Eine Sperrung des Stichs für Motorradfahrer – wie hier am Lochen in Richtung Meßstetten-Tieringen – ist unwahrscheinlich. Das Landratsamt sieht die L 360 zwischen Bisingen-Thanheim und Albstadt-Onstmettingen nicht als Unfallhäufungsstelle.  Foto: Gern

Die Maschinen röhren seit Jahren am Stich. Zahlreiche Motorradfahrer halten sich an die Verkehrsregeln, andere liefern sich Rennen. Thanheims Ortsvorsteher Rudolf Buckenmaier hofft auf den Lärmaktionsplan. Kann die Straße zum Stich für Motorräder gesperrt werden?

Bisingen - Einige Motorradfahrer lassen es gemütlich angehen an diesem sonnigen Tag am Stich. Sie machen eine Tour, achten auf die Verkehrsteilnehmer um sich herum. Andere haben es auf die Applauskurve abgesehen: In der unteren Haarnadelkurve am Stich stehen – vor allem an Wochenenden – zahlreiche Biker, die mal durchstarten, mal zusehen.

 

Das sagt der Ortsvorsteher

Zu viele? An Ortsvorsteher Buckenmaier wird das Thema seit Langem herangetragen. Anwohner drängen auf ein Fahrverbot ähnlich wie am Lochenpass zwischen Balingen-Weilstetten und Meßstetten-Tieringen. "Noch gibt es keine Nachricht vom Verkehrsamt", sagt Buckenmaier: "Erstgespräch und Besichtigung stehen an." Die Hürden seien hoch: "Wir müssten beispielsweise die Unfallträchtigkeit der Strecke nachweisen."

Zuletzt sei geprüft worden, ob ein Lärmdisplay aufgestellt werden könne. Es zeigt Bikern die Lärmbelastung an und mahnt gegebenenfalls "Leiser!". Für das Gerät – laut Buckenmaier kostet es etwa 15.000 Euro – gab es eine Förderung durch die grün-schwarze Landesregierung in Höhe von 4000 Euro. Allerdings nur bis Ende 2020. Insofern sei eine solche Anlage nicht mehr geplant.

Buckenmaier hofft vielmehr auf den Lärmaktionsplan der Gemeinde und ausgedehnte Tempo-30-Zonen in Thanheim: "Dann überlegt sich mancher, ob er lieber woanders fährt." Außerdem soll in Kürze ein Schild gegen Motorradlärm aufgestellt werden. Das Verkehrsamt in Balingen habe mit Buckenmaier ein passendes Motiv ausgewählt, berichtet die stellvertretende Sprecherin des Landratsamts, Anja Heinz: "Derzeit wird in Kooperation mit dem Straßenbauamt ein geeigneter Standort für das Schild ausgewählt." Die Aufstellung sei "in naher Zukunft" vorgesehen.

Das sagt der Vereinschef

"Ich halte nichts davon, wenn sie dort hochheizen", sagt Gerhard Hodler, Vorsitzender der Motorradfreunde Weiss-Blau Zollernalb, aus Bisingen: "Manche sind schon zu laut." Wer sich gut auskenne, "hört, wenn ein Motorrad zu laut oder umgebaut ist". Er warnt aber auch: "Wenn die Geschwindigkeit beispielsweise auf 60 Stundenkilometer begrenzt oder die Strecke gesperrt werden würde, leiden die, die normal fahren." Der Stich ziehe zudem Fahrer von auswärts an: "Ich sehe viele Tübinger und Stuttgarter Kennzeichen." Seit die Fahrbahn saniert wurde, gebe es so gut wie keine Bodenwellen mehr. "Bei uns am Stammtisch hieß es schon: Wie lange geht das noch gut?"

Das sagt der Lärmexperte

Der Lärmschutzbeauftragte des Landes, Thomas Marwein (Grüne), kennt das Problem nur zu gut. Bei ihm sammeln sich Beschwerden vieler Bürger für den gesamten Südwesten. Er betont allerdings: "Ich bin vor allem ein Kümmerer für die Bevölkerung." Der Landtagsabgeordnete (Wahlkreis Offenburg) könne nicht selbst entscheiden, dass eine Strecke gesperrt wird. Er könne nur an die Motorradfahrer appellieren: "Das Problem muss als Ganzes wahrgenommen werden, nicht nur von einzelnen Bürgern." Auf Bundesebene, auf EU-Ebene sei es zu lösen. Und – wie Marwein sagt – am besten bei den Herstellern: "Damit sie die Motorräder schon ab Werk leiser bauen."

Auch er betont: "Ein Fahrverbot nur für Motorräder ist aus rechtlichen Gründen kaum durchsetzbar. Um aus Lärmschutzgründen ein Verbot zu verhängen, müssten über das ganze Jahr 50 Prozent aller Fahrzeuge auf der besagten Strecke Motorräder sein." Sperrungen gebe es höchstens, um die Verkehrssicherheit zu garantieren: "Das ist aber die letzte Möglichkeit. Dann muss man den Unfallschwerpunkt nachweisen." Zuvor könne eine Kommune die Geschwindigkeit begrenzen und "Panoramakurven massiv absperren, sodass dort kein Zuschauer stehen kann". Leitplanken, Bäume, Sträucher zählt Marwein als Absperrungen auf.

Neben mittlerweile 40 Lärmdisplays im Südwesten weist Marwein auf zahlreiche unsichtbare Messstellen hin. Die Belastung durch Motorradlärm werde derzeit ausgewertet: "Im Sommer wird es Ergebnisse geben."

Info: Rechtslage

Forderungen nach der Sperrung des Stichs für Motorräder werden immer wieder laut. Wie sieht hier die Rechtslage aus?

- Zuständigkeit

Die verkehrsrechtliche Zuständigkeit auf der L 360 teilt sich das Landratsamt mit der Stadt Albstadt. "Die Entscheidung über eine Sperrung müsste im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen", erklärt Anja Heinz, stellvertretende Pressesprecherin des Landratsamts in Balingen.

- Sperrung

"Straßensperrungen sind grundsätzlich ›Ultima Ratio‹ und dürfen verkehrsrechtlich nur angeordnet werden, wenn aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung von Rechtsgütern erheblich übersteigt." Das bedeutet für den Stich: Für eine Sperrung müsse eine konkrete Gefahrenlage bestehen. Außerdem müssten "alle anderen möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ihrer Entschärfung erfolglos geblieben sein".

- Zahl der Unfälle am Stich

Auf der L 360 zwischen Bisingen-Thanheim und Albstadt-Onstmettingen haben sich laut Heinz in den vergangenen drei Jahren vier Unfälle ereignet. In lediglich einem Fall sei ein Motorrad beteiligt gewesen. "Damit ist die Strecke keine Unfallhäufungsstelle, weshalb eine Sperrung nicht gerechtfertigt wäre", betont Heinz.

- Messfahrzeug

Die Kontrollen gehen weiter: "Das Verkehrsamt überwacht den Ortsausgang von Thanheim in den Sommermonaten regelmäßig mit einem mobilen Messfahrzeug." Heinz erinnert zudem daran, dass im vergangenen Jahr erstmals "für die Dauer von einer Woche eine semistationäre Einheit eingesetzt" wurde – ein Geschwindigkeitsmessanhänger also. "In diesem Jahr ist ein ähnliches Vorgehen geplant, wobei der Einsatz der semistationären Einheit ausgebaut werden soll."

- Verkehrszählung

Die vorerst letzte Verkehrszählung in Thanheim fand im Juli 2020 statt. Heinz kündigt an: "Eine erneute Erhebung soll in den kommenden Wochen erfolgen, sobald die Motorradsaison richtig angelaufen ist."

Unfälle

Im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Reutlingen – hierzu zählt Bisingen – wurden 455 Motorradunfälle erfasst. Zwei Menschen starben, 100 wurden schwer und 249 leicht verletzt. Mehr als die Hälfte der Unfälle wurde demnach von den Fahrern verursacht – etwa durch zu hohe Geschwindigkeit und Überholen.

2020 gab es in Baden-Württemberg nach Polizeiangaben knapp 4700 Unfälle unter Beteiligung eines Motorrads – 4,3 Prozent weniger als 2019. 71 Motorradfahrer kamen ums Leben (2019: 94).