Eine Expertenrunde um den Verein „Kinder in Freiburg und Umgebung brauchen Hilfe“ hat über Missbrauchsprävention und Kinderschutz diskutiert. Dabei kamen Probleme mit dem Datenschutz und die verschiedenen Interessen der Behörden zur Sprache.
Kinderpornografie und Missbrauchsdarstellungen im Internet werden im Sekundentakt hochgeladen. Die Freiburger CDU-Stadträtin und Polizeibeamtin Katrin Kern ist mit dem Thema aus ihrem Berufsalltag vertraut. Nicht zuletzt deshalb ist sie Gründungs- und Vorstandsmitglied des Vereins „KiFu“ (Kinder in Freiburg und Umgebung brauchen Hilfe e.V.). Auch die Richterin und Stellvertretende Direktorin des Amtsgerichts Lörrach, Birgitta Stückrath, engagiert sich dort. Das Ziel der beiden Frauen und ihrer zahlreichen Mitstreiter: Spenden sammeln für die Unterstützung von Missbrauchsopfern im Kindes- und Jugendalter. Und Prävention leisten.
Genau darum ging es nun bei einem Diskussionspodium, an dem neben Kern und Stückrath, zwei Familienrichterinnen und der Leiterin des Freiburger Jugendamts auch Justizministerin Marion Gentges (CDU) und der Basler Forensiker Marc Graf teilnahmen.
Großer Handlungsbedarf
Der Handlungsbedarf sei riesig, vor allem seit der Corona-Pandemie, in der offenbar viele Kinder abseits der Schutzräume Kita und Schule daheim hilflos Übergriffen in der Familie ausgesetzt waren. Denn dort und im näheren sozialen Umfeld, so Stückrath, finden 96 Prozent aller bekannt werdenden Übergriffe statt. Und die Zahl der Opfer sei groß, erklärt Marc Graf: Elf Prozent aller Mädchen und drei Prozent aller Jungen unter 16 erleben sogenannten „Hands on Missbrauch“, also Taten, bei denen ihnen körperlich sexuell motiviert Leid zugefügt wird.
Geht es nach Marion Gentges, ist das Potenzial für Nachbesserungen groß: Die Ermittlungsbehörden im Land bekommen in Massen Missbrauchsfälle von der US-Organisation „Nacmac“ gemeldet. Diese durchkämmt das Internet nach Fällen und meldet sie den jeweiligen Behörden. Allerdings verlaufen laut Gentges die meisten Meldungen im Sand, da der Datenschutz in Deutschland keine Speicherung von Netzdaten zulasse. Meldungen aus den USA kommen über das BKA und das LKA zu den Ermittlern vor Ort, was ein unmittelbares Zugreifen beim Täter aus Zeitgründen nicht ermögliche.
„Man muss sich das vorstellen: Ein Täter hier im Land bestellt im Darknet einen Live-Missbrauch an einem Kleinkind irgendwo in Südostasien. Wir erfahren davon aus den USA, können aber nichts machen, weil es der Datenschutz nicht zulässt“, schildert Gentges. Die notwendigen Gesetzesänderungen würden dabei nicht auf EU-, sondern ausschließlich auf Bundesebene am Widerstand der FDP scheitern, erklärt die Ministerin.
Verschiedene Interessen
Schwierig sei auch die Rolle unterschiedlicher Behörden: Während die Jugendämter und Familiengerichte das Kindeswohl im Blick haben und deshalb nicht jeden Verdachtsfall zur Anzeige bringen, hat die Polizei einen Ermittlungszwang, wenn sie von einem Verdacht erfährt, so Kern. Verdachtsfälle seien oft vage, sagt Vanessa Völkel vom Freiburger Jugendamt. Da sei es nicht zu verantworten, mit dem ganzen Polizeiapparat anzurollen und eventuell ein Kind aus einer Familie zu nehmen. Selbst Kinder, die Missbrauch erfahren, würden oft unter der Herausnahme aus der Familie leiden, bestätigt Richterin Stückrath. Ein Spannungsfeld, das gute Lösungen schwierig macht, wie die Diskussion zeigt.
Wichtig sei auf jeden Fall „das Hinschauen“, fordert Marc Graf. Denn auch wenn die Güterabwägung zwischen Kinderschutz und Strafverfolgung extrem schwierig sei: „Wenn Täter sich irgendwie einer Konsequenz entziehen können, dann tun sie das und bleiben Täter“, sagt Graf.