Die Gemeinschaftsunterkunft in der Beckstraße ist recht zentral gelegen – dennoch fühlen sich einige Bewohner abgehängt. Wir berichten, woran das liegt.
Von der Beckstraße aus kann man auf den Hof der Gemeinschaftsunterkunft sehen, auf den die Nachmittagssonne knallt. An der Wand des Hauses hängt ein Schild: Der Außenbereich ist videoüberwacht.
In einem abgetrennten Teil der Unterkunft liegt das Büro von Heimleiter Wolfgang Wahl, der insgesamt für 20 Unterkünfte mit insgesamt 315 Wohnheimplätzen im Kreis zuständig ist – darunter jeweils eine Unterkunft nur für Ukrainer und eine für sogenannte Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion mit deutschen Vorfahren.
Früher haben im Gebäude in der Beckstraße Sondereinsatzkräfte der Polizei Geiselbefreiungen geübt, sagt Wahl. Im Büro hängen einlaminierte Sprüche wie: „Wer mich nicht mag, der muss halt noch ein bisschen an sich arbeiten.“
Wie fühlen sich die Bewohner der Unterkunft?
Im ansonsten leeren Hof sitzen drei junge syrische Männer und wirken etwas verloren. „Wir können nichts machen“, sagen sie. Von Kurs- oder Sportangeboten wüssten sie nichts. Einer der jungen Männer, Omar Mohamad, ist 18 Jahre alt und warte bereits seit einem Jahr auf die Möglichkeit, an einem zertifizierten Sprachkurs teilzunehmen.
Ein anderer 29-jähriger Syrer, Khaled Alzoubi, hat einen etwas schwerfälligen Gang und zeigt eine ärztliche Bescheinigung, in der steht, dass er – vermutlich aufgrund von Granatsplitterverletzungen – „im Alltag erheblich eingeschränkt ist“.
Bei einem Bombenangriff 2016 hat er sich demnach Nervenverletzungen zugezogen, und er klage zudem noch über Metallsplitter im Rücken. Er wünscht sich den Zugang zu einem Fahrrad, dass ihm mehr Mobilität ermöglicht.
Warum gibt es keine Fahrräder für die Geflüchteten?
Eine funktionierende Fahrrad-Werkstatt habe es vor der Corona-Pandemie noch gegeben, sagt Erwin Feucht vom Arbeitskreis (AK) Asyl. Zusammen mit dem Landratsamt habe der AK Asyl diese organisiert.
Um den Geflüchteten, die sich sonst kein Fahrrad leisten könnten, eine bessere Mobilität zu ermöglichen, habe die Werkstatt Fahrradspenden angenommen und über das Sozialkaufhaus in Frommern Fahrräder auch für 20 bis 40 Euro verkauft. Zur Zeit sucht der AK Asyl zwei neue ehrenamtliche Mitarbeiter, die ein Händchen für Fahrräder haben, für die Werkstatt.
Und wie steht es um die Deutschkurse?
Thomas Zizmann, Amtsleiter für Zuwanderung und Integration, bestätigt, dass die Unterkunft keine qualifizierten Deutschkurse anbieten könne. Die Abschlüsse von qualifizierten Kursen müssen Geflüchtete allerdings vorweisen, um in ihrem Aufenthaltsstatus und dem Integrationsprozess voranzukommen. Lediglich der Arbeitskreis Asyl bietet für die Bewohner der Unterkunft Beckstraße niederschwellige Deutschkurse ehrenamtlich an.
Die vhs habe die Anzahl der Sprachkurse zwar deutlich erhöht, aber unter anderem durch die geflüchteten Ukrainer sei ein Engpass entstanden. „Vor einem Jahr war das schon absehbar“, daher habe der AK Asyl beschlossen, „wenigstens niedrigschwellige Angebote“ aufzustellen, sagt Feucht.
Warum gibt es nicht mehr Deutschkurse?
Die verschiedenen Anbieter von Sprachkursen seien zwar gewillt, mehr Kurse anzubieten, aber „alle haben das gleiche Problem. Wir kriegen kaum bis gar keine qualifizierten Sprachlehrer und Sprachlehrerinnen“, sagt Feucht. Das sei ein „Riesenproblem“.
Kommen die Geflüchteten mit Vereinen in Kontakt?
Auch mit der Vermittlung von Vereinen an die Geflüchteten vor Ort komme das Ehrenamt an seine Grenzen, sagt Feucht. Wenn der Aktivplatz nach der Gartenschau wieder zugänglich sei, wären damit zumindest sportliche Aktivitäten ganz in der Nähe der Unterkunft möglich.
