Michael Lindner Foto: Thomas Fritsch

In seinem Buch „Wir sind Unternehmer, keine Unterlasser“ beschreibt Ex-Börlind-Chef Michael Lindner den Zwiespalt zwischen betrieblichen und familiären Herausforderungen.

Wenn erfolgreiche Menschen ihre Lebensgeschichte zu Papier bringen, neigen sie dazu, sich kräftig selbst auf die Schulter zu klopfen. Das ist legitim und nachvollziehbar. Denn es gibt ja keinen Grund, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Probleme hat es schon auch mal gegeben. Die hat man aber schnell aus dem Weg geräumt.

 

Auch Michael Lindner hielt sich für einen tollen Chef. Zurecht. Schließlich hat der Seniorchef von Börlind Naturkosmetik das Unternehmen international aufgestellt. Die Trennung von der Familie des einstigen Mitgesellschafters Hermann F. Börner, die mit vielen Auseinandersetzungen und jahrelangen finanziellen Belastungen verbunden war, hat er gemeistert. Schließlich hat es Lindner geschafft, seine Produkte über die Reformhäuser hinaus in den Parfümerien zu vertreiben.

Übergabe fällt schwer

Die wohl größten Probleme kamen erst gegen Ende seines Berufslebens, als es darum ging, Börlind an seine Kinder Alicia und Nicolas zu übergeben. Es war die Idee von Projektleiterin und Beraterin Dona Kujacinski, Ehefrau Daniela und auch die weiteren Kinder Vanessa und Patricia zu Wort kommen zu lassen. Das macht sein Buch „Wir sind Unternehmer, keine Unterlasser“ so ungewöhnlich. Denn es zeigt offen und ehrlich, zuweilen schonungslos, die Auseinandersetzungen in der Familie. Die letztlich immer zusammengehalten hat.

Schwieriger Prozess

Die Übergabe fiel Lindner schwer. Er war doch der Chef, der alles weiß und erfolgreich war. Zugleich war ihm klar, dass es an der Zeit ist, das Unternehmen an seine Kinder zu übergeben – und er froh darüber sein müsste.

Dieser Zwiespalt führte zu einem langwierigen und schwierigen Prozess. Nicolas Lindner wollte, nachdem sein Vater das Pensionsalter erreicht hatte, an die Spitze von Börlind. Er spürte den Widerstand. Die Auseinandersetzungen führten dazu, dass er ein Jahr lang auf Back-Packer-Tour ging – Zukunft ungewiss.

Nach der Rückkehr setzten sich Vater und Sohn zusammen. Jeder schrieb auf, wie er sich die Zukunft vorstellt. Und siehe da: So weit lagen die Auffassungen gar nicht auseinander, es war schlicht ein Kommunikationsproblem.

Familie wächst an Problemen

Auch Alicia Lindner hatte Probleme. „Ich konnte die Zusammenarbeit mit meinem Vater einfach nicht mehr ertragen und sagte mir: ‚Ich mache das keinen Tag länger mit.‘“ Sie sagt aber auch: „Unser Vater ist mein bester Lehrmeister. Hätten wir am Anfang … diese extreme Reibung nicht gehabt, wären wir durch ihn nicht so gestählt worden.“

Schwester Vanessa Lindner bringt es auf den Punkt: „Ich glaube, wir haben eine so außergewöhnlich glückliche Familie, nicht weil wir keine Probleme haben, sondern weil wir uns diesen stellen. Und daran wachsen.“

Michael Lindner hatte ähnliche Erfahrungen mit seiner Mutter Annemarie Lindner (1920-2016) gemacht. Sie hat nicht nur zusammen mit ihrem Ehemann Walter und Partner Börner das Unternehmen gegründet. Als Pionierin der Naturkosmetik wurde sie vielfach ausgezeichnet und verkörperte Börlind bis ins hohe Alter.

Stets präsent

1986 übergab sie an Michael die Geschäftsführung. Und blieb dennoch präsent. Da war ihr Sohn nicht unglücklich, hat sie Börlind nach außen doch weiter repräsentiert. Was allerdings hinzu kam, schildert Ehefrau Daniela Lindner: „Seine Mutter war trotz ihres Rückzugs stets präsent. Sie wollte über alles genau informiert werden … und mischte ... sich ein. Hinzu kamen Michaels Anforderungen an sich selbst.“

Gestresst nach Hause

Das hat den Börlind-Chef belastet. Zweifel und Ängste nagten an ihm. Das konnte auch zur Unbeherrschtheit führen. Etwa als er – die Kinder waren noch klein – gestresst nach Hause kam und aus der Haut fuhr, weil er auf eine Quietsche-Ente trat. Oder lange wortlos aus dem Fenster schaute, weil ihm ein Problem im Unternehmen zu schaffen machte.

Er war dann andererseits aber auch wieder der Familienvater, der ausgelassen mit den Kindern herumtollte.

Neuer Lebensinhalt

Ein Rastloser ist Lindner lange geblieben. Heute ist er weitaus gelassener. Das heißt jedoch nicht, dass er im Lehnstuhl sitzt. Er ist Geschäftsführer der Börlind Holding und Beisitzer des Beirats. Ins operative Geschäft greift er nicht mehr ein. Er und Ehefrau Daniela stehen den Kindern und Enkeln bei, reisen gerne, lieben Kunst und Kultur sowie gutes Essen und guten Wein. Und mit dem Michael-Lindner-Förderverein setzen sie sich für soziale Projekte ein. „Ich habe – nach heftigem Ringen mit mir selbst – einen neuen Lebensinhalt gefunden“, sagt der 76-Jährige.

Michael Lindner: „Wir sind Unternehmer, keine Unterlasser“. Stieglitz Verlag, 324 Seiten, erscheint am 4. November.