahlen – Stand Sonntagabend, 29. März um 18 Uhr: insgesamt 93 Corona-Fälle (Kreis Calw: 304) sind für Nagold dokumentiert, dass sind sieben mehr (Kreis Calw: plus 20) als am Vortag. Und drei der zu diesem Zeitpunkt vier Corona-Toten im Kreis Calw stammen aus Nagold; Nummer vier kommt zwar aus Simmersfeld, verstarb aber im Kreiskrankenhaus Nagold. Zum Vergleich: auf Platz zwei der Corona-Fälle im Landkreis liegt die Stadt Calw mit insgesamt 40 bestätigten Fällen, davon vier Neuerkrankungen in den letzten 24 Stunden. Todesfälle gab es hier bisher keine.

Warum sich gerade Nagold als ultimativer Corona-Hotspot die letzten drei Wochen herausgebildet hat – die Stadt Nagold mit ihrem Oberbürgermeister Jürgen Großmann äußert sich auf Nachfrage; hat zumindest einen Verdacht: "Uns sind vor allem zwei Dinge in diesem Zusammenhang aufgefallen." Zum einen gebe es wohl einen Bezug bei den Nagolder Corona-Infektionen "zum Ski-Fahren und den beliebten Reisen nach Südtirol", beziehungsweise Norditalien. "Ski-Fahren ist bei uns in Nagold offenbar eine sehr beliebte Freizeitbeschäftigung." Die Skigebiete Norditaliens, Südtirols – auch das österreichische Ischgl – gelten als ultimative europäische Hotspots und Drehscheiben für die massenhafte Ausbreitung des Coronavirus in den vergangenen Wochen.

Und wir erinnern uns: Schon der erste, im Kreis Calw bekannt gewordene Corona-Infizierte hatte sich mutmaßlich in Norditalien angesteckt, wenn auch in diesem Fall nicht beim Ski-Laufen. Am 6. März teilte der Calwer Kreisverwaltung damals mit, dass ein 29-jähriger Mann aus der zu Nagold benachbarten Stadt Haiterbach nach der Rückkehr von einem FußballTrainingscamp in Sirmione (Lombardei, Italien) positiv auf den neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) getestet worden war.

Drei Tage später gab es den zweiten Fall im Kreis – in Wildberg. Auch da ließ sich die Infektionskette bis nach Norditalien zurückverfolgen. Weitere nachgewiesene Infektionen in Höfen, Schömberg, wieder Wildberg und Unterreichenbach folgten.

Zahl der Infizierten nimmt rasant zu

Am 10. März dann der erste Nagolder Bürger, bei dem der Coronavirus nachgewiesen wurde: Ein 72-Jähriger Mann wurde damals mit Verdacht auf Lungenembolie in das Kreisklinikum Calw-Nagold eingeliefert. Im Rahmen der Diagnostik ergaben sich dann Hinweise auf eine COVID-19-Erkrankung, was später durch einen entsprechenden Laborbefund bestätigt wurde. Aufgrund seines von Anfang an kritischen Gesundheitszustands wurde der Mann sofort isoliert und auf der Intensivstation in den Kliniken Calw behandelt. Zehn Tage später, am 20. März, war der 72-jährige Nagolder dann der erste offizielle Tote der Corona-Pandemie im Kreis Calw. Wo sich der Nagolder infiziert hatte, dazu wurden von offizieller Seite keine Informationen veröffentlicht.

Seitdem aber nimmt vor allem in Nagold die Zahl der Infizierten rasant zu – schneller als im Rest des Kreises. Am 18. März zum Beispiel lagen Nagold und Calw mit damals je 16 Corona-Erkranken noch "gleich auf", aber schon einen Tag später – als sich kreisweit 15 Personen neu angesteckt hatten – wuchs die Zahl in Nagold deutlich schneller als in allen anderen Kommunen im Landkreis. Bis heute sind es – wie beschrieben – in Nagold sogar mehr als doppelt so viele Infektionen wie in der vergleichbar großen Stadt Calw.

Nagolds Oberbürgermeister Jürgen Großmann weist unterdessen darauf hin, dass man sowohl seitens der Stadt als auch seines Wissens nach seitens des Landkreises "grundsätzlich noch keine verlässliche Datengrundlage" zur wirklichen Ursachenforschung für die Häufung der Fälle in seiner Stadt habe. "Das müssen und werden wir im Detail später, vielleicht in ein paar Monaten, aufarbeiten", wenn man sich nicht mehr allein auf die unmittelbaren Reaktionen auf die Folgen der Corona-Krise wird konzentrieren müssen. Aber es gebe ergänzend auch jetzt schon Hinweise darauf, dass gerade in der Anfangszeit der Infektionswelle, als es noch nicht so weitreichende Maßnahmen zur Bewältigung der Krise gab, "auch unsere sehr pulsierende Innenstadt ein Faktor" bei der vermehrten Ansteckung mit dem Corona-Virus untereinander spielte. Großmann: "Es gibt hier bei uns zu ›normalen‹ Zeiten eben sehr viele Begegnungs- und Kontaktmöglichkeiten." Und der Virus war halt schon da und konnte ungehindert wüten, bevor mit Ausgeh- und Kontaktbeschränkungen sowie Hygiene-Vorschriften auf die neue Gefahr reagiert werden konnte.

Weshalb der OB seinen sehr eindringlichen Appell an die Bürger erneuert, die restriktiven Hygiene- und Kontaktvorschriften unbedingt einzuhalten. "Wir sind da noch nicht über den Berg!" Und gerade die hohen Fall-zahlen in Nagold signalisierten, dass es noch wirklich großer Anstrengungen bedürfe, um diesen Ausnahmezustand irgendwann in den Griff zu bekommen und die Pandemie zu besiegen. "Bleiben Sie zuhause, waschen Sie sich so oft wie möglich die Hände, vermeiden Sie alle unnötigen Sozialkontakte – dann haben wir eine reale Chance, diese schlimme Entwicklung zu brechen."

Es gebe nur "minimale Ausreißer"

Seinen erneuten, eindringlichen Appell an die Nagolder verbindet Großmann aber auch mit einem ausdrücklichen Dank. "Insgesamt ist die Bevölkerung bei uns bisher sehr diszipliniert, seit die unmittelbaren Gefahren auch hier bei uns allen bewusst sind." Zwar gebe es "minimale Ausreißer", etwa bei Nutzern des Stadtparks Kleb – aber das habe man seitens der Ortspolizeibehörden im Griff. Eine neue Bitte des Schultes bezieht sich auf das beobachtete Einkaufsverhalten in Supermärkten: "Familien sollten nicht alle zusammen gleichzeitig einkaufen gehen – also nicht Eltern gemeinsam mit ihren Kindern. Sondern idealerweise nur ein Elternteil, maximal mit einer zweiten Person als Begleitung." Damit auch hier das Kontakt-Risiko möglichst beschränkt werden kann.