Der Kirchgang gehört für immer weniger Deutsche zum Alltag – und wenn, dann sind sie meist über 65 Jahre alt. Für Menschen in einer Lebenskrise spielen die Kirchen dennoch eine große Rolle, denn ihre Seelsorge ist nach wie vor sehr gefragt.
„Mein Glaube hilft mir. Im Alter wird das Gebet wichtig – ich denke dabei an Menschen, die mir viel bedeuten.“ So geben viele ältere Menschen wieder, was sie innerlich bewegt. Glaube und Gebet haben vor allem bei Menschen über 60 Jahren einen hohen Stellenwert. Laut der Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse waren im Jahr 2023 knapp 21 Prozent der Personen, die Mitglied in einer Kirche oder Religionsgemeinschaft sind, 70 Jahre alt und älter. In der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahre waren es derweil rund 18 Prozent.
Religiöse Praxis ist fremd
„Es wächst eine Generation von älteren Menschen nach, die im Laufe ihres Lebens den Kontakt zur Kirche verloren hat. Die Welt der religiösen Praxis ist ihnen fremd“, sagt Andreas Jensen, Oberkirchenrat bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auf Anfrage. Trotzdem wirken kirchliche Berührungspunkte in der Schule oder auch Taufen und Hochzeiten „erstaunlich lange nach“, so seine Erfahrung.
Die wenigsten Kirchgänger finden sich in der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen. Andreas Jensen nennt es das „Apotheken-Phänomen“: Man ist froh, wenn eine in der Nähe ist – aber man nicht rein muss. Es gebe nach wie vor ein Bedürfnis nach religiöser Bindung und spiritueller Heimat. Im höheren Alter bestehe ein neues Bedürfnis nach Spiritualität und Glauben, das mit den Erfahrungen des Lebens und mit Sinnfragen verwoben ist. Wer nichts mit geistigen Impulsen anfangen könne, dem bedeutet vielleicht ein Handschmeichler in Engelsform etwas, so der Oberkirchenrat.
Einfühlsames Gespräch am Gartenzaun
Manch einer begegnet trotzdem besonders am Ende seines Lebens religiösen Fragestellungen: Was bleibt von meinem Leben, und was macht den Sinn des Lebens aus? Menschen, die an Wendepunkten wie diesen stehen, wenden sich auch an kirchliche Seelsorger. „Jeder Christ ist zur Seelsorge berufen“, erläutert der Oberkirchenrat. So gesehen kann schon ein mitfühlendes Gespräch am Gartenzaun Seelsorge sein. Je komplexer das Problem, desto mehr brauche es aber entsprechende Expertise. Deshalb werden als Seelsorger tätige Menschen bei der katholischen und evangelischen Kirche auch besonders geschult. Sie können beispielsweise für Besuchsdienste in Krankenhäusern oder Seniorenheimen und innerhalb der digitalen Angebote (Chats und E-Mails) oder über Telefon eingesetzt werden.
Pflicht zur Verschwiegenheit
Grundsätzlich sei festzustellen, dass kirchliche Seelsorge unabhängig sei, so Jensen. Seelsorgende sind kirchliche Mitarbeitende und nicht Angestellte einer Institution. Sie unterliegen der Schweigepflicht beziehungsweise dem Beichtgeheimnis. Dadurch unterscheidet sich das Angebot der Seelsorge von dem eines Psychologen. Was in seelsorglichen Zusammenhängen besprochen werde, gehe in keine Patienten- oder oder Personalakten ein und münde nicht in Behandlungsempfehlungen oder Therapien. Andreas Jensen macht den Unterschied deutlich: „Die Therapie hat einen Plan. Seelsorge dagegen will nichts von ihrem Gegenüber.“
Vor Gericht haben Geistliche, die ein seelsorgliches Gespräch geführt haben, ein Aussageverweigerungsrecht. Ein Mensch kann sich so zweckfrei und ohne Folgen Dinge von der Seele reden. Darin hat die Seelsorge ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber allen anderen Berufsgruppen im medizinisch-therapeutischen Bereich.
Von Partnerschaft bis Sucht
„Alles, was den Menschen drückt und beschäftigt, alles, was als Leid empfunden wird, kann Thema in einem Seelsorgegespräch sein.“ Es umfasse Bereiche wie Partnerschaft, Erziehung, Eltern, Suchtneigung oder auch Demenz.
Diese vertraulichen Gespräche können nicht nur persönlich, sondern auch per Chat, per E-Mail oder telefonisch erfolgen. „Besonders die digitalen Angebote werden immer mehr genutzt“, so die Erfahrung bei der evangelischen Kirche. Besonders wenn es sich um Menschen mit schwerwiegenden Problemen handle, werde oft der Chat gewählt. Diese Hilfe werde als „diskreter“ erlebt, die Anonymität als förderlich empfunden, um Angst und Scham zu überwinden.
Einsamkeit ist großes Thema
Sind solche Angebote auch ein Mittel gegen Einsamkeit? Nicht zuletzt in der Telefonseelsorge sei dies ein Riesenthema, so Andreas Jensen. Auf der einen Seite wolle man niemanden vor dem Kopf stoßen, auf der anderen Seite finde vielleicht ein Mensch in einer akuten Notlage keine freie Leitung.
„Im Social Web sind weniger Institutionen wie ,die Kirche’ oder ,das Bistum’ gefragt, sondern vielmehr Menschen, die authentisch ihren Glauben bezeugen und als glaubwürdige Vertreter der Kirche wahrgenommen werden“, heißt es auf der Internetseite der katholischen Kirche. „Das können und sollen Amtsträger sein, etwa Priester, die sich in Facebook und anderen Netzwerken engagieren, aber auch Laien, die aufgrund von Taufe und Firmung ihre Beauftragung zur ,Sendung in die Welt’ annehmen und Zeugnis geben von ihrem Glauben.“
Miteinander der Generationen
Als Anwalt der älteren und alten Menschen versteht sich das kirchliche Altenpastoral der katholischen Kirche. Es wird vom Bundesforum Katholische Seniorenarbeit (BfKS) organisiert und teilt sich auf in die Altenseelsorge, die Altenbildung, die Altenhilfe und die Altenpolitik.
Großes Gewicht werde auf das Miteinander der Generationen gelegt, darauf, Jung und Alt miteinander ins Gespräch zu bringen und gemeinsame Lern-, Handlungs- und Erfahrungsräume zu eröffnen, heißt es beim BfKS. So soll hochbetagten Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf weiterhin ein selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglicht werden.
Wer sich beispielsweise nach seinem aktiven Berufsleben ehrenamtlich als Seelsorger engagieren möchte, dem empfiehlt Andreas Jensen, sich direkt an das Bistum beziehungsweise an die Diözese seines Wohnortes zu wenden. Bei der evangelischen Kirche ist die Landeskirche (es gibt eine württembergische und eine badische) zuständig. Dort erhalte man weitere Infos, auch zu den Ausbildungsmöglichkeiten.