Lars Weber (Tom Schilling) spricht Lauren Faber (Sofia Helin) in einem Café an. Foto: ZDF/Bernd Schuller

Oliver Hirschbiegels Miniserie „Der gleiche Himmel“ ist weit mehr als ein Agententhriller. In dem Dreiteiler fürs ZDF legt er den DDR-Kosmos im Kalten-Kriegs-Jahr 1974 unters Brennglas. Tom Schilling in der Hauptrolle ist eine Traumbesetzung.

Berlin - Eines Abends legt der Zufall dem DDR-Bürger und Parteimitglied Gregor Weber einen verletzten Spatz vor die Füße in der Ostberliner Plattenbausiedlung, in der er lebt und das betreibt, was seine Partei „sozialistische Wachsamkeit“ nennt, also Spitzelei. Die Kamera zeigt ihn, wie er einen kurzen Moment neben dem verletzten Tier stehen bleibt und auf es herabsieht. Wird er den Vogel zertreten, ihm den Hals umdrehen, um ihn zu erlösen? Oder wird er versuchen, ihn zu retten? Eine nebensächliche Szene, doch sie trägt dazu bei, dass dieser Gregor Weber, gespielt von Jörg Schüttauf, dem Zuschauer Rätsel aufgibt, zu Assoziationen anregt – zumindest eine Zeitlang. Gute Serien können gar nicht genug ambivalente Figuren wie Gregor Weber haben.

„Der gleiche Himmel“, eine Anspielung auf die Christa-Wolf-Erzählung „Der geteilte Himmel“, hat einige davon. Die undurchschaubarste Figur dieses ZDF-Dreiteilers aber ist freilich nicht Gregor Weber, sondern sein Sohn Lars: Der stützt den Arbeiter- und Bauern-Staat im Kalten-Kriegs-Jahr 1974 als Romeo-Agent – als Spion, der in Westberlin die Herzen von weiblichen Geheimnisträgern erobern soll.

Tom Schilling spielt den 25-Jährigen; er ist eine Traumbesetzung – so wie fast alle Rollen in dieser Miniserie hervorragend gespielt sind, etwa von Friederike Becht, Ben Becker, Anja Kling, Godehard Giese, Hannes Wegener, Claudia Michelsen.

Selbst Tom Schilling weiß nicht, wer seine Figur ist

Was treibt Schillings gescheitelten Jüngling in Schlaghosen und knapper Lederjacke dazu, dieses Höllenfahrtkommando anzunehmen? Die Vaterlands- und Vaterliebe, die sozialistische Überzeugung? Oder ist da noch etwas anderes? Was geht vor hinter diesem smarten Unschuldsgesicht, das gut aussieht, ohne typisch gut auszusehen? Selbst Tom Schilling sagt über seine Figur: „Ich weiß offen gestanden nicht, wer dieser Mann ist. Wenn man ihn wohlwollend beschreiben möchte, könnte man ihn idealistisch und gradlinig, willensstark und perfektionistisch nennen. Oder aber auch aalglatt und skrupellos.“

Für die Stasi ist er jedenfalls der perfekte Kandidat für die „postkoitale Beeinflussung zwecks Informationsgewinnung“ der britischen Agentin Lauren Faber (Sofia Helin), die im Spionagezentrum auf dem Teufelsberg arbeitet. Eine unglückliche Person, geschieden, hilflos gegenüber ihrem respektlosen Sohn Emil (Jascha Rust), der sie bestiehlt und demütigt. Weber ist es somit ein Leichtes, mittels Blickkontakt „durch das linke Auge den direkten Draht“ in Laurens rechte Gehirnhälfte und somit zur „weiblichen Emotion“ herzustellen, wie er es in der Agentenschule gelernt hat.

Sexspionage ist nur ein Puzzleteil eines Zeitbildes

Doch dann geschieht etwas Unvorhergesehenes, und Webers Fast-Food-verschlingender Führungsoffizier Ralf Müller (Ben Becker) diktiert eine Planänderung: Laurens Kollegin Sabine Cutter (Friederike Becht) wird seine neue Zielperson, die für den US-Geheimdienst NSA auf dem Teufelsberg Abhördaten auswertet und deren Stiefvater ein NSA-Kommandant ist. Dass Sabine aber mehr ist als nur eine Informationsquelle, wird durch eine Familienfotografie angedeutet, die sowohl östlich als auch westlich der Berliner Mauer immer wieder ins Bild rückt . . .

