Im Gargano, dem kleinsten Anbaugebiet Italiens, züchten Liebhaber noch heute alte und spezielle Sorten von Zitronen und Orangen. Das Internet hilft ihnen – zum Glück.
Wenn Giovanni Laidò von seiner „Bionda“ erzählt, also seiner Blonden, dann leuchten seine Augen, und er gerät ins Schwärmen. Einzigartig sei sie, natürlich und unverfälscht, ein „Juwel unseres Territoriums“. Der Süditaliener redet nicht von seiner Liebsten, sondern von seinen Orangen, von der „Arancia Bionda del Gargano“, die so heißt, weil ihre Schale etwas heller ist als die der anderen Orangen. Jahrhunderte lang sei die „Bionda“ unverändert geblieben, nie gekreuzt oder gentechnisch verändert worden, nie auf möglichst viel Ertrag oder möglichst wenig Kerne getrimmt wie ihre Schwestern aus Sizilien oder Übersee.
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Noch etwas anderes macht die „Bionda“ so besonders: Die Früchte der Region Gargano reifen auf Bäumen, die oft 200 Jahre oder älter sind. Deshalb hätten sie „mehr Geschmack, mehr Originalität, mehr Saft, mehr Nährstoffe und etwa siebenmal mehr Vitamin C“ als die meisten anderen Orangen.
Laidò weiß, wovon er redet: Hauptberuflich erforscht der Wissenschaftler die Gene von pflanzlichen Nahrungsmitteln am nationalen Agrar-Institut Crea in Italien. Im Nebenberuf ist er Präsident des lokalen Zitrusfrüchte-Konsortiums, dessen Mitglieder im Gargano, dem kleinsten Anbaugebiet Italiens, einige der speziellsten Sorten des Landes anbauen.
Neben der „Bionda“ sind dies die „Arancia Duretta“ sowie die Zitrone „Limone Femminello del Gargano“. Bei „Femminello“ handelt es sich um die älteste Zitronensorte Italiens; sie wurde bereits Anfang des 15. Jahrhunderts erwähnt. Auch „Femminello“ und „Duretta“ sind nie verändert worden, und alle drei sind seit 2010 durch ein EU-Gütesiegel geschützt.
Feinschmecker lieben den fruchtigen Geschmack
Von den Zehntausenden Touristen aus dem In- und Ausland, die jedes Jahr auf dem Gargano Urlaub machen, wissen die wenigsten von der Zitrusproduktion an der Nordküste. Sie kommen wegen der malerischen Fischerstädtchen Vieste, Peschici und Rodi Garganico, wegen des Nationalparks, wegen der vorgelagerten Tremiti-Inseln und natürlich wegen der apulischen Küche.
Was die Feinschmecker vielleicht bemerken, ist der frische und fruchtige Geschmack der „spremuta“, des frisch gepressten Orangensafts, oder das intensive Aroma der „Granita“, des aus Zitronensaft und Zucker hergestellten halb gefrorenen Wassereises.
Die Anbauer sehen sich selber als Helden
Der Tourismus hat die Zitrusfrüchte als wichtigste Einnahmequelle abgelöst. Beim Orangen- und Zitronenanbau handelt es sich nur noch um eine Nischenproduktion. „Unsere gesamte Anbaufläche beträgt rund 800 Hektar – etwa die Größe einer einzigen Orangen-Plantage in Sizilien“, betont Laidò.
Die gesamte Produktion beträgt nur rund 1000 Tonnen Orangen und Zitronen pro Jahr. Halb ironisch bezeichnet er sich und die anderen Mitglieder des Konsortiums als „heldenhafte Produzenten“: Die wenigsten von ihnen könnten alleine von den Zitrusfrüchten leben. „Die Parzellen sind zu klein und befinden sich in den steilen Hängen über der Küste; der Einsatz von Maschinen ist kaum möglich, fast alles ist Handarbeit“, sagt Laidò. Deshalb hätten die meisten seiner Kollegen auch noch einen anderen Beruf.
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Das war nicht immer so. Während der Hochblüte des Orangen- und Zitronenanbaus in der Zeit der italienischen Einigung im 19. Jahrhunderts, als Italien bei der Produktion von Zitrusfrüchten europaweit noch fast eine Monopolstellung innehatte, seien die Produzenten des Gargano wohlhabend geworden. „Unsere Vorfahren exportierten ihre Früchte über Triest an die Höfe von Wien, Berlin, St. Petersburg und Schweden und sogar bis in die USA“, erzählt Laidò. Der entscheidende Vorteil sei gewesen, dass die „Bionda“ eine spät reifende Sorte ist, die von März bis Juni geerntet wird, während in Siziliens Orangenhainen im Februar schon alles vorbei ist. „Weil wir mit der ,Duretta’ auch eine frühe Sorte haben, konnten wir unseren Kunden fast das ganze Jahr über mit Orangen beliefern“, betont Laidò.
Ein Kurier liefert die Früchte zu den Kunden
Doch dann kam der Zweite Weltkrieg, der die Nachfrage einbrechen ließ, und dann die Konkurrenz aus Spanien, Nordafrika, Brasilien und den USA mit ihren riesigen Plantagen in der Ebene und ihren auf immer mehr Ertrag gezüchteten Sorten. Bei deren günstigen Preisen konnten die Produzenten des Gargano nicht mithalten.
Doch sie haben eine Nische gefunden: Fast alle Orangen- und Zitronenbauern hier verkaufen und versenden ihre Früchte per Kurier direkt an ihre Kunden, die ihre Bestellung im Internet oder telefonisch vornehmen können. Weil damit die Zwischenhändler wegfallen, sind die Preise trotz der Kurier-Kosten noch konkurrenzfähig.
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Selbst Giovanni Laidò, der Präsident der Zitrus-Helden des Gargano, kann nicht davon leben. Aber warum tut er sich das Ganze dennoch überhaupt an? Statt einer Antwort führt Laidò den Besucher hinauf in seinen zwei Hektar großen Zitrushain, den er vom Großvater geerbt hat.
Am Eingang steht eine seit Jahrzehnten unbewohnte Villa mit Blick auf die Adria; im „gardino“, dem Zitrushain, leuchten die reifen Orangen und Zitronen aus den dunkelgrünen Blättern. Laidò produziert biologisch wie die meisten seiner Kollegen.
Vereinzelt sind auch Olivenbäume zu sehen, und als Schutz gegen den Wind hat der Süditaliener Steineichen und Lorbeer gepflanzt. Er sagt: „Das ist Biodiversität, Natur, Tradition, Leidenschaft: Eine einzigartige Sache, ein Paradies. Das wollen wir erhalten, und deshalb machen wir das.“