Im Kandertal hat sich eine Interessengemeinschaft gegen die Reaktivierung der Kandertalbahn gebildet. Viele offene Fragen und die Kosten in Millionenhöhe treiben die Kritiker um.
An der geplanten Reaktivierung der Kandertalbahn scheiden sich die Geister. Während Befürworter die Vorteile des Schienenverkehrs betonen, sehen Kritiker des Vorhabens noch viele ungelöste Probleme und offene Fragen. „Wir sind weder gegen Innovation noch gegen S-Bahnen, doch sehen wir für das Kandertal bessere Alternativen als die Reaktivierung der Kandertalstrecke“, erklärt Anne Schneider, Mitinitiatorin der neu gegründeten Interessengemeinschaft (IG) „Stoppt den S-Bahn-Wahn im Kandertal“ im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Nahverkehrskonferenz in Binzen am 8. April habe man als fast ausschließlich Pro-S-Bahn orientiert wahrgenommen. Daher sei die IG gegründet worden. Dessen Ziel sei es, nicht ausschließlich die gegensätzliche Haltung zum geplanten Ausbau zu vertreten, „sondern auch praktikable Alternativen und Ansätze für einen ÖPNV mit Vernunft aufzuzeigen“.
Dringender Handlungsbedarf
Das Projekt zur Reaktivierung ist in vollem Gange und geht in die nächste Phase über. Im Landkreis und bei den betroffenen Kommunen wird derzeit diskutiert, wie die Mittel in Höhe von rund 2,6 Millionen Euro für die Leistungsphasen 1 und 2 aufgebracht werden. „Daher sehen wir jetzt dringenden Handlungsbedarf, um unsere Zweifel am Projekt zu verdeutlichen“, heißt es seitens der IG-Vertreter. Die Hälfte der 2,6 Millionen Euro trägt das Land, die anderen 50 Prozent der Kreis und die fünf anliegenden Gemeinden. Diese seien angesichts einer äußerst angespannten Haushaltslage die Verlierer, ist Schneider überzeugt. Und auch bei den Baukosten würde erhebliche Summen auf die Kommunen zukommen: Beim 60-Minuten-Takt (mit abgespeckter Leitungssicherung) bezifferte das Planungsbüro die reinen Baukosten zunächst auf gut 40 Millionen Euro, beim Halbstunden-Takt auf gut 45 Millionen Euro, auf Basis der Berechnung von 2022. Dazu summieren sich Planungskosten und Risikozuschläge plus Baukostensteigerungen zu insgesamt 80 Millionen beziehungsweise knapp 90 Millionen Euro beim 30 Minuten-Takt zum Preisstand 2030, wobei Land und Bund einen großen Teil der Kosten tragen. Die Baukosten dürften mittlerweile höher ausfallen, ist Schneider überzeugt. Sie befürchtet, dass die Haushalte der Kommunen durch den Bau sowie Erhalt der S-Bahn überstrapaziert würden und das Geld an anderen Stellen eingespart werden müsse. Somit bleibe weniger Handlungsspielraum für Schulen, Spielplätze, Kindergärten, Gemeindehallen und das Schwimmbad in Kandern.
Täglich 4500 Fahrgäste
Laut Machbarkeitsstudie müssen täglich 4500 Fahrgäste die S-Bahn nutzen, um eine Rentabilität aufzuweisen. Im Kandertal leben jedoch deutlich weniger als 20 000 Einwohner. „Wir bezweifeln, dass es realistisch ist, dass täglich 4500 Fahrgäste die S-Bahn nutzen. Wenn die Fahrgastzahlen nicht erreicht werden, gibt es weniger Förderungen vom Land.“ Dann steige auch der Eigenanteil der Kommunen, warnt Schneider. Auch sei der demografische Wandel ein Faktor, den es zu berücksichtigen gelte: Bis zum Jahr 2035 werden 60 Prozent der aktuellen Kandertal-Einwohner berentet sein. „Viele der Babyboomer, die vielleicht derzeit noch in Basel arbeiten, werden eine reaktivierte Kandertal-S-Bahn wohl gar nicht nutzen“, ist die Kritikerin überzeugt.
Beim Thema Umwelt befürchtet die IG, dass dem Ausbau der S-Bahntrasse zahlreiche Bäume zum Opfer fallen werden, da sie sonst der elektrischen Oberleitung im Weg stünden. Vor allem der Abschnitt zwischen Kandern und Hammerstein führt durch bewaldetes Gebiet. Hinzu kommen Bedenken bezüglich Lärmbelästigung, Erschütterung, Schließung zahlreicher Bahnübergänge, Rückstau an Bahnübergängen, Schaffung von Park und Ride-Parkplätzen und die Zukunft der Museumsbahn. „Wird der Verein die lange Bauzeit überleben?“ Unumgänglich seien auch Enteignungen für die Reaktivierung der Kandertalstrecke, heißt es seitens der IG.
Das Busnetz ausbauen
Diese richtet auch den Blick auf den Busverkehr: Die Realisierung der Bahn bedeute das Aus für die Regio-Buslinie 54 „Sausenberger“. Damit würden Ortschaften wie Schallbach abgehängt, und die direkte Querverbindung zur Wiesental-S-Bahn wegfallen. Viel besser wäre es doch, erst einmal das neue Busnetz und dessen Auswirkungen abzuwarten. „Damit entsteht ein tolles Netz, dem sollte eine Chance gegeben werden“, schlägt Schneider vor. Ihr zufolge sei es fraglich, ob die Reaktivierung der richtige Weg sei, den Individualverkehr auszubremsen. Daher spricht sich die IG für eine Optimierung des öffentlichen Personennahverkehrs aus, allerdings nicht auf der Schiene. Bessere Alternativen sieht die IG in angepassten Berufsverkehrstaktzeiten, Rufbussen und geschickt vernetzte Buslinien. Mit den Millionen könnte das Busnetz jedenfalls sinnvoll ausgebaut werden.
Petition gestartet
Um ihrem Anliegen Ausdruck zu verleihen, hat die IG eine Petition im Internet gestartet, die sich an alle richtet, die der geplanten Reaktivierung der Kandertal-S-Bahn kritisch gegenüberstehen. Bisher sind 745 verifizierte Unterschriften zusammengekommen. Die Petition kann auf der Internetseite der IG abgerufen werden. Laut Schneider werden IG-Vertreter beim nächsten Umweltausschuss des Landkreises und am Kreistag anwesend sein und Fragen einbringen.