Gotthard Vetter ist Jahrgang 1940. Er erinnert sich an die letzten Kriegsjahre. Foto: Störr

Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine sorgt für eine wahre Bilderflut in den Nachrichten. Das weckt bei vielen älteren Menschen im Kinzigtal Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg.

Haslach - Stellvertretend für viele, die namentlich nicht genannt werden möchten, kommt der Haslacher Gotthard Vetter im Gespräch mit unserer Redaktion zu Wort.

Gotthard Vetter ist Jahrgang 1940 und seine frühesten Erinnerungen reichen in die Zeit zurück, als der Krieg fast zu Ende war. Noch heute beschleicht ihn ein ungutes Gefühl, wenn er im Freien arbeitet und Tiefflieger übers Tal donnern. Denn auch in seiner Kindheit sind die Jagdbomber über Haslach geflogen, was ihm in Fleisch und Blut übergegangen ist. Beim Sirenenalarm wurde er von der Mutter und der Tante zusammen mit seiner Schwester in die Waschküche des Kellers getrieben. Auf Kartoffel-Säcken sitzend wurde solange ein Rosenkranz nach dem anderen gebetet, bis der Alarm vorüber war. Direkt hinter dem Haus war bei der Bombardierung – Vetter vermutet, dass diese im Zusammenhang mit dem Bahnhof stand – ein Blindgänger eingeschlagen, der einen riesigen Trichter im Boden verursacht hatte. Auf dessen Rand ist er als Fünfjähriger herumgeklettert, ohne sich der Gefahr einer möglichen Explosion bewusst zu sein. Und Vetter erinnert sich gut, wie seine Mutter die Uniform seines Vaters und seines Onkels in einer Fuchshöhle versteckt hatte, als 1945 die Franzosen kamen und in allen Ecken und Winkeln nach Nazis gesucht hatten. "Mit ihren Mauleseln waren sie durchs Dorf gezogen und es gab Geschichten von gestohlenen Hühnern", erinnert er sich. Auch der alte Schopf, in dem Lebensmittel unter dem Bretterboden in der Erde versteckt wurden, ist dem Haslacher lebhaft in Erinnerung.

Bei Sirenen-Alarm ging’s in den Keller

Und was er auch noch weiß: "Wir haben keinen Hunger gelitten." Es habe zwar nur wenig gegeben – und auch das nur auf Lebensmittel-Marken – aber seine Mutter stammte aus einer Landwirtschaft in Fischerbach, wo er schon als Kind half und dafür mit Essbarem belohnt wurde. Eine Flasche Milch sei dabei eine seltene Krönung gewesen. Von den Gefangenenlagern rund um Haslach habe er damals zwar etwas mitbekommen, aber er sei einfach zu jung gewesen, um das Vorgehen dort zu verstehen.

"Als mein Vater im Herbst 1947 aus der Gefangenschaft nach Hause kam, war das ein ganz besonderes Erlebnis. Ich habe nämlich gar nicht gewusst, dass es mein Vater war", erzählt Vetter und schildert den Tag. Früher habe man sich in der Nachbarschaft oft Dinge ausgeliehen, weil nicht jeder alles hatte. Während seiner Schwester in der Küche die Haare gekämmt wurden, hieß ihn die Mutter, Stricknadeln zur Familie Isenmann zurückzubringen. Auf dem Weg von der Haustüre zur Straße sah er dann einen stattlichen Mann, der einen dunkelgrünen Mantel samt Hut trug. "Ich habe Angst bekommen und bin zurück in die Küche gerannt", weiß Vetter noch heute. Und dann sei die Türe aufgegangen und der Mann wäre hereingekommen. Warum er die Post aus dem Krieg und aus der französischen Gefangenschaft immer mit "Euer Vati" unterschrieben hatte, blieb ihm allerdings für immer ein Rätsel. "Ich habe mich dann immer dafür stark gemacht, dass es ›d’Vadder‹ isch", erzählt der Haslacher am Ende.

Info: Viele Gespräche

In vielen Gesprächen mit älteren Menschen im Kinzigtal wurden die Fassungslosigkeit und das Entsetzen über den russischen Angriffskrieg deutlich. Erschreckende Parallelen zum Zweiten Weltkrieg wurden gesehen, die Bilder und Nachrichten über Massengräber und Gräueltaten der russischen Armee riefen schlimmste Erinnerungen wach. Längst vergessen Geglaubtes kehrte mit zunehmender Kriegsdauer wieder ins Gedächtnis zurück – und die Angst vor einem dritten Weltkrieg war mitunter auch zu hören.