Die Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung, die meist drei bis vier Jahre dauert, beliefen sich im Durchschnitt auf 3600 Euro. Foto: dpa/Stephanie Pilick

Etwa zwei Dritteln der Kinder und Jugendlichen im Südwesten tragen eine Zahnspange auf Kosten der gesetzlichen Kassen. Insbesondere Mädchen sind in kieferorthopädischer Behandlung. Doch was sind die Gründe für die hohe Nachfrage?

Sie gehört fest zum Standard eines Teenagers hinzu: Die Zahnspange. Deutschlandweit lassen sich nahezu 55 Prozent der Kinder und Jugendlichen kieferorthopädisch behandeln, wie es im aktuellen Zahnreport der Barmer Baden-Württemberg heißt. Der häufigste Grund ist die Therapie einer Kiefer- und Zahnfehlstellung mittels einer Zahnspange. Der Südwesten liegt dabei über dem Bundesdurchschnitt: Hier gehen mehr als 57 Prozent der Jugendlichen zum Kieferorthopäden, Mädchen (62,9 Prozent) öfter als Jungen (51,8 Prozent). „Das sind bundesweit nach Bayern die zweithöchsten Werte“, sagt der Landesgeschäftsführer der Barmer, Winfried Plötze. In Bremen sind es knapp 46 Prozent.

 

Keinen medizinischen Grund für den Unterschied

Grundlage des Zahnreports der Barmer sind Abrechnungsdaten für kieferorthopädische Behandlungen von Achtjährigen des Jahrgangs 2005. Erhoben hat die Krankenkasse die Daten zwischen 2013 und 2022 – also bis zu einem Alter von 17 Jahren. Darunter waren laut Krankenkasse auch Daten von rund 4700 Heranwachsenden aus Baden-Württemberg. Medizinisch ließen sich weder die regionalen Unterschiede erklären noch die Tatsache, dass Mädchen etwa zehn Prozent mehr kieferorthopädische Behandlung erhalten als Jungen, so Plötze.

Es muss also andere Gründe für den Trend zur Zahnspange im Südwesten geben: Vor wenigen Monaten machten Schlagzeilen die Runde, in denen vor dem „Glänzenden Geschäft mit Zahnspangen“ gewarnt wurde: Die kieferorthopädische Behandlung von Kindern in Deutschland sei zu teuer, zu langwierig und teils überflüssig, kritisierte die „Süddeutschen Zeitung“ und belegten dies mit Vergleichszahlen aus dem europäischen Ausland.

Anzeichen für Geschäftemacherei?

Der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg ist diese Diskussion nicht fremd: „Es hat bundesweit durchaus Fälle gegeben, in denen gewisse Begehrlichkeiten eine Rolle gespielt haben“, sagt die Vorstandsreferentin der KZV BW für Kieferorthopädie, Patricia Miersch. „Aber wir haben da im Südwesten ein sehr waches Auge darauf.“

Patricia Miersch arbeitet als niedergelassene Kieferorthopädin in Stuttgart und ist Vorstandsreferentin bei der KZBV. Foto: Miersch/privat

Grundsätzlich ist eine kieferorthopädische Behandlung sinnvoll, wenn es zu Kiefer- oder Zahnfehlstellungen im Kindesalter kommt. Schlimmstenfalls, so Miersch, könne es zu Beeinträchtigungen beim Sprechen, Atmen, Beißen oder Kauen kommen. Auch das Kiefergelenk selbst kann in Mitleidenschaft geraten und zu Schmerzen führen.

Meist beginnt die Behandlung mit neun Jahren

„In seltenen Fällen ist ein Therapiebeginn schon im Kindergartenalter notwendig“, sagt Miersch, die als niedergelassene Kieferorthopädin in Stuttgart arbeitet. Die Mehrzahl der Behandlungen startet mit dem 8. oder 9. Lebensjahr. Nämlich nach Beginn der zweiten Phase des Zahnwechsels. Hier sind Zahn- und Kieferfehlstellungen am besten zu korrigieren.

Verbraucherschützer bestätigen hierzulande keine gehäuften Beschwerdezahlen zum Thema kieferorthopädische Behandlungen. „In einigen Fällen ging es insbesondere um Verbraucherbeschwerden über eine unzureichende Kommunikation bei den Themen Kostenvoranschlag oder Therapiedauer“, sagt Peter Grieble, Leiter der Abteilung Versicherungen, Pflege, Gesundheit bei der Verbraucherzentrale im Land.

Peter Grieble leitet die Abteilung Versicherungen, Pflege und Gesundheit bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Foto: VZ Baden-Württemberg/Wolfram Scheible

Anzeichen für eine besondere Geschäftemacherei im Südwesten sieht er aber nicht. „Es dürften sozioökonomische Faktoren wie Einkommen und Vermögen eine große Rolle spielen“, sagt Grieble. Wichtig sei auch die Optik: „Es wird meines Erachtens gesellschaftlich mehr Wert auf ebenmäßige Zähne gelegt als noch vor 30 oder 40 Jahren.“

Gründe sind Gruppendruck und elterliche Fürsorge

Dass gerade bei den Jugendlichen eher die kosmetische Seite eine Rolle spielt, will die Kieferorthopädin Miersch gar nicht bestