Truppenpsychologe Alexander Varn Foto: dpa/Silas Stein

Pferde striegeln mitten in der friedlichen Schwarzwaldidylle: Auf der Silberburg-Ranch bei Aichhalden ist das Teil einer neuen Therapie für belastete Bundeswehrsoldaten, die mit schlimmen Erinnerungen kämpfen.

Mitten im friedlichen Schwarzwald, nahe der Grenze zur Ortenau, tobt in den Köpfen von Bundeswehrsoldaten noch immer der Krieg. Auch Jahre nach dem Rückzug der Truppe aus Afghanistan wirkt das Erlebte nach – als Trauma. So bei Mike, 49 Jahre, Hauptmann. Als Spezialist für abbildende Aufklärung gibt der zweifache Familienvater Mitte Juli 2013 entscheidende Koordinaten durch. Ein B-1-Bomber der US-Airforce wirft daraufhin eine Bombe auf eine Stellung der islamistischen Taliban ab. Zwölf Menschen sterben. Für Mike ein Schock. 

 

Wegen seiner diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ist der Offizier zurzeit mit zwei weiteren traumatisierten Soldaten sechs Wochen lang zweimal die Woche auf der Silberburg-Ranch westlich von Rottweil. Dort striegelt Mike mit Hingabe Wallach Kurt – und hofft, dass die Pferdetherapie ihm beim Verarbeiten seines Alptraums hilft. 

Auf dem Hof in Aichhalden läuft noch bis Ende 2025 eine Studie für das Bundesverteidigungsministerium. Sie soll zeigen, ob der enge Kontakt zu Pferden traumatisierten Bundeswehrsoldaten helfen kann. 

Gewissensbisse und moralische Probleme

Mike hat starke Gewissensbisse. Er redet stockend. Immer wieder fährt er sich mit den Händen übers Gesicht. „Wenn ich gewusst hätte, dass da so viele Menschen sind, hätte ich die Koordinaten nicht durchgegeben. Ich habe ein moralisches Problem“, sagt er. Währenddessen sucht Therapiepferd Kurt beim Striegeln die Nähe zu Mike. Immer wieder reibt das Tier seinen Kopf an Mikes Brust. Mike lacht.

„Ich erhoffe mir hier bei der Arbeit mit den Pferden, dass ich gelassener und entspannter werden kann. Ich möchte das Erlebte begreifen, damit umgehen und tatsächlich auch dann damit leben können.“ Kurt wiehert. 

Die Silberburg-Ranch Foto: dpa/Silas Stein

Nach der Bombardierung traut Mike sich mehrere Jahre lang nicht, zu erzählen, was im Einsatz passiert ist. Auch nicht seiner Ehefrau. „Ich hatte immer Angst, als Mörder abgestempelt zu werden, wenn ich darüber rede.“ Doch Gereiztheit und Aggressionen nehmen zu. Zum damaligen Zeitpunkt hofft er noch, dass ihm seine Lehrtätigkeit als Luftbildauswerter hilft, das Grauen in seinem Kopf zu verarbeiten. Doch sein Zustand bessert sich nicht. „Der komplette Abzug aus Afghanistan im August 2021 hat an meinen Moralvorstellungen gerüttelt. ‚Wofür?‘, habe ich mich gefragt.“ 

Wenige Monate später, im Dezember, wird Mike wegen Depressionen und Burnout krankgeschrieben. Jetzt ist er in Fürstenfeldbruck stationiert, hat eine sogenannte DPäk-Stelle. DPäk steht für dienstpostenähnliches Konstrukt. Seiner Arbeit kann Mike aber nicht mehr nachgehen. Durch die Arbeit am Pferd und den Gesprächen mit weiteren Betroffenen, die an der Therapie teilnehmen, kann Mike wieder etwas freier atmen. „Beim Striegeln komme ich am besten runter und ich spüre die Kraft des Tieres“, sagt Mike.

Die PTZ-Studie der Bundeswehr zur Wirksamkeit pferdegestützter Therapien läuft seit 2020 an zwei Standorten in Deutschland: im Zentrum für therapeutisches Reiten in Berlin-Karlshorst und eben in Aichhalden. „Bis Ende 2025 sollen 100 Bundeswehrsoldaten die Therapie durchlaufen haben“, erklärt Oberfeldarzt Christian Helms, der am Psychotraumazentrum der Bundeswehr in Berlin arbeitet.

Die Therapie spielt sich auf der zwei Hektar großen Ranch des Truppenpsychologen im Kommando Sanitätseinsatzunterstützung in Weißenfels, Alexander Varn, ab. Er war 2018 und 2019 im Rahmen eines wissenschaftlichen Austausches 14 Monate an der Air Force Academy in Colorado Springs und lernte dort das pferdetherapeutische Verfahren kennen. Das gibt er in Aichhalden weiter. 

Das Projekt sei kostengünstig in der Bundeswehr verankert, sagt Varn. Es entstünden der Bundeswehr außer der Arbeitszeit des zweiköpfigen Betreuerteams keine Kosten. Denn die fünf Therapie-Pferde und der Hof werden von Varn privat gestellt. „Der Bedarf ist da“, sagt Varn. 

PTBS durch seelisch belastend Erlebnisse

Der Truppenpsychologe wird von Jens Hölzle vom Jägerbataillon 292 der Deutsch-Französischen Brigade (Donaueschingen) unterstützt. Hölzle selbst wurde im Jahr 2009 im Einsatz in Afghanistan verwundet, als eine Patrouille in den Hinterhalt geriet. Ein Geschosskopf, abgefeuert von den Taliban, durchdringt die Panzerung des Fuchses, auf dem unter anderem Hölzle und Sergej Motz eingesetzt sind. Motz überlebt den Angriff nicht. Der junge Hauptgefreite ist der erste deutsche Soldat, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in einem Feuergefecht fällt.

Laut Bundeswehr können seelisch belastende Erlebnisse wie menschliche Grausamkeit oder sinnloses Leid eine PTBS auslösen. Die Symptome seien Schreckhaftigkeit, Suchtprobleme, Schlafstörungen, Alpträume, Aggressivität sowie Schuld- und Schamgefühl. Im vergangenen Jahr gab es laut Helms bei der Bundeswehr 322 neu gemeldete Trauma-Folgeerkrankungen, 197 waren als PTBS gemeldet. „Die Rückmeldung der Teilnehmenden an der Studie ist sehr, sehr positiv“, sagt Helms.