Die französischen Streitkräfte marschierten vor 70 Jahren in Villingen und Schwenningen ein. Foto: Stadtarchiv

Deutsche Soldaten ergriffen die Flucht aus den Städten an Neckar und Brigach / Bevölkerung stand vor ungewisser Zukunft

Von Wilfried Strohmeier

Villingen-Schwenningen. 20. April 1945 – Hitler empfängt im Führerbunker letztmals Gäste zu seinem Geburtstag. Am gleichen Tag, viele 100 Kilometer südlich, stehen die französischen Truppen vor den Toren Villingens und Schwenningens.

Die Ereignisse überschlugen sich damals, nicht nur in der südwestdeutschen Provinz, auch im Machtzentrum des 3. Reichs. Zehn Tage nach seinem Geburtstag brachte sich der Führer um, und am 8. Mai um 23.01 Uhr war der Zweite Weltkrieg endlich vorbei – die bedingungslose Kapitulation der Deutschen trat in Kraft.

Lebensmittelknappheit, ständige Fliegeralarme und Angst vor dem was kommen wird, prägten in den letzten Kriegswochen das Leben an Brigach und Neckar. Die beiden Städte waren beide vom Krieg betroffen und hatten unterschiedliche Rollen. Während die Uhrenindustrie in beiden Städten kriegsrelevante Zünder für Bomben fertigte, hatte Villingen zusätzlich eine Kaserne und ein Kriegsgefangenen Stammlager, das so genannte Stalag V B. Es war eines der größten in Südwestdeutschland.

Die Bevölkerung wusste, dass die französischen Streitmächte nicht mehr weit waren in den letzten Kriegstagen und der Krieg verloren war. Deutlich wurde dies mit Sicherheit auch am 20. und 22. Februar, als die Alliierten in ganz Deutschland verstärkt Luftangriffe flogen, so auch auf der Baar. Hermann Riedel beschreibt die Situation in seinem Buch "Villingen 1945". Beschädigt wurden zu großen Teilen die Werke der Saba, die Metallwerke wie auch der Bahnhof in Villingen. In der Folge konnten fertige Produkte, vor allem Bombenzünder, nicht aus der Stadt hinaus gebracht werden, aber auch keine Lebensmittel in die Stadt hinein.

In Villingen verloren bei den Luftangriffen 20 Menschen ihr Leben, in Schwenningen waren es 197. Bei den Gebäuden verzeichnete Villingen 55 schwer beschädigte Häuser, 30 mittelschwer beschädigte und 840 leicht beschädigte. In Schwenningen waren es 136 total beschädigte und 1182 leicht beschädigte Häuser. In den folgenden Wochen bis zur Befreiung durch die Franzosen nahmen die Warteschlangen an den Lebensmittelausgabestellen zu, die Stadt Villingen versuchte Mehl außerhalb zu lagern, um die Versorgung mit Brot sicherzustellen.

Zählte die Patrizierstadt im Jahr 1939 noch 17 000 Einwohner, waren es 1945 insgesamt 23 000. Das lag unter anderem daran, dass bereits ab September 1944 Villingen Auffangstelle für militärische Dienststellen aus dem Elsaß und Baden war, denn die Front rückte näher. Gasthäuser wurden zu Militärzentralen, Schulen zu Lazaretten.

Im März 1945 teilten die Franzosen und die US-Amerikaner die Front sozusagen unter sich auf. Die Franzosen sollten von Speyer her nach Süden vorrücken, wie auch von Süden in den Schwarzwald nach Norden. In der Nacht vom 30. auf den 31. März überquerten die Franzosen den Rhein bei Germersheim, am 16. April kamen sie über den Rhein in Straßburg und von Süden her kamen sie über den Oberrhein von Waldshut her das Wutachtal hinauf, des Weiteren von Pforzheim über Freudenstadt in Richtung Schwenningen.

