Der Psychologe Willibald Ruch über Eigenschaften, die zur Lust an der Arbeit beitragen.

Stuttgart - Willibald Ruch kennt die Eigenschaften, die zu einem glücklichen Leben und zur Lust an der Arbeit beitragen. Als Professor für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik an der Uni Zürich weiß er, dass sich diese Charakterstärken sogar trainieren lassen.

Herr Ruch, Ihr Institut bestimmt Charakterstärken mit Hilfe eines Fragebogens. Was kam bei Ihnen heraus?

Ich habe an der Übersetzung des Fragebogens ins Deutsche mitgearbeitet und war so tief in der Materie drin, dass es für mich nicht sinnvoll war, ihn auszufüllen. Irgendwann habe ich aber meine Mitarbeiter gefragt, und die kamen dann mit einer Liste, von der ich denke, sie stimmt: Neugier ist sicher eine meiner Stärken und gehört zu meinem Beruf. Freundlichkeit wurde mir ebenfalls attestiert und gehört zum Job eines Hochschullehrers. Ausdauer ebenfalls.

Bei der Berufswahl wird bisher auf Eignung und Ausbildung geachtet. Nun bringt Ihre Fachrichtung Charakterstärken als Kriterien ins Spiel. Wurden die bisher vernachlässigt?

Bis in die 1950er und 1960er Jahre hinein war Charakter in der deutschen Psychologie ein sehr wesentlicher Begriff, er wurde auf die positiven Eigenschaften des Menschen bezogen. Dann gab es den berechtigten Einwand von Gordon Allport, die Psychologie solle den Menschen nicht bewerten, sondern beschreiben. Also wurde der Charakterbegriff durch Persönlichkeit ersetzt. Die Positive Psychologie geht davon aus, dass die Charakterstärken dazu beitragen, ein glückliches Leben zu führen. In diesem Sinne sind sie etwas ganz Neues, und der Begriff des Charakters gehört wieder in die Psychologie.

Wie unterscheiden Sie Persönlichkeit, Charakterstärken und Tugenden?

Da gibt es eine gewisse Unschärfe. Die meisten Autoren unterscheiden zwischen Leistung und Temperament. Also einmal: Wie gut können wir etwas tun? Dann: Wie tun wir Dinge üblicherweise? Man kann weiter differenzieren zwischen moralisch bewertenden Eigenschaften und den aufs Temperament bezogenen. Tugenden dagegen sind allgemein wünschenswerte Eigenschaften, hervorgehoben in Theologie, Philosophie und Ethik: also zum Beispiel Gerechtigkeit, Weisheit, Mut und Menschlichkeit. Charakterstärken zeigen eher die Wege auf, wie man diese Tugenden leben kann. So sagt das Modell von Seligman und Peterson, dass man Weisheit erlangen und Wissen ausleben kann über Neugier, Liebe zum Lernen oder Kreativität. Das sind gangbare Wege.

Was prägt den Charakter? Das Erbmaterial, die Erziehung, ist es die Kultur?

Es ist die Summe aller Einflüsse. Gewisse Anlagen bringen wir mit, ansonsten formt sich unser Charakter durch die Interaktion mit unserer Umgebung quasi auf natürliche Weise. Wenn man aber darüber reflektiert, kann man sich überlegen, bestimmte Aspekte des Charakters willentlich auszubilden. Und wenn etwas erblich ist, heißt das nicht per se, dass es nicht veränderbar oder trainierbar ist.

Der Charakter lässt sich also beeinflussen.

Man nimmt an, dass Charaktermerkmale weit mehr dem eigenen Willen unterworfen sind als andere Eigenschaften und daher trainiert und verändert werden können. So wie man lernt, ein Instrument zu spielen, so muss man auch den Charakter schulen, der ja aus Gewohnheiten besteht. Beherrscht man ein Instrument, muss man sich willentlich anstrengen, um falsch zu spielen. So ist es auch mit dem Charakter: Ich kann mir einzelne Verhaltensweisen vornehmen, sie planen, durchführen, erneut planen, bis ein Automatismus einsetzt. Der amerikanische Präsident Thomas Jefferson soll 14 Tugenden auf diese Weise eingeübt haben.

Sie haben eine Studie zur Veränderbarkeit von Humor gemacht. Wie lief das ab?

Zunächst wurde geschaut, was zu Humor gehört: zum Beispiel das Kind in sich wiederentdecken, Techniken wie Über- und Untertreiben, die Analyse von Witzen, aber auch Fragen wie "Kann ich über Peinlichkeiten sprechen, über mich selbst und sogar unter Stress lachen?". Die Studie mit integrierten Trainingseinheiten lief über acht Wochen. Es zeigte sich, dass zwei Monate nach Ende der Studie die Werte bei der Skala "Sinn für Humor" tatsächlich erhöht waren und erhöht blieben - nicht nur als Selbsteinschätzung, sondern auch durch die Bewertung von außen. Wir konnten auch einen Anstieg der Lebenszufriedenheit erkennen.