Die Ufa-Fiction-Produktion einen Agententhriller zu nennen, wäre eine fahrlässige Verkürzung. Die Sexspionage ist nur ein Puzzleteil des Zeitbildes, das die Autorin Paula Milne und der Regisseur Oliver Hirschbiegel in dreimal neunzig Minuten ausbreiten. Milne thematisiert in mehreren parallelen Strängen wesentliche DDRFacetten: Doping im Leistungssport, Umgang mit Homosexuellen, versuchte Republikflucht, den Traum von einem besseren Leben, Verrat. Dabei versteht sie es geschickt – wie schon Mehrteiler wie „Weissensee“ oder „Der Turm“ –, das Politische im Privaten aufzuzeigen – und verhandelt die Härten der deutsch-deutschen Geschichte, die moralischen Konflikte einer Diktatur auf Familienebene, etwa der von Gregor Webers Bruder Conrad.

Häufig transportieren prägnante Bilder die Botschaften

Die thematisch ähnliche, hochgelobte Spionage-Serie „Deutschland 83“ (RTL) hat die US-Autorin Anna Winger geschrieben; beim „Gleichen Himmel“ legt eine Britin den DDR-Kosmos unters Brennglas. In beiden Fällen scheint die Außenperspektive den Blick erheblich zu schärfen. Die Milieus sind mit enormer Detailtreue in der Ausstattung gezeichnet; Oliver Hirschbiegel lässt häufig prägnante Bilder anstatt Worte Botschaften transportieren – viel Ideologie-Sprech gibt es dennoch. Eingewobene Dokumentarschnipsel sowie Szenenhintergründe konturieren die Zeitgeschichte: der Rücktritt Willy Brandts, Richard Nixon und Watergate; Hare Krishna und Aktionskunst im Westen, Junge Pioniere-Rituale im Osten.

Manche Arrangements wirken hyperrealistisch wie ein Edward-Hopper-Gemälde; Dialoge klingen immer wieder aufgesagt, wie auswendig gelernt – Regie und Drehbuch spielen raffiniert mit Schein und Sein. Hier sind Identitäten verschleiert, in Verwandlung begriffen, nicht nur beim Spion oder beim Spitzel: Da ist die Schwimmerin Klara (Stephanie Amarell), Lars‘ Cousine, deren Körper vom HormonDoping drastisch manipuliert wird, ihr Vater Conrad (Godehard Giese), der sich überlegen muss, ob er gute Miene zum bösen Hochleistungsbetrug macht; da ist auch der schwule Physiklehrer Axel (Hannes Wegener), der seine Liebe zu dem Briten Duncan im Campingbus ausleben muss. „Ich komme mir vor wie in einem Spiegelkabinett“, beschreibt er sein Leben in der DDR. „Die verzerrte Fratze, die ich da sehe, das bin ich, wie sie mich haben wollen, und das kann ich nicht sein.“

Das Konzept erinnert sehr an „Deutschland 83“

Schon der clever gemachte Vorspann, in dem Bilder der Protagonisten durch den Schredder laufen, spielt das Motiv der auflösenden Identitäten an. Die grafisch originelle Trailer-Optik erinnert freilich sehr an „Deutschland 83“. Überhaupt: Der Kalte Krieg, das geteilte Berlin, Spionage: „Der gleiche Himmel“ scheint auf den ersten Blick eine Kopie der beim deutschen Publikum gefloppten, aber vielfach ins Ausland verkauften RTL-Produktion zu sein; die Macher betonen freilich, dass die Konzeption zeitgleich erfolgt sei.

Das ZDF-Format mag nicht ganz so fesseln wie die RTL-Serie, ist weniger dynamisch und zielstrebig, hat weniger spannende Thrillermomente – trotzdem überzeugt der klar auf ein internationales Publikum ausgerichtete Dreiteiler mit einer ganz eigenen Aura. So kann man sich darüber ärgern, dass die ersten zwei Folgen wirken wie eine allzu lange Exposition und das Ende der dritten so abrupt wie offen ist – oder darüber freuen: Die jüngsten Serien-Klopper, Matthias Schweighöfers „You are Wanted und „Charité“, waren kaum angelaufen, da teilten Amazon und ARD die Fortsetzungsbeschlüsse mit. Beim „Gleichen Himmel“ wird es genauso sein.

Sendetermine
ZDF, 27., 28. und 29. März, jeweils um 20.15 Uhr