Zeugten die Militärberichte der Franzosen von dem täglichen Landgewinn, erwähnten dies die Deutschen mit keinem Wort. Durchhalteparolen waren angesagt und dass man dem Feind die Stirn biete. Am 20. April waren laut Hermann Riedels Recherchen noch folgende Militärs in Villingen stationiert: das Jäger-Ersatz-Bataillon 56 mit 1000 Mann, im Reservelazarett lagen 800 Mann, die Wachmannschaft des Stalag VB umfasste 150 Mann, sowie kleinere Dienststellen und sonstige Truppen 500 Mann.

Bataillonskommandeur Hauptmann Widmaier war Befehlshaber in Villingen, er war jedoch nicht in der Stadt, sein Stellvertreter Hauptmann Reimold hielt die Stellung. Nachmittags um 15 Uhr kam folgender Befehl: "Kommandeur Hauptmann Widmaier noch abwesend. Feindliche Panzerkräfte in Richtung Villingen vorstoßend. Sofort die Verteidigung Villingens übernehmen." Doch dazu kam es nicht mehr. Um 16 Uhr zogen die ersten deutschen Truppen ab, so überraschend, dass laut Riedel noch nicht einmal mehr das Essen ausgegeben wurde.

Ein Major Altstadt bemängelte telefonisch, dass die Verteidigung Villingens noch nicht vollumfänglich sei. Brücken und Gleise seien zu zerstören. Derweil rückten die Franzosen immer näher. Um 16.30 Uhr ergriff Reimold folgende Maßnahmen: Rückzug des Panzer-Jagd-Kommandos in die Kaserne, Besetzung des Kasernengeländes durch die Ersatzkompanie, sofortige Inmarschsetzung unbewaffneter und kranker Soldaten nach Titisee, die sonstigen Fahrzeuge sollten sich nach Herzogenweiler absetzen. Gegen 19 Uhr traf ein Oberleutnant ein, der zusammen mit Hauptmann Reimold die Brücken und Bahngleise in Villingen sprengen wollte. Reimold machte dem Gesandten wohl die Sinnlosigkeit des Befehls klar.

Bis Mitternacht wurden Geheimakten verbrannt und nach Mitternacht rückten die letzten Soldaten ab. Das letzte Fernschreiben soll direkt aus dem Führerhauptquartier gekommen sein, mit der Frage, warum Sprengungen nicht durchgeführt wurden und dem Befehl "Die Festung Villingen muss gehalten werden." Aber auch die Soldaten selbst unterwanderten an diesem Tag Befehle, so sprengten sie ihre eigenen Geschütze in die Luft. Zusätzlich kam es an dem Abend zu Plünderungen durch die Bevölkerung, vor allem auf dem so gut wie verlassenen Kasernenareal in Villingen, denn dort lagerten noch Lebensmittel.

Die Franzosen standen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr weit von Villingen und Schwenningen entfernt. Der Führer der Stabskompanie des 27. Infanterieregiments, Capitaine Roussell, schrieb über den darauffolgenden Tag: "Am Vormittag des 21. Aprils war ich mit meiner Einheit bis Obereschach vorgedrungen. Hier befanden wir uns mit einer Artillerie-Einheit. Gegen Mittag begab ich mich nach Mönchweiler. In diesem Orte herrschte jedoch großes Treiben, denn kurz vorher hatten sich die deutschen Soldaten zurückgezogen.

Am Mittag verließen wir Obereschach und zogen nach Villingen, in dem wir einen bedeutenden Zug von Gefangenen vor uns hertrieben. Im Wald sahen wir an der Straße mehrere tote deutsche Soldaten liegen. Als wir uns Villingen näherten, fielen einige Schüsse von einzelnen Soldaten, die sich aber sofort ergaben. In der Stadt hing eine große Anzahl von weißen Fahnen an den Fenstern als Zeichen der Übergabe. Hier hörte der Kampf auf."