Zehn Jahre nach Einführung der gesetzlichen Lohnuntergrenze fordert die Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, Veränderungen bei der Mindestlohn-Kommission. Ziel ist auch ein Anstieg auf 15 Euro pro Stunde.
War das ein Proteststurm, bevor der gesetzliche Mindestlohn vor genau zehn Jahren mit 8,50 Euro pro Stunde eingeführt wurde. Die Kritiker sind damals bald verstummt – heute rüttelt am Prinzip niemand mehr. Dennoch wird immer wieder über die Höhe gestritten, und diese Debatte dürfte 2025 noch mal richtig Fahrt aufnehmen.
Hauptverantwortlich für den aktuellen Konflikt ist die regierungsunabhängige Mindestlohn-Kommission – ausgerechnet das Gremium, mit dem die Untergrenze damals ermöglicht wurde. Die hat am 26. Juni 2023 mit der Stimme der Vorsitzenden und gegen die Arbeitnehmerseite beschlossen, den Mindestlohn zum 1. Januar 2024 auf 12,41 und zum aktuellen Jahreswechsel auf 12,82 Euro zu heben – ein Eklat, der die Gewerkschaften noch immer auf die Palme bringt.
DGB: „An den Abstimmungsregeln etwas ändern“
Umso massiver drängen diese vor der nächsten Entscheidung im Juni 2025 für die Jahre 2026 und 2027 auf einen massiven Anstieg – möglichst auf 15 Euro, die auch SPD und Grüne in ihren Wahlprogrammen zur neuen Messlatte erhoben haben. Nach dem Plan des Gewerkschaftsbundes soll die Kommission dann wieder einen einhelligen Beschluss fassen. Damit dies gelingt, mahnt die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi Konsequenzen an. „Das Prinzip des einmütigen Vorschlags, den die Kommission an das Arbeitsministerium richtet, muss grundsätzlich für die Zukunft sichergestellt sein“, sagte sie unserer Zeitung. Das setze aber eine „funktionierende Beratungskultur“ voraus. „Es geht nicht, dass diese Kultur gemeinsamer Verantwortung wie zuletzt von der Arbeitgeberseite gebrochen wird – um das zu verhindern, muss man meines Erachtens an den Abstimmungsregeln etwas ändern.“
Eine echte Parität bedeute eben nicht, dass die Vorsitzende dieser Kommission am Ende des Tages „das Zünglein an der Waage“ sei. Auf dem Weg zur Empfehlung der Kommission müsse es andere Prozessschritte geben, die man miteinander vereinbaren könne. „Dazu braucht die Kommission eine neue Geschäftsordnung, und idealerweise muss man dann auch das Gesetz entsprechend anpassen“, rät die DGB-Chefin.
Ihr eigentlicher Wunsch sei es aber, „dass es bei diesem einmaligen historischen Fehler von 2023 bleibt“, sagt Fahimi. „Es wäre gut und richtig, sich mit den Arbeitgebern darüber verständigen zu können, dass künftige Empfehlungen der EU-Mindestlohnrichtlinie entsprechen müssen.“ Dann orientiere man sich einerseits an den Tarifentwicklungen hierzulande, andererseits aber auch an der EU-Vorgabe, und die laute: 60 Prozent des nationalen Medianlohns. Dies würde für 2025 genau 14,83 Euro und für 2026 bereits 15,27 Euro je Stunde bedeuten.
Die Arbeitgeber bestreiten, dass die EU-Richtlinie gesetzliche Anpassungen zur Mindestlohnfestsetzung erfordert. „Das hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales selbst bestätigt“, betont Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesarbeitgebervereinigung BDA. Zehn Jahre Mindestlohn – das heißt für die Arbeitgeber vielmehr „zehn Jahre gewissenhafte Kompromissfindung der Sozialpartner“. Die Festsetzung der Lohnuntergrenze müsse auch in Zukunft Sache der Sozialpartner bleiben.
BDA: „Jubiläumsveranstaltung zur Beerdigung erklären“
Die Mindestlohn-Kommission habe in der Vergangenheit für Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigungsschutz und Arbeitsplatzsicherheit verantwortungsvolle Entscheidungen getroffen, versichert Kampeter. Sie habe sich an den Tarifabschlüssen aller Branchen orientiert. „Waren diese höher, so hat das den Mindestlohn steigen lassen – waren diese aufgrund schlechter wirtschaftlicher Entwicklung niedriger, dann fiel auch die Anpassung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben geringer aus.“ Wie im Juni 2023.
Und die BDA warnt: „Wenn sich die Politik erneut für eine politische Lohnfestsetzung entscheidet, sollten sie die Jubiläumsveranstaltung offiziell zur Beerdigung der Mindestlohn-Kommission erklären – sie wäre dann sinnlos und überflüssig.“ Die Arbeitgeber stünden hingegen dafür bereit, „dass die Kommission ihren Auftrag entschlossen und unabhängig fortsetzt“.
Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung gefordert
Nach zehn Jahren habe der Mindestlohn maßgeblich dazu beigetragen, den Niedriglohnsektor zu begrenzen, bilanziert Thorsten Schulten, der Leiter des WSI-Tarifarchivs der Hans-Böckler-Stiftung. Nun müsse er dauerhaft auf ein angemessenes Niveau gehoben werden. Genauso wichtig sei es, dass die nächste Bundesregierung auch die zweite zentrale Anforderung der Mindestlohnrichtlinie umsetzt: einen wirksamen Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung. „Bei der Tarifbindung liegt Deutschland mittlerweile weit hinter wichtigen Nachbarländern zurück“, warnte der Tarifexperte.