Über ihre Erlebnisse am 16. April 1945 berichteten die Zeitzeugen (von links) Helmut Ziefle (Igelsberg), Siegfried Schuler (Freudenstadt), Annemarie Luz (Dietersweiler) und Inge Baur (Freudenstadt) am Montagabend im Rahmen einer Gedenkstunde. Als Moderatorin der Gesprächsrunde befragte Fabienne Janz zudem Oberbürgermeister Adrian Sonder, Christine Fischer, Wolfgang Tzschupke und Kreisarchivar Louis-David Finkeldei (von links) zu den deutsch-französischen Beziehungen. Foto: Waltraud Günther

„Nie wieder Krieg“ und „Wir müssen das Miteinander suchen“. Mit diesen Erkenntnissen endete am Montagabend eine berührende Podiumsdiskussion mit Zeitzeugen des 16. April 1945 sowie mit Menschen, deren Lebensweg eng mit Frankreich verbunden ist.

Fabienne Jans, in der Stadtverwaltung zuständig für Städtepartnerschaften und für die Gedenkwoche zum 80. Jahrestag der Zerstörung Freudenstadts, war es gelungen, im Subiaco-Kino eine zugleich interessante als auch tiefgründige Gesprächsrunde zu veranstalten.

 

Gekommen waren vier hochbetagte Zeitzeugen, die lebhaft und reflektiert über die Zerstörung Freudenstadts und die Zeit danach berichteten – und die daraus für die aktuelle politische Entwicklung wertvolle Einsichten gewonnen hatten. Gekommen waren aber auch, wie es Janz formulierte, „Vorbilder für die deutsch-französische Freundschaft“.

Dass, so Janz, Erinnerungsbildung mehr ist als die Ansammlung historischer Fakten, sondern sich vielmehr auch auf Stimmen von Zeitzeugen gründet, belegte Inge Baur mit ihrem eindrücklichen Bericht über den 16. April 1945.

Gemeinsam mit der gesamten Familie fand die damals achtjährige Inge während der Zerstörung Freudenstadts im Keller der elterlichen Bäckerei in der Alfredstraße Schutz. „Alle drei Minuten schlugen Granaten ein, bald brannte auch unser Haus“, erinnert sie sich. Was gerettet werden konnte, wurde eilig auf ein „Leiterwägele“ gepackt; ihre Aufgabe war es, eine Fuhre Wäsche zu ihrer Oma in die Musbacher Straße zu fahren, dort sei die große Familie später auch untergekommen.

Trauer und Entsetzen Sie selbst habe damals keine Angst verspürt, versicherte Baur glaubhaft. Der Gefahr sei sie sich nicht bewusst gewesen, sie habe dies eher als Abenteuer angesehen. Erst danach wurde sie mit den Kriegsfolgen konfrontiert und von Grauen, Trauer und Entsetzen gepackt. Sie musste mit ansehen, wie der Freudenstädter Dekan seine durch einen Granatsplitter getötete Frau auf einem kleinen Leiterwagen zum Friedhof brachte. Rechts und links des Wagens hätten die beiden Töchter die tote Mutter auf ihrem letzten Weg begleitet.

Lage in Dietersweiler Annemarie Luz aus Dietersweiler erlebte die Zerstörung Freudenstadts nicht unmittelbar mit; sie beobachtete lediglich zusammen mit der Mutter „vom Nillaberg aus den roten Himmel über Freudenstadt“. Sehr schwierig waren aber auch in Dietersweiler die Tage danach: „Die marokkanischen Truppen kamen und haben bei uns gehaust wie die Vandalen“, erinnert sich Luz. Es sei befohlen worden, das Haus in einer Stunde zu räumen. Deshalb musste sich die Familie eine neue Bleibe suchen. Danach war das Elternhaus unbewohnbar und das Vieh abgeschlachtet. „Nie wieder Krieg“ ist ihr Fazit aus diesen Erlebnissen.

Fakten zum Wiederaufbau Mit interessanten Fakten zum Wiederaufbau Freudenstadts wartete der in Dietersweiler gebürtige Siegfried Schuler auf. Um als „Werwolf“ die Heimat zu verteidigen, hatte er als 13-Jähriger kurz vor dem Einmarsch einen Stellungsbefehl erhalten, der aber nicht mehr vollzogen wurde.

Präzise beschrieb Schuler, wie beim Wiederaufbau der Schutt aus der Innenstadt heraus mit einer Lorenanlage bis zum Ende der Landhausstraße transportiert wurde. Bereits damals sei im Zuge der Wiederaufbaupläne die Umgehung der Stuttgarter Straße geplant worden. Der Krieg hatte auch Einfluss auf seine Berufswahl. Sein Vater hatte ihn mit dem Argument, dass er dann wenigstens sein Gemüse selber ziehen könne und nicht verhungern müsse, dazu überredet, Gärtner zu werden.

Die Rolle der Propaganda Welche Rolle während der Nazizeit deren Propagandamaßnahmen spielten, machte Helmut Ziefle aus Igelsberg deutlich: „Wir alle waren begeistert von der HJ (Anmerkung: Hitlerjugend). Die konnten uns wirklich begeistern“, so Ziefle in seinem kritischen Rückblick. Unerklärlich sei ihm heute auch, so Ziefle nachdenklich, dass sich viele Menschen im Juli 1944 froh darüber zeigten, dass das Attentat auf Hitler nicht geglückt war.

Plädoyer für Europa Bezogen auf die deutsche Geschichte hielt Wolfgang Tzschupke aus Wittlensweiler ein flammendes Plädoyer für gemeinsame Werte und ein vereintes Europa: „Es darf nie wieder passieren, dass es so etwas wie eine Erbfeindschaft gibt.“ Als Nachkomme einer multinationalen Familie steht für ihn fest: „Es reicht nicht aus zu fordern, nie wieder Krieg. Wir müssen uns auch dafür stark machen.“

Von der Freundschaft Wie Völkerverständigung auf eine nachhaltige Art im Kleinen beginnen und wachsen kann, machte Christine Fischer deutlich. Schon früh erlaubten es ihr ihre Eltern, beim deutsch-französischen Schüleraustausch mitzumachen. Da damals am Kepler-Gymnasium noch Französisch erste Fremdsprache war, gab es keine Sprachbarrieren. Aus der Bekanntschaft mit ihrer französischen Austauschschülerin entwickelte sich eine lebenslange, enge Freundschaft: „Wir besuchen uns bis heute und sind in gegenseitigem Respekt miteinander alt geworden“, so Fischer.

Überrascht waren die Besucher von den Ausführungen von Louis-David Finkeldei. Ging der Leiter des Kreisarchivs doch auf die lange gemeinsame deutsch-französische Geschichte Württembergs ein, das, so der Archivar „die meiste Zeit ein deutsch-französischer Staat war“.

Die Städtepartnerschaft Als wichtiges Beispiel für die heute gelebte deutsch-französische Freundschaft verwies Oberbürgermeister Adrian Sonder auf Freudenstadts Städtepartnerschaft. Wichtig sei die Kontinuität der Beziehungen und die tiefe Überzeugung, dass deutsch-französische Beziehungen wichtig sind. Sein Appell, die Botschaft weiterzutragen, fand regen Beifall bei den sichtlich gerührten Besuchern.

Hoch zufrieden mit der Veranstaltung zeigte sich auch Gerhard Braun, der die zahlreichen Besucher – das Subiaco-Kino war voll besetzt – mit einem ARTE-Film zum Kriegsende in Freudenstadt auf die Gesprächsrunde eingestimmt hatte.