Streitbar und bestimmt: Peter Conradi bei der Schlichtung zum Bahnprojekt Stuttgart 21. Foto: Kraufmann

Harte Kritik an seiner Partei, der SPD, war für Peter Conradi selbstverständlich. Von 1972 bis 1977 führte der langjährige Bundestagsabgeordnete und spätere Präsident der Bundesarchitektenkammer die Stuttgarter SPD. Am Freitag ist Peter Conradi in Stuttgart an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben.

Stuttgart - Dunkel gekleidet meist, die in den 1970er Jahren zum Markenzeichen avancierte Fliege als Farbtupfer, ein ausgreifender, fast fordernder Gang, ein immer herausfordernder, hoch konzentrierter Blick. Peter Conradi pflegte den Gegenentwurf zu einem eiligen Politiker in Grau nicht, er verkörperte ihn. Auch, und gerade dann, wenn es seine Partei, die SPD, schmerzte.

Verletzend aus Sicht der Partei bis in die jüngste Zeit. So etwa, als Conradi „der alten Tante SPD“ vor seinem eigenen 80. Geburtstag im Dezember 2012 einen harten Brief schrieb – gipfelnd in den Worten: „Die Stuttgarter SPD ist an einem programmatischen, personellen, intellektuellen Tiefpunkt angelangt.“

Austreten wollte Conradi jedoch nie – dazu wiederum sah er die aus seiner Sicht notwendige gesellschaftliche Rolle der Partei als viel zu wichtig an. „Das Du und das Wir, soziale Gerechtigkeit, Glaubwürdigkeit, Solidarität, Verantwortung, Vertrauen müssen wiederentdeckt und großgeschrieben werden“, wünschte sich Peter Conradi vor vier Jahren von einer SPD, mit der immer offen haderte und die doch seine blieb.

Conradi verkörperte einen neuen Politiker-Typus

1932 in Schwelm geboren, engagierte sich der Odenwaldschüler schon früh politisch – und trat 1959 in die SPD ein. Als in Bonn 1966 der SPD in der Großen Koalition unter Kurt-Georg Kiesinger (CDU) als Bundeskanzler erstmals die Regierungsbeteiligung gelang, übernahm Conradi in Stuttgart Mitverantwortung – als Vorstandsmitglied des SPD-Kreisverbands.

Conradi verkörperte einen neuen Politiker-Typus. Weltoffen, orientiert auf eine noch nicht näher definierte politische Mitte – und mit dem Bewusstsein für die politische Verantwortung für die Gestaltung von Stadträumen. Ob in den späten 1960er Jahren oder in der jüngsten Zeit – immer engagierte sich der Architekt für Fragen der Stadtraumgestaltung und der Einflüsse von Infrastrukturprojekten. Als Gegner des Infrastruktur- und Städtebauprojekts Stuttgart 21 trat Conradi denn auch bei der öffentlichen Schlichtung im Oktober und November 2010 noch einmal buchstäblich ins Scheinwerferlicht.

Er stand für das Profil Stuttgarts als weltoffener Stadt

Darüber konnte man nur zu leicht die Selbstverständlichkeit vergessen, mit der Peter Conradi viele Jahre für das Profil Stuttgarts als früh weltoffener Stadt stand. Von 1972 bis 1998 Mitglied des Deutschen Bundestags, führte er von 1972 bis 1977 auch die Stuttgarter SPD und trat in der Oberbürgermeisterwahl 1974 gegen Manfred Rommel an. Mit 39,5 Prozent erreicht er mehr als einen Achtungserfolg. Peter Conradi konnte sich reiben, mitunter auch aufreiben – etwa in der Auseinandersetzung um den lange geplanten und mit zahllosen Änderungen beschwerten Neubau des Bundestags-Plenargebäudes in Bonn durch Günther Behnisch. Als dieser schließlich eröffnet wurde, zog das Parlament nach Berlin. Nicht aber in einen von Conradi auf dem Areal des einstigen Stadtschlosses der Hohenzollern – dort entsteht nun das Humboldtforum – vorgeschlagenen Neubau, sondern in das Reichstagsgebäude.

Mitglied des Ältestenrats des Bundestags, stellvertretendes Mitglied im Innenausschuss, im Haushaltsausschuss sowie im Ausschuss für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau – Conradis Aktivitäten im Bundestag waren vielfältig. Stützen konnte er sich dabei auf seine breiten Interessen, die von der angestammten Architektur bis hin zu jeweils aktueller Literatur reichten. Und auch der, der Conradis politische Arbeit nicht kannte, wusste um diese Figur: Stammgast war er ja etwa nicht nur bei Premieren im Schauspiel Stuttgart, häufig Besucher von Kunstausstellungen zudem.

Er stritt für bezahlbaren Wohnraum

Das nur Schöne interessierte Conradi dabei jedoch nie – und so agierte er auch als Präsident der Bundesarchitektenkammer von 1999 bis 2004. Architektur und Städtebau, so machte Conradi seinerzeit deutlich, dürften sich der öffentlichen Diskussion nicht entziehen, müssten im Gegenteil Schrittmacher und Impulsgeber des gesellschaftlichen Wandels sein. Städtebau blieb Peter Conradis Thema, wenn er zuletzt für bezahlbaren Wohnraum stritt.

„Peter Conradi war nicht das, was man ein einfaches Mitglied nennt“, sagte der SPD-Kreisvorsitzende Dejan Perc. „Er hat uns immer kritisch begleitet, und er war bis zum Schluss ein sehr politischer Mensch.“ Mit seinem Erfahrungsschatz aus verschiedenen politischen Ebenen sei er ein guter Gesprächspartner gewesen. „Ich habe ihn sehr geschätzt“, so Perc. Die Todesnachricht habe die Genossen überrascht.

OB Kuhn: Seine Stimme wird Stuttgart fehlen

Stuttgarts OB Fritz Kuhn (Grüne) würdigte Conradi als großen Demokraten und sprach seiner Frau und seiner Familie sein Beileid aus. „Peter Conradi hatte klare Positionen, war engagiert, mischte sei ein. Und er blieb immer gesprächsbereit im politischen Diskurs. Seine Stimme wird in Stuttgart fehlen“, sagte Kuhn.