Block I ist abgeschaltet, vom unterirdischen Zwischenlager in Neckarwestheim nichts zu sehen: Die Angst vor radioaktivem Müll wird dem Standort aber noch Jahrzehnte erhalten bleiben Foto: Leif Piechowski

Das atomare Zwischenlager beim Kernkraftwerk in Neckarwestheim soll mit radioaktivem Müll anderer Standorte aufgefüllt werden. Am Mittwoch stellte der Energieversorger EnBW seine Pläne vor, 342 Brennstäbe aus Obrigheim in das Depot zu verfrachten. Vor Ort stößt die Idee bereits auf heftigen Protest.

Neckarwestheim - Die Bilder vom Protest gegen die Castortransporte sind in bleibender Erinnerung: Auf dem Weg vom Kernkraftwerk in Neckarwestheim zum Verladebahnhof in Walheim zwangen Demonstranten die Tieflader mit Sitzblockaden zum Stopp, unter der Bundesstraße 27 wurden heimlich Tunnel gegraben, auf den Bahngleisen ketteten sich Atomkraftgegner fest. Ein Großaufgebot an Sicherheitskräften war nötig, um den Behältern mit der radioaktiven Fracht den Weg frei zu machen. Oft tagelang lieferten sich militante Castorgegner eine Katz-und-Maus-Jagd mit den Hundertschaften eingesetzter Polizisten.

Weil die Transporte ausgedienter Brennstäbe immer größeren Widerstand auslösten und durch den immensen Aufwand für die Sicherung der Strecke auch immer teurer wurden, vereinbarte die Bundesregierung mit den Kraftwerksbetreibern im Jahr 2000 einen Kompromiss: Statt den Strahlenmüll aus den Atommeilern weiterhin quer durch Europa in die Wiederaufarbeitung zu verfrachten, sollten am einzelnen Standort sogenannte atomare Zwischenlager entstehen. Bis zur Schaffung eines bundesweiten Endlagers – etwa im Salzstock in Gorleben – sollte der radioaktive Abfall auf dem Areal des jeweiligen Kernkraftwerks verbleiben.

Exakt 151 Castorbehälter sollten Platz in den unterirdischen Röhren finden

Sechs Jahre später ging in Neckarwestheim das erste Zwischenlager im Südwesten in Betrieb. Für 40 Millionen Euro waren in den Muschelkalk am Neckarufer zwei jeweils 14 Meter breite Tunnel getrieben worden. Exakt 151 Castorbehälter sollten Platz in den unterirdischen Röhren finden und Transporte auf Straße, Schiene und Wasserweg zumindest vorübergehend überflüssig machen. Obwohl etwa die Gemeinde Gemmrigheim als Standortkommune bis zum Verwaltungsgerichtshof klagte, erhielt der atomare Verschiebebahnhof eine vier Jahrzehnte währende Betriebserlaubnis – bis ins Jahr 2046 kann der radioaktive Müll laut Genehmigung im Zwischenlager sein.

Nur wenige Tage nach Neckarwestheim eröffnete der Energieversorger EnBW auch an seinem Standort Philippsburg eine provisorische Aufbewahrungsstätte. Was nach wie vor aussteht, ist aber ein Zwischenlager in Obrigheim, dem dritten Atomkomplex in Baden-Württemberg. Den Bauantrag hat der Kraftwerksbetreiber bereits 2005 gestellt, seither hängt das Projekt auch wegen der inzwischen verschärften Sicherheitsauflagen in der Warteschleife. Im Gegensatz zum selbst bei einem Flugzeugabsturz als sicher eingestuften Tunnel in Neckarwestheim war in Obrigheim ein 37 Meter langes und 19 Meter hohes Bauwerk geplant.

Nasslager in Obrigheim muss bis 2016 geräumt sein

Spätestens mit dem 2008 begonnenen Rückbau des Obrigheimer Atommeilers hat bei der EnBW aber ein Sinneswandel eingesetzt. Auf den kostspieligen Bau eines eigenen Zwischenlagers am Standort würde der Energieversorger inzwischen liebend gerne verzichten – und die 342 im Nasslager abklingenden Brennelemente stattdessen ins 40 Kilometer Luftlinie entfernte Neckarwestheim transportieren. „Aus unserer Sicht bietet diese Variante den Vorteil, dass der Rückbau in Obrigheim ohne unnötige Verzögerung weitergeht und ein weiteres Zwischenlager in Baden-Württemberg vermieden werden kann“, erklärte Jörg Michels am Mittwoch. Laut dem Chef der EnBW-Kraftwerkssparte muss das Nasslager in Obrigheim bis 2016 geräumt sein, um den als Herz der Anlage geltenden Reaktordruckbehälter mit ferngesteuerten Werkzeugen demontieren zu können.

Ein weiteres Argument für den Transport der Castorbehälter ist für die EnBW, dass es im Neckarwestheimer Provisorium reichlich Platz gibt. Mit 41 Behältern ist erst gut ein Viertel der Fläche in den beiden Röhren belegt, die Obrigheimer Brennstäbe würden insgesamt 15 Castoren füllen. Der einst für Neckarwestheim errechnete Platzbedarf hat sich durch die Abschaltung von Block I deutlich verringert. Über eine Genehmigung für den Transport müsste das Bundesamt für Strahlenschutz entscheiden.

„Ein Atomstandort weniger bringt Sicherheit fürs Land“

Vor Ort stoßen die EnBW-Pläne bereits auf heftige Gegenwehr. „Natürlich werden wir versuchen, das zu verhindern“, kündigte Neckarwestheims Kämmerer Walter Link am Mittwoch juristische Schritte an. Rathauschef Mario Dürr nahm gestern an einem Treffen der Standortkommunen im Berliner Umweltministerium teil. Herbert Würth, Sprecher der lokalen Atomkraftgegner, war gestern nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Allerdings hatte das Bündnis beim Bau des Zwischenlagers gewarnt, der radioaktive Müll könne bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag am Neckarufer liegen.

Der Grünen-Landesvorsitzende Chris Kühn hat die Überlegungen der EnBW hingegen begrüßt. „Ein Atomstandort weniger bringt Sicherheit fürs Land“, sagte er. Kühn sprach von einem „sinnvollen Vorschlag“.