Deutsche Schüler sind im internationalen Vergleich nur Mittelmaß. Bildungsforscher sagen, das liegt auch am Unterricht. Von einem Lehrer, der versucht, das zu ändern.
Die Zukunft des deutschen Bildungswesens – oder zumindest eines ihrer Gesichter – ist 43 Jahre alt, trägt eine Brille mit dicken Rändern und hat ganz vorn auf dem Kopf nicht mehr so viele Haare. Sebastian Schmidt ist Lehrer für Mathematik und Informatik an einer Realschule. Er unterrichtet bereits seit mehr als zehn Jahren ungefähr so, wie es sich viele Bildungsforscher von deutschen Lehrern wünschen.
„Ich will, dass die Schüler selbst ins Tun kommen“, sagt Schmidt. Und er betont dabei jedes einzelne Wort. Er wolle die Mädchen und Jungen dazu aktivieren, sich selbst mit einer Sache zu befassen und Lösungen zu finden, „damit sie ein Kompetenzerlebnis bekommen“.
Schmidt ist nicht nur Lehrer an der Inge-Aicher-Scholl-Realschule im bayerischen Neu-Ulm Pfuhl. Er berät auch andere Schulen in Sachen digitale Bildung. Schmidt unterrichtet in Klassen, in denen die Kinder und Jugendlichen Tablets nutzen können. Entscheidend seien aber nicht die Geräte, sagt der Lehrer, sondern der Grundansatz, Schüler zum eigenen Denken und Handeln zu bringen.
Schüler lernen Geometrie am Tablet
Bei einer Unterrichtseinheit zum Kreis des Thales sind die Tablets allerdings sehr nützlich. Der Satz des Thales besagt, vereinfacht ausgedrückt, dass alle von einem Halbkreis umschriebenen Dreiecke rechtwinklig sind. Die Schüler bekommen eine Aufgabe zur Vorbereitung mit nach Hause, bei der sie in einem Dreieck den oberen Punkt frei verschieben können – ihnen wird von dem Programm automatisch das Winkelmaß angezeigt.
In der Unterrichtsstunde tauschen sich die Schüler zunächst mit dem Sitznachbarn oder in kleinen Gruppen über das aus, was sie bei der Übungsaufgabe beobachtet haben. Der Lehrer geht aktiv auf diejenigen zu, die nicht richtig mitarbeiten. „Ich bin streng“, sagt Schmidt. „Ich lasse es nicht durchgehen, wenn jemand einfach nur chillen will. Sonst funktioniert diese Art des Lernens, bei der es auf die Schüler selbst ankommt, nicht.“
Viele Experten wünschen sich einen Schulunterricht wie den von Sebastian Schmidt. Der Chef der Pisa-Studie, Andreas Schleicher, hat mal kritisiert, in deutschen Schulen gehe es oft zu „wie in einem Fastfood-Restaurant“. Der OECD-Bildungsdirektor führte weiter aus: „Die Schülerinnen und Schüler sind häufig nur Konsumenten, die den Lernstoff serviert bekommen. Die Lehrer sind Servicedienstleister, die das vorgefertigte Essen aufwärmen und herüberreichen sollen.“ Diese Abläufe frustrierten alle, sagt Schleicher.
Frustriert war auch Sebastian Schmidt, als er sich vor mehr als zehn Jahren fragte, wie er seinen Unterricht verändern könnte. Er hatte das Gefühl, nicht ausreichend zu den Kindern und Jugendlichen durchzudringen. Das Drehen von eigenen Erklärvideos war sein erster Versuch. Und er fand mit Kollegen aus anderen Schulen zusammen, die auch etwas verändern wollten. Sie entwickelten nicht nur eigene Unterrichtsmaterialien, sondern tauschten sie auch untereinander aus. Dafür erhielt Schmidt gemeinsam mit weiteren Kollegen im Jahr 2019 den Deutschen Lehrerpreis.
Dreh- und Angelpunkt ist die Gestaltung des Unterrichts
Sebastian Schmidt hat viel ausprobiert und auch manches wieder verworfen. Er sagt, es müsse natürlich nicht jeder genau das Gleiche tun wie er. Klar ist aber: Experten wie Pisa-Chef Schleicher haben immer wieder deutlich gemacht, dass Dreh- und Angelpunkt der Veränderung in den Schulen der Unterricht ist. Dass es darum gehe, den Forschergeist der Kinder selbst zu nutzen und zu wecken.
Die deutschen Schüler haben bei der Ende 2023 veröffentlichten Pisa-Studie so schlecht abgeschnitten wie nie zuvor. Dass sie international nur Mittelmaß sind, zeigt sich in zahlreichen Bildungsstudien. Besonders schlecht sind Deutschlands Werte in Sachen Chancengerechtigkeit ab. Lehrer wie Sebastian Schmidt wollen dagegen anarbeiten, indem sie den Einzelnen möglichst individuell fördern.
Und was sagen die Schülerinnen und Schüler selbst? Leni hat gerade ihre Mittlere Reife gemacht und bei Schmidt in der 9. und 10. Klasse Unterricht gehabt. „Das ist schon eine Umstellung, wenn man Herrn Schmidt bekommt“, sagt sie. Der verlange richtig was und wolle, dass jeder ganz viel selbst mache. „Aber das macht auch echt Spaß.“