"Wir Menschen gelten als vernünftige Wesen, wer das behauptet, ist nie Mensch gewesen" – die Schlussaussage der Hauptfigur Alceste in Molières 1666 uraufgeführtem Stück "Der Menschenfeind" durchzieht die ganze Komödie, die zwar mit komödiant wirkenden Dialogszenen aufwartet, aber immer ins Tragische kippt.
Rottweil - Seinerzeit hatte Molière keinen Erfolg mit dem Stück, erst später erfolgte große Wertschätzung – und für die Gegenwart scheint das Stück aktueller denn je. Das zeigte sich bei der Premiere des Stücks am Sonntag im Zimmertheater in Rottweil.
Molière verzichtet auf tradierte Mittel der Komödie, er setzt auf die Entfaltung der Konflikte aus den Charakteranlagen der Figuren. Die Regie von Peter Staatsmann folgte diesem Grundprinzip konsequent. Die Schauspieler kehren ihre innere Einstellung zur Gesellschaft nach außen – wenn sie überhaupt eine Position beziehen, außer sich mit der Oberschicht zu identifizieren.
Konflikt zwischen Anklage der Gesellschaft und Wunsch nach Liebe
Nur die Hauptfigur Alceste bezieht Position – überzeugend dargestellt von Meinolf Steiner im Konflikt zwischen Anklage der Gesellschaft und Wunsch nach Liebe. Er stemmt sich gegen die korrupte Oberschicht und scheitert als Kritiker. Die Grundkritik Molières hat sein Werk überdauert. "Ich will der sein, der ich bin, ein Freund für alle – nicht für mich!", sagt Alceste zu seinem ergebenen Freund Philinte (Lukas Kienzler verkörpert die Rolle treffend).
Alcestes Richtlinien sind allein "die Vernunft und das Recht"; er spricht dem Verfasser eines Sonetts, Oronte, das Können entschieden ab. (Stephan Müller spielt die Rolle des Dilettanten gekonnt) "Ich halte es nicht wie alle Welt - ich sage, was mir nicht gefällt", ist eine versteckte Kritik Molières an den Dichtern seiner Zeit. Ein einfaches Lied, das Alceste "zu Herzen geht" leitet den Bezug zu seiner jungen Geliebten Célimène ein. (Nora Kühnlein spielt durchgehend kokett und lebendig-gefühlvoll).
Spielerisch- heiteres Aufeinandertreffen
Ein scheinbar spielerisch- heiteres Aufeinandertreffen aller – Alceste, Célimène und ihrer Liebhaber – erlaubte Anklänge an eine Komödie, endete aber auch hier im Desaster. (Frank Deesz als Clitandre und Boris Ben Siegel als Acaste spielen bestens ihre Abhängigkeit von Célimène). Die alles beherrschende Frau der Salons tritt als Verkörperung der Intriganz auf (Petra Weimar als Arsinoé zeigt sich überlegen in ihrer Rolle und trägt in einer technischen Zwangspause zur allgemeinen Erheiterung bei).
Intrige, Lügen und Gemeinheiten führten schließlich zu einem "Prozess" aller gegen Célimène. Vernunft und Recht – die Lebensmaximen Alcestes kulminieren in einem realen Prozess, den er verliert, aber stolz auf das Urteil ist, denn er zeige die Verkommenheit der Gesellschaft: "Eine Lächerlichkeit, anstatt mich anzuklagen, ihm das Dichten zu untersagen!" und in einem Intrigen-Prozess aller gegen Célimène. "Schönheit und Gemeinheit", die Gegensätze erfasste Éliante (Valentina Sadiku spielte ihre Rolle als Hinterfragende und zugleich Anfällige gut).
"Mein Herz gehört nicht meinem Verstand"
Die Regie lässt hier einen großen Spannungsbogen aufkommen von bitterer Bloßstellung bis zur Schadenfreude der Intriganten. (Petra Weimar verstieg sich zu einem hysterischen Lach-Schrei, während Nora Kühnlein als Célimène sehr stark alle Anwürfe wortlos über sich ergehen ließ). Den Spannungsbogen unterstrich die Musik von Dorin Grama optimal. Durch diesen "Schau"-Prozess entlarvten sich die Beteiligten selbst. Alcestes kommt von dieser von ihm gehassten Gesellschaft nicht los: "Mein Herz gehört nicht meinem Verstand".
Célimène lehnt seinen Antrag ab, mit ihm in die Zweisamkeit zu gehen. Alceste fällt über sich selbst das Urteil: "Ich bin nicht geschaffen für die Liebe" – und zieht sich aus der Welt zurück in die Einsamkeit. n Die nächsten Aufführungen sind am Donnerstag 8. Juli, Freitag 9. Juli und am Samstag 10. Juli in der Stallhalle.