Nigel Slater am Schreibtisch in seinem Haus im Norden Londons. Wie er lebt, schreibt und was er kocht, sehen Sie in unserer Bildergalerie. Foto: Jenny Zarins

Kaum jemand schreibt so elegant über Essen wie Nigel Slater. Ein Gespräch in London über seine liebste Jahreszeit, den Winter, seine Rituale zu Weihnachten, und wie schön er es findet, wenn Gäste bei ihm rauchen.

Nigel Slater liebt den Winter. Die kalte Luft, das Kerzenlicht, die Düfte. Slater, 65 Jahre alt, ist einer der beliebtesten Food-Autoren der Welt. Manchmal heißt es, er sei ein Autor, der kocht. Manchmal ein Koch, der schreibt. Beides stimmt irgendwie. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er mit ebenjenem: Kochen und Schreiben. Jamie Oliver nennt ihn ein „gottverdammtes Genie“.

 

Eigentlich hat Nigel Slater mal Koch gelernt, heute aber kocht er nur noch zu Hause im Norden Londons für seine Rezepte, die in Zeitungen und Büchern veröffentlicht werden. In seiner Küche im Erdgeschoss, da ist das Licht zum Fotografieren besser.

Für sein ganz privates Abendessen gibt es noch eine Küche im Untergeschoss. Hier setzt er den Teekessel auf, hat schon Teller und Tassen bereitgestellt. Nigel Slaters Heim ist eines dieser von außen unscheinbaren viktorianischen Reihenhäuser. Nur wenige Meter entfernt hat er alles, was er braucht: einen Feinkostladen, Fischhändler, Metzger und einen Käseladen, der sich natürlich „Fromagerie“ nennt.

Von außen recht unscheinbar, von innen beeindruckend

Drinnen staunt der Gast über die großen, hohen Räume, die Schlichtheit des Mobiliars. Das Haus war schon Hospiz, Elendsquartier und Kunstgalerie. Und es hat 14 Kamine, die aber nicht mehr alle intakt sind. Seit 20 Jahren lebt er nun hier, liest und schreibt, kocht und genießt, lädt zum Essen ein, sammelt schöne, vor allem japanische Keramik.

Nigel Slaters Leben ist voller Rituale. Er ist Frühaufsteher, isst etwas Joghurt, Obst oder jetzt gerade Sauerkraut. Er schreibt Tagebuch, hört Nachrichten, liest in einem Roman. „Vormittags ist am besten. Nach dem Mittagessen arbeite ich nicht mehr so gut“, sagt Slater. Es ist schon später Nachmittag, als er seinen Gast in seiner Küche im Untergeschoss empfängt. Alles ist elegant, minimalistisch, aber auch gemütlich, auf dem Tisch liegt eine Tischdecke in Greige, einer Mischung aus Grau und Beige.

Die Wand ziert eine Installation des Keramikers Edmund de Waal. Slater serviert Selbstgebackenes: Kekse mit Aprikosenmarmelade und dunkler Schokolade, einen saftigen Mohnkuchen und herzhafte Käse-Scones. „Essen Sie Fleisch?“ Nigel Slater steht auf, öffnet den Kühlschrank und holt fein aufgeschnittenen Schinken heraus. „Der passt hervorragend zu den Scones.“

Und schon springt er inhaltlich zu seinem Thema, dem Essen. „Ich liebe Scones. Sie erinnern mich an meine Kindheit, wie ich sie mit meiner Mutter gemacht habe“, erzählt Slater. Doch seine Kindheit war nicht nur schön. Die Mutter starb früh. Der Vater wollte nicht, dass sein Bub kochte. Jungs standen nicht in der Küche, sie waren gut in Sport, machten Holzarbeiten. Es waren die 60er Jahre in Englands Norden. Doch Nigel wollte unbedingt in die Hauswirtschaftsklasse, als einziger Junge.

Kein Weihnachten ohne „Christmas Pudding“

Später lernte er dann das professionelle Kochen in Hotelküchen in London: „Dabei habe ich recht schnell gemerkt, dass ich darin nicht gut bin – also im Team in einer Restaurantküche zu arbeiten.“ Slater wird als Autor beim „Observer“ entdeckt, für den er ab 1993 regelmäßig kocht und schreibt. Viele Rezeptsammlungen folgen. Sein Kochen ändert sich: mehr Gemüse, weniger Zucker.

Was aber bleibt, ist, dass es kein Weihnachten ohne „Christmas Pudding“ gibt, der in England am ersten Weihnachtstag, am 25. Dezember, auf den Tisch kommt. In diesen riesigen Kloß, der nichts mit unserer Vorstellung von Pudding zu tun hat, kommen Sultaninen und Feigen, Aprikosen und Brandy und vieles mehr.