Geschäftsführer eine ganz breite Palette an Stärken

Eine Erkenntnis der Positiven Psychologie ist, dass für ein glückliches Leben drei Aspekte wichtig sind: das tätige, sinnstiftende und vergnügliche Leben. Was ist entscheidend?

Am zufriedensten sind nach unseren Daten die Menschen, die alle drei Aspekte in ihr Leben integrieren. Viele sind nur für andere da, wieder andere sind reine Arbeitstiere, machen kaum etwas für ihr Vergnügen. Es zeigt sich, dass sich die drei Ebenen ergänzen, wobei der höchste Effekt tatsächlich durch das tätige Leben erzielt wird. Das entspricht einer Rehabilitierung der Arbeit. Wir sehen, dass Leute, die ihre Arbeit als Berufung begreifen können, die höchste Arbeitszufriedenheit haben.

Genuss ist also weniger wichtig.

Zwar kann man auch Genießen lernen, aber da gibt es eine natürliche Grenze. Bei der Beratung bieten die Aspekte Tätigkeit und Sinngehalt bessere Ansatzpunkte. Die eigenen Stärken zu kennen, sie auch einzusetzen und auf diese Weise das eigene Leben zu bereichern oder sie einzusetzen, um anderen oder höheren Ideen zu dienen - das sind Wege, die auch für die Intervention Erfolg vielversprechend sind.

Wie wirken sich Charakterstärken auf die Arbeitszufriedenheit und den Beruf aus?

Es ergeben sich zwei Fragen. Die eine: Wie kann ich die aktuelle Berufssituation, den Arbeitsablauf und die vielen Interaktionen, die sich aus meiner Tätigkeit ergeben, so verändern, dass sie meinem Naturell näherkommen. Im Extremfall steht die Erkenntnis: Ich habe gar nicht den Beruf, der mir am meisten liegt, und bin vielleicht den Vorstellungen anderer, etwa der Eltern, gefolgt. Die zweite: Wie kann ich meinen Charakter entwickeln, etwa die eine oder andere Stärke wie Neugier besser ausbauen?

Wer profitiert von diesen Fragen?

Charakterstärken sollen unmittelbar zu einem glücklichen Leben beitragen, und die damit verbundenen Verhaltensweisen sollen erfüllend sein. Das sehen wir beim Flow, diesem Aufgehen in der Arbeit, dem Versinken in einer Aufgabe. Da helfen Charakterstärken wie Neugier, Liebe zum Lernen und Ausdauer. Diese Stärken fördern ein optimales Erleben. Durch eine Studie konnten wir erkennen, dass sich die Arbeitszufriedenheit erhöht, wenn die eigenen Stärken zum Tragen kommen. Wenn in einem Betrieb Leute arbeiten, die Freude an der Arbeit haben, die sich darin verwirklichen wollen und die ihre Arbeit als Berufung sehen, dann ist das auch von Vorteil für die Firma.

Gibt es branchenspezifische Stärken?

Noch haben wir keine Ergebnisse, wie sich die verschiedenen Stärken auf einzelne Berufsgruppen verteilen. Das herauszufinden ist unser nächstes Vorhaben. Aus unseren Daten konnten wir bisher nur sehen, dass Geschäftsführer eine ganz breite Palette an Stärken haben und tatsächlich auch höhere Werte. Aktuell suchen wir interessierte Vorgesetzte oder Teamleiter, die mit ihren Mitarbeitern an einer Befragung teilnehmen möchten.

Was hat Sie bei Ihrer Forschung bisher am meisten überrascht?

Ich fand erstaunlich, dass die Studien so schön belegen, dass das Bearbeiten von Aufgaben deutlich zur Zufriedenheit beiträgt. Das ist etwas, was ich selbst in meinem Tun immer gespürt habe. Ich bin sehr zufrieden, wenn ich Studienergebnisse sichte, analysiere, und ziehe Kraft aus dem Versinken in meinen Aufgaben. Für mich ist das eine Art Luxus. Das bedeutet auch, dass ich meine Arbeit schlecht zur Seite legen kann und gern ins Wochenende mitnehme. Dass das tätige, beschäftigte Leben nun ganz wesentlich zu den Faktoren gehört, die mit Lebenszufriedenheit zusammenhängen, leuchtet mir persönlich zwar ein. Aber mit Blick auf den im Alltag doch eher negativ belegten Ruf der Arbeit hat mich das dann doch überrascht. Und bei den eigenen Studien war ich schon erstaunt, dass man so etwas wie Humor, von dem man ja denkt, man hat ihn oder hat ihn nicht, doch als etwas Veränderliches sehen kann. Dass hier tatsächlich eine Verbesserung durch Training möglich ist.