Das Virus hat sich verändert – die Folgen für das Geschäft mit Impfstoffen sind massiv. Viele Fragen bleiben noch unbeantwortet: Wer braucht künftig wie häufig Auffrischungsimpfungen? Und gegen welche Varianten?
Noch sind die Corona-Impfstoffe eine Goldgrube. So hat neben Biontech auch der US-Hersteller Moderna, der sehr stark von diesem Geschäft abhängt, aktuelle Zahlen vermeldet: Im ersten Quartal 2022 stiegen die Erlöse im Jahresvergleich um rund 220 Prozent auf 6,1 Milliarden Dollar (etwa 5,8 Milliarden Euro). Der Gewinn hat sich im Vergleich zum Vorjahr auf 3,7 Milliarden Dollar verdreifacht.
Goldene Zukunft für die Hersteller?
Den Herstellern von Corona-Impfstoffen winkte auf den ersten Blick eine goldene Zukunft: Einmal einen Großteil der Menschen durchimpfen und dann jedes Jahr einen an die jeweils zirkulierende neueste Variante angepassten Impfstoff entwickeln und von weiteren Massenimpfungen profitieren. So funktioniert das seit vielen Jahren beim Impfstoff gegen Grippe – und angesichts der größeren Gefährlichkeit von Corona schienen die Argumente für einen jährlichen Booster sogar noch besser zu sein.
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Schon Mitte des vergangenen Jahres hatten der Mainzer Hersteller Biontech und sein US-Partner Pfizer anhand von Daten aus Israel zu belegen versucht, dass nach einigen Monaten der Schutz gegen eine Infektion nachlasse und weitere Impfungen diesen Schutz wiederherstellen könnten. Zum anderen betonte Biontech-Chef Ugur Sahin, wie flexibel und schnell die mRNA-Technologie an die jeweils neueste Variante angepasst werden könne. So sprach er im vergangenen November, als sich die Omikron-Variante rund um den Globus ausbreitete, davon, dass lediglich hundert Tage nötig seien, bis ein aktualisierter Impfstoff zulassungsfähig gemacht werden könne. Die hundert Tage sind um – und es gibt weder von Biontech noch vom US-Konkurrenten Moderna, der ebenfalls auf mRNA setzt, bisher einen zulassungsfähigen Impfstoff. Das Virus hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es mutiert viel schneller als gedacht. Selbst das bei den mRNA-Impfstoffen mögliche rekordverdächtige Anpassungstempo ist nicht schnell genug. Und so habe sich die Mehrzahl der Menschen in Europa mit Omikron bereits infiziert, bevor es neue Impfstoffe gibt.
Entwicklungstempo reicht nicht
Eine weitere Erkenntnis: Wer zwei- oder besser dreimal geimpft ist und womöglich obendrauf eine sogenannte Durchbruchsinfektion hat, ist gegen schwere Folgen wohl dauerhaft gut geschützt. Es ist umstritten, ob ein weiterer Booster da überhaupt noch etwas draufsetzen kann. Es scheint, als ob zumindest in jüngeren und weniger gefährdeten Altersgruppen drei Impfungen genügen, wie das auch bei anderen Krankheiten der Fall ist.
Strategie für Hersteller schwierig
Das Problem für die Impfstoffhersteller: Sie müssen aktuell strategische Entscheidungen treffen, ohne zu wissen, wie in diesem Herbst der konkrete Bedarf sein wird. Relativ sicher scheint zu sein, dass der Impfstoff dann auf Omikron ausgerichtet ist oder zumindest eine Komponente gegen diese Variante enthält. Aber angesichts der bisherigen Erfahrungen ist es durchaus möglich, dass eine noch einmal stark veränderte neue Variante diese Planung aufmischt.
Wer braucht die Auffrischimpfung?
Und noch wichtiger: Für wen diese Auffrischimpfung notwendig ist, das weiß niemand. Der schon bisher mögliche zweite Booster mit dem bisherigen Impfstoff wird von verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt: Die USA empfehlen ihn ab 50, die deutsche Impfkommission nur für Menschen ab 70 Jahren – und die europäische Zulassungsbehörde sogar erst ab 80. Die bisherige Nachfrage ist jedenfalls verhalten: In Deutschland haben bisher nur 4,9 Prozent der Menschen, darunter 15 Prozent der Bevölkerung über 60, sich das vierte Mal impfen lassen. All dies erklärt, warum die Entwickler der mRNA-Technologie in ihrem bisher spektakulärsten Erfolg, dem Coronavakzin, nicht mehr unbedingt die dominierende kommerzielle Zukunft sehen.