Slater schwärmt vom Vergnügen der Zubereitung, wie das Haus roch, als seine Mutter ihn machte. „Als Kind liebte ich Weihnachten“, so Slater. Er wird sentimental, wenn er erzählt, wie seine Mutter mit ihm das Haus dekorierte, wie ihn der Anblick der Geschenke begeisterte.

Heute mag er Weihnachten nicht mehr so sehr, denn es ist immer auch die Erinnerung, die hochkommt, dass seine Mutter mit ihrem chronischen Asthma eine Woche vor Heiligabend starb. Da war er gerade mal sieben Jahre alt.

Jedes Jahr beginnt mit einem neuen Notizbuch

Noch so ein Ritual, das er jeden Jahreswechsel aufs Neue hat: Am 1. Januar beginnt er ein neues Notizbuch mit einem kleinen Zettel darin. Darauf steht „Living with less“, „mit weniger auskommen“. Nur bei Geschirr, da kann er nicht Nein sagen. Er liebt seine Schüsseln, seine Teller, die aber auch immer zum Einsatz kommen, wenn er etwa zum Essen einlädt.

Was macht einen guten Gastgeber aus, Nigel Slater? „Man ist ein guter Gastgeber, wenn sich alle fühlen, als seien sie bei sich zu Hause. Wenn es sich jemand so behaglich macht, dass er seine Schuhe auszieht. Oder wenn meine Freunde, es gibt noch einige Raucher darunter, bei mir rauchen“, sagt Slater. „Ich gebe keine formellen Dinner. Ein Essen muss entspannt sein.“

Er hat einen Tipp für alle, die Gäste einladen: „Nicht zu sehr ausprobieren. Sich nicht zwei Tage vorher schon stressen. Es muss nicht alles selbst gemacht sein. Man kann auch einfach etwas kaufen.“ Er selbst fühle sich als Gast dann fast schon schuldig, dass jemand so viel Lebenszeit damit verbracht hat, um für ihn zu kochen. Seine Tipps: Käsekuchen oder Pudding zum Nachtisch. Das kann man gut vorbereiten und schmeckt allen.

Seine Tipps: Käsekuchen oder Pudding zum Nachtisch

Bei Slater, der wie kaum ein anderer übers Kochen und Genießen schreiben kann, dreht sich aber nicht alles im Leben ums Essen: „Es gibt doch so viel mehr im Leben: Literatur, Filme, Serien und Reisen.“ Und die Kunst: Auf dem Cover von „A Cook’s Book“ sieht man nicht klischeemäßig einen Koch mit Essen, sondern Kunst von Howard Hodgkin.

Nur einmal wird Slater in diesem Gespräch etwas lauter, gar wütend: als es um den Brexit geht. „Das hat unser Land geteilt“, so Slater. Und es mache auch etwas mit den Lebensmitteln: Der Fisch vor der Küste Großbritanniens, das tolle britische Fleisch, der Käse kämen nicht mehr auf dem Festland an. Und überhaupt: Das Kochen und Essen hätten etwas absolut Völkerverständigendes. Er ist ein Autor, der kocht. Ein Koch, der eine Meinung hat.

Nigel Slater

Sein Leben
Nigel Slater wird 1958 in Wolverhampton geboren und ist einer der erfolgreichsten Food-Autoren weltweit. Sein Leben ist als „Toast“ verfilmt worden (mit Helena Bonham Carter als seine Stiefmutter), und war am Theater zu sehen. Seine Wohnung, seine Rezepte und seinen Garten zeigt er auf seiner Instagram-Seite. Sein Garten hinter dem Haus ist eine der bekanntesten Grünflächen im Vereinigten Königreich. Die Verwandlung des Gartens vom typischen britischen Handtuchstück zur Wunderwelt des Selbstversorgers hat er in „Tender –Gemüse“ dokumentiert. Doch dann kamen die Füchse. „Ein absoluter Albtraum. Sie haben alles zerstört, aufgefressen, umgegraben“, erzählt Slater. Die Füchse sind immer noch da, der Garten jetzt nicht mehr für Gemüseanbau geeignet.

Seine Bücher
Man liest seine Kochbücher wie Romane. Das jüngste Werk, ein dickes Kompendium mit seinen besten Rezepten, liegt bei vielen Leserinnen und Lesern eher auf dem Nachttisch als in der Küche: „A Cook’s Book“ (Dumont Verlag. 42 Euro)