"Mut zur Wahrheit" fordert die AfD-Hechingen auf Ihrer Facebook-Seite für sich ein. Zu dieser Wahrheit gehört nun, dass eines ihrer Mitglieder, der bei den Kommunalwahlen als Kandidat im Rennen ist, einen Strafbefehl erhalten hat. Foto: Screenshot Facebook

Haftbefehl über Facebook widerrechtlich verbreitet. Besonders pikant: Angeklagter ist Polizeibeamter.

Zollernalbkreis - Ein AfD-Mitglied aus Hechingen, das bei den Kommunalwahlen Ende Mai sowohl für den dortigen Gemeinderat und auch für den Kreistag als Kandidat antritt, ist im Visier der Justiz. Der Mann soll widerrechtlich einen Haftbefehl veröffentlicht haben. Ihm drohen Konsequenzen.

Das Hechinger Amtsgericht hat in der Angelegenheit bereits einen Strafbefehl gegen den Mann erlassen; zur Höhe der Strafe machte das Gericht am Mittwoch auf Anfrage unserer Zeitung keine Angaben. Der Angeklagte hat Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, sodass es nun zu einer öffentlichen Gerichtsverhandlung kommt. Der Termin dafür war für Mittwoch dieser Woche angesetzt, wurde allerdings auf Anfang Mai verschoben.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann einen Verstoß gegen Paragraf 353d des Strafgesetzbuchs vor. Darin beschrieben sind mögliche Folgen für "verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen". Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe kann demnach unter anderem belegt werden, wer beispielsweise amtliche Dokumente eines Strafverfahrens öffentlich verbreitet, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.

Genau das soll der Hechinger nach Überzeugung der Ermittler getan haben: Nach der Tötung des 35-jähriges Mannes in Chemnitz im August 2018 soll er den Haftbefehl gegen einen der Tatverdächtigen auf der Facebook-Seite der AfD Hechingen weiterverbreitet haben. Zunächst widerrechtlich veröffentlicht hatte den Haftbefehl ein Dresdner Justizbeamter; der Mann verlor deswegen seinen Job.

Deutschlandweit war der Haftbefehl über diverse Internet-Kanäle – darunter viele AfD-Seiten – verbreitet worden. In Parteikreisen galt der Justizbeamte als Held, weil er die "Wahrheit" ans Licht gebracht habe. Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Stefan Räpple bot dem Mann sogar an, er könne fortan für ihn arbeiten.

Besonders pikant: Angeklagter ist Polizeibeamter

Mit einer ähnlichen Motivation hat wohl auch der Hechinger AfD-Mann den Haftbefehl weiterverbreitet. Den entsprechenden Facebook-Beitrag, der nur kurze Zeit online war, versah er mit den Worten, dass man mal schauen müsse, wie lange sich dieser Post halte, bevor er der – Zitat: "Zensur des Wahrheitsministeriums" zum Opfer falle. Für eine Stellungnahme war er am Mittwoch nicht zu erreichen.

Besonders pikant im Fall des Hechingers: Der Mann ist zum einen Kandidat bei den Kommunalwahlen. Fraglich ist, wie sich der Strafbefehl und die anstehende Gerichtsverhandlung auf das Ergebnis für ihn persönlich und seine Partei auswirkt. Der Kreis-AfD ist der Strafbefehl bekannt; der Kreisvorsitzende Hans-Peter Hörner wollte sich am Mittwoch nicht dazu äußern.

Grundsätzlich kann der Mann weiterhin an den Wahlen teilnehmen. Seine Wählbarkeit ist nach Auskunft des Landratsamts durch den Strafbefehl nicht beeinträchtigt. Wählbar wäre er auch dann, wenn er in der für Anfang Mai angesetzten Verhandlung schuldig gesprochen würde. Die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, geht erst mit der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen eines Verbrechens verloren – im vorliegenden Fall indes geht es um ein Vergehen.

Fast noch pikanter ist derweil, dass der Angeklagte Polizeibeamter ist. Wie alle Mitarbeiter des öffentlichen Diensts ist er zu besonderer Geheimhaltung verpflichtet. Inwieweit dieser Umstand im Strafbefehl Niederschlag gefunden hat oder in der anstehenden Gerichtsverhandlung eine Rolle spielen wird, ist unklar.

Auf den ersten Blick ist bei dem im Raum stehenden Vorwurf zumindest kein unmittelbarer dienstlicher Bezug erkennbar: Weder hat der Mann den Beitrag auf Facebook als Polizist veröffentlich, noch betrifft er einen Fall, den er als Polizeibeamter bearbeitet hätte.

Grundsätzlich gilt: Wird ein Beamter zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt, ist damit der Verlust der Beamtenstatus’ verbunden; der Betroffene fliegt also aus dem Dienst. Auch disziplinarische Konsequenzen seitens des Dienstherrn sind denkbar. Im konkreten Fall hat der Angeklagte nach Auskunft des Polizeipräsidiums Tuttlingen aber wohl nichts zu befürchten.

Info: Ähnliche Fälle 

Ganz ähnlich gelagerte Fälle zeigen, dass die Veröffentlichung des Chemnitzer Haftbefehls für die Verbreiter durchaus Folgen hatte. Ein AfD-Landespolitiker etwa verlor deswegen seinen Posten im Berliner Abgeordnetenhaus; der Mann war – ausgerechnet – Vorsitzender des Datenschutzausschusses. Der Abgeordnete hatte zu seiner Verteidigung angegeben, nicht gewusst zu haben, dass die Weiterverbreitung des Chemnitzer Haftbefehls eine Straftat sei. Ähnlich hatte sich ein AfD-Abgeordneter im niederbayrischen Bezirkstag zu verteidigen versucht, der ebenfalls den Chemnitzer Haftbefehl über Facebook weiterverbreitet hatte. Das half ihm allerdings nichts: Gegen den Mann wurde ein Strafbefehl erlassen. 90 Tagessätze, mithin also eine Geldstrafe in Höhe von drei Monatsgehältern, musste der Mann bezahlen.

Die Veröffentlichung eines Haftbefehls ist gesetzlich verboten, dies dient vor allem dem Schutz der Persönlichkeitsrechte von Opfern und Zeugen sowie der Sicherstellung eines ordnungsgemäßen, rechtsstaatlichen Verfahrens. Solange bei einem Verfahren die Ermittlungen laufen, gilt die Unschuldsvermutung. Die Geheimhaltung soll zudem die Unbefangenheit der Zeugen sichern. In dem Haftbefehl von Chemnitz waren unter anderen der Name des Verdächtigen, eines 22-jährigen Irakers, dessen Anschrift, Details zur Tat sowie Namen von Zeugen zu lesen. Der Deutsche Richterbund sowie der Deutsche Anwaltsverein hatten die Veröffentlichung des Haftbefehls damals scharf kritisiert: Ein rechtsstaatliches Verfahren werde dadurch beeinträchtigt, weitere Ermittlungen würden erschwert, der Verdächtige öffentlich an den Pranger gestellt.