Die Unterkunft selbst hat wenig Angebote für die Bewohner. Da die Beckstraße zentral in Balingen gelegen ist, sei das Programm dort nicht so engmaschig wie beispielsweise außerhalb in der Gemeinschaftsunterkunft auf der Lochen gestrickt, sagt Zizmann.
Michael Widmann, Geschäftsführer des Caritasverbands für das Dekanat Zollern, betont, dass es beispielsweise Hanteln in der Unterkunft gebe. Wenn diese allerdings beispielsweise in einzelne Räume mitgenommen werden, könne er das nicht ändern. Für die Gerätschaften sei die Caritas nicht zuständig.
Er sieht die Caritas auch nicht in der Rolle des aktiven Vermittlers zwischen Geflüchteten und Vereinen, das müssten die Unterkunftsbewohner selbst in die Hand nehmen. Kontaktmöglichkeiten könne die Caritas auf Nachfrage aushändigen.
Wie sieht es in den Räumen der Unterkunft aus?
Die Räume in der Beckstraße müssten öfters renoviert werden, so Wahl – zuletzt sei eine Küche wegen eines Rohrbruchs ausgefallen. Im Gebäude führen rechts und links vom zentralen Treppenhaus Gänge ab, an denen die Zimmer der Geflüchteten liegen. Kahle Wände, Namensschilder – alles ist auf das Wesentliche reduziert.
Der etwas eintönige Eindruck wird ein wenig von den Graffitis durchbrochen, die auf die Wände des Treppenhauses von den ehemaligen Bewohnern Mulugeta Tekle und Bubu Cham angebracht wurden. Auf einem Werk von Tekle steht eine Frau auf der linken Seite. Ein Pferd scheint von ihr weg zu galoppieren – hin zur Balinger Stadtkirche auf der rechten Seite. Ein Symbol für die Flucht und geliebte, zurückgelassene Menschen.
Im ersten Stockwerk wohnt Giorgi Dzamukashvili aus Georgien bereits seit eineinhalb Jahren. Sie sind zufrieden in der Unterkunft, Dzamukashvilis Sohn zeigt stolz seine Bilder, die im Zimmer an der Wand hängen. Auf einem hat er die Comic-Figur „Hulk“ gemalt – ein schmächtiger Wissenschaftler, der sich durch einen Laborunfall in einen hünenhaften Kraftprotz verwandelt, wenn er wütend wird.
Wie sehen die Flüchtlinge die Lage in ihrer Heimat Georgien?
Dzamukashvilis Kinder gehen in Balingen zur Schule, die Tochter beschreibt die Lage in Georgien: „Wie in der Ukraine, aber ohne Krieg.“ Trotzdem sei die Perspektive für Geflüchtete aus Ländern wie Georgien, die Deutschland als sichere Herkunftsländer einschätzt, sehr schlecht, sagt Zizmann.
Ihm sei kein Fall in den vergangenen Jahren bekannt, indem eine geflüchtete Person aus einem solchen Land in Deutschland eine Chance bekommen habe, zu bleiben.
Kommen die Betreuer mit ihren Aufgaben hinterher?
Die Sozialbetreuung in den 20 über den Kreis verstreuten und von ihm betreuten Unterkünften sei anspruchsvoll, sagt Heimleiter Wahl. Die Sozialarbeiter fahren circa einmal die Woche alle Unterkünfte ab – pro Tag kämen somit ungefähr 120 Kilometer Fahrtweg zusammen. Wenn ein Bewohner zum Termin nicht vor Ort sein kann, müsse er wieder eine Woche warten. Im Falle eines Notfalls brauche das Team teilweise über eine Stunde bis zur Unterkunft.
„Wir versuchen die Standards von ehrenamtlicher und Sozialbetreuung von den großen Unterkünften in die kleineren Unterkünfte zu übertragen“, sagt Zizmann. Kleinere Unterkünfte haben aber auch Vorteile, man könne sie familiärer gestalten, sagt Zizmann. Auch sei dort das Konfliktpotenzial etwas geringer.
Reicht die Zeit für jeden einzelnen Betreuten?
Mit jedem einzelnen Bewohner könne sich ein Heimleiter aus Zeitgründen nicht auseinandersetzen, sagt Zizmann. Zudem erzählt Wahl von Problemen mit der Sprachbarriere.
Auch ein besonderer Schutz, den manche Geflüchtete benötigen, sei nicht möglich – beispielsweise für Menschen, die aus ihrem Land flüchten, weil sie als Homosexuelle oder Trans-Personen verfolgt werden. Wahl erinnert sich an eine Transfrau, die sich in der Unterkunft nicht sicher fühlte: „Sie war die meiste Zeit bei ihren Brüdern.“
Es gebe aber auch ehemalige Bewohner, die der Unterkunft verbunden bleiben und ehrenamtlich unterstützen, betont Wahl.