Von einem Tag auf den anderen wird eine fünfköpfige Familie aus Brigachtal aus ihrem Alltag gerissen. Mitten in der Nacht steht plötzlich die Polizei vor der Tür.
Ein überraschender Abschiebungsfall einer fünfköpfigen Familie aus Georgien ereignete sich in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch in der Gemeinde Brigachtal.
Martin Hayer, Nachbar der Familie, und Pfarrer Dominik Feigenbutz wenden sich an unsere Redaktion mit der Bitte, auf den Fall in der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen. Gleichzeitig richtet sich Martin Hayer in einem Schreiben an Kanzleramtsminister Thorsten Frei, in dem er den Vorfall aus Brigachtal schildert. Er stellt die Frage, was das Handeln der Bundesregierung hier bestimmt? Menschlichkeit sei es offensichtlich nicht mehr, Zahlen müssten her, man halte sich an die Schwächsten und treffe damit die Falschen.
Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt Martin Hayer, dass die Familie seit vier Jahren in Brigachtal in seiner direkten Nachbarschaft gelebt habe. „Wir haben uns sehr gut verstanden, uns gegenseitig besucht und auch geholfen“, fährt er fort. Die 17-jährige Tochter absolviere eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin in Brigachtal. Der siebenjährige Sohn besuchte die Grundschule und spielte im örtlichen Fußballverein, so Martin Hayer.
Der 19-jährige Sohn sei gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen, er leide an einer fortschreitenden Muskeldystrophie und sei in regelmäßigen Abständen in Tübingen zur Behandlung. „Mit dieser speziellen Medikation kann diese Krankheit nicht geheilt, aber aufgehalten werden. Ohne diese Behandlung wird die Krankheit zum Tode führen“, erklärt Martin Hayer sichtlich bewegt.
Schreiben vom Regierungspräsidium
Zweimal in der Woche erhalte der Junge Physiotherapie in Brigachtal, sein Vater sei zwei Jahre als sein Schulbegleiter in der Schule dabei gewesen. Selbst lerne der Familienvater in einem Kurs die deutsche Sprache.
Am Dienstagabend sei die Tochter mit ihrem Vater mit einer E-Mail von der Ausländerbehörde bei ihm gewesen. In dieser stand: „Die Ausbildungsduldung wurde seitens des Regierungspräsidiums Karlsruhe abgelehnt.“
Polizei rückt mit drei Fahrzeugen in der Nacht an
Um Mitternacht sei die Polizei laut Angaben des Nachbarn mit drei Fahrzeugen angerollt und habe der Familie gerade mal Zeit gelassen, um die wichtigsten Habseligkeiten zu packen. Andere persönliche Dinge hätten sie Martin Hayer zum Aufbewahren übergeben.
„Heute Morgen wollte ich aus der Wohnung weitere persönliche Dinge holen, doch da waren schon Mitarbeiter der Gemeinde da, die uns den Zutritt verwehrten“, schildert der Nachbar. Gegenüber Martin Hayer hätten diese angegeben, lediglich ihre Arbeit zu tun. Eine Antwort auf die Frage „Warum“ bleibt damit aus.
Um 7.15 Uhr habe er die letzte Nachricht von der Familie aus Frankfurt erhalten. Seitdem habe er nichts mehr gehört, sagt Martin Hayer.
Familie kommt aus Georgien
Die Familie komme aus einem sehr kleinen Dorf unweit der Grenze in Georgien. Martin Hayer ist sich sicher, dass der kranke 19-jährige Sohn weder dort noch in der nächsten größeren Stadt eine Medikation wie in Tübingen erhalten werde. Zudem sagt er: „Der Elektrorollstuhl des Jungen durfte nicht mitgenommen werden.“ Für ihn wird hier eindeutig die Menschwürde angetastet, wie er in seinem Brief an Thorsten Frei schreibt.
In dem Schreiben bringt er seine Empörung über den Abschiebungsfall weiter zum Ausdruck: „Heute habe ich mich sehr hilflos gefühlt und mich vor den weinenden Menschen geschämt für diese Abschiebung, geschämt für die fehlgeleitete Politik einer Regierung, die ich nicht gewählt habe.“
Polizei bestätigt die Abschiebung
Die Pressestelle der Polizei in Konstanz bestätigt auf Anfrage unserer Redaktion den Vorfall. Konkret heißt es: „Wir können bestätigen, dass die Familie mit drei Kindern in der Nacht abgeholt und abgeschoben wurde“.
Doch warum ist es zu der Abschiebung gekommen? Das ist bislang noch unklar. Eine Anfrage an das Regierungspräsidium Karlsruhe wurde bereits gestellt, eine Antwort steht noch aus.