Konstanze Helber (rechts) beantwortet eine Schülerfrage. Linjs neben ihr Christian Schneider – Geschichtslehrer der Klasse 9b am MGG. Foto: Kopf

Konstanze Helber sorgte bei den Klassen 9a und 9b am Horber MGG für eine Doppelstunde der besonderen Art. Sie berichtete über ihre versuchte Flucht aus der DDR und wie sie über zwei Jahre im berüchtigten Frauenzuchthaus Hoheneck Zwangsarbeit leisten musste.

Horb - Helber war doppelt gefordert. In der ersten und zweiten Stunde war die Klasse 9a an der Reihe und in der fünften und sechsten Stunde die Klasse 9b. Der Ablauf identisch: Helber greift zunächst kurz die aktuelle Situation in der Ukraine auf, um dann ihre "Lebensgeschichte" zu erzählen. Geboren 1954, 1961 zwei Wochen nach Baubeginn der Mauer eingeschult. Bei Veranstaltungen der Jungpioniere ist sie zwar dabei, aber schon von Beginn an "abgeneigt".

Als eine von wenigen Familien gibt es daheim einen Fernseher, auf welchem sogar Westfernsehen geschaut werden kann. Helber sieht dort Bilder vom "Prager Frühling" und wie Sowjet-Truppen gewaltsam dagegen vorgehen. "Ich wollte einfach wissen was da passiert. Im Ostfernsehen war das ganz anders dargestellt. Daher habe ich meine Lehrer in der Schule befragt und fast einen Schulverweis bekommen." Immer wieder stellt sie nach eigener Aussage unbequeme Fragen, was ihr nicht gerade Vorteile einbringt. "Meine Noten wurden manipuliert, weswegen ich nicht zum Abitur zugelassen wurde", kann sich Helber noch erinnern. Sehr früh wird sie daher auch bespitzelt.

Bedeutsamer Urlaub

Sie startet eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester. Vom verdienten Geld gönnt sie sich einen Urlaub am Meer. Bulgarien ist das Ziel, welches ihr "zugeteilt" wird. Wie das Schicksal will, lernte sie dort einen Mann aus der BRD gehen. Die beiden kommen sich näher und tauschen sich aus, heute sind sie seit 42 Jahren verheiratet. Da ihnen die wenigen Treffen nicht genügen, stellt Helber zwei Mal einen Ausreiseantrag, der jeweils abgelehnt wird. Nachdem ihr Vater, der selbstständig einen Betrieb führte und dabei von der Regierung sehr schlecht behandelt wurde, stirbt, will Helber fliehen. Ihr Freund engagiert eine Fluchthilfe und lässt sich dies eine Menge Geld kosten – die Flucht geht aber schief.

"In dieser Fluchthilfeorganisation war ein Spitzel. Ich bin also vom großen ins kleine Gefängnis gewandert", berichtet die 67-Jährige. Zunächst sind fünf Monate Untersuchungshaft angesetzt, eine alles andere als leichte Zeit, wie Helber berichtet. "Ich hatte viel Langeweile, man durfte tagsüber nicht mal auf dem Bett liegen, abends ging das Licht alle zehn Minuten wieder an, ich habe sehr schlecht geschlafen."

Schlimme Bedingungen in Hoheneck

Schlimmer wird es dann noch in Hoheneck. 48 Frauen verteilt auf nur zwei Zellen, mit zwei Toiletten und einem gemeinsamen Waschraum. "Man hatte keinerlei Intimität", so Helber. Gearbeitet wird im Drei-Schicht-System, es geht teilweise also morgens um vier Uhr bereits los. Was für Helber besonders schlimm war: "Wir mussten Bettwäsche nähen. Diese aber in allen möglichen bunten Farben, also für den Westen. Genau da, wo ich hinwollte."

Verweigert eine der Insassinnen die Arbeit, wird dies streng sanktioniert. "Es gab eine Paket-, Brief- oder Besuchersperre. Zudem konnte es auch Arrest in einer Dunkel-oder Wasserzelle geben", erläutert Helber den Schülern.

Helber will nicht anklagen

Nachdem Helber freigekauft wird, spricht sie 25 Jahre nur mit den engsten Familienangehörigen über die schlimmen Erlebnisse. Das hat sich nach einem Besuch 2004 im geschlossenen Frauenzuchthaus Hoheneck geändert. "Ich wollte meine Geschichte unbedingt aufarbeiten." Helber ist heute Vorsitzende des Forums für politisch verfolgte und inhaftierte Frauen der SBZ/SED-Diktatur e.V. "Wir haben bereits viele Frauen mit diesem Schicksal gefunden. Was mir wichtig ist: Ich bin Zeitzeugin, keine Anklägerin."

Schüler zeigen sich sehr interessiert

Gute 20 Minuten vor Ende der Doppelstunde startet Helber die offene Fragerunde. Sind die Schüler und Schülerinnen anfangs noch etwas zurückhaltend, ändert sich das von Frage zu Frage. Trotz des anstehenden Wochenendes werden noch nach dem Klingeln Fragen gestellt. Auch nach dem Unterricht gibt es noch vereinzelte Nachfragen, ein Schüler bedankt sich sogar für die Offenheit, mit der Helber von ihren Erlebnissen berichtet. Unter anderem wird gefragt, ob Helber psychische Folgen durch die Situation erlitten hat, wie die Mitarbeiter mit den Gefangenen umgingen, ob Briefe bereits im Vorfeld geöffnet wurden oder ob sie den Fluchtversuch bereuen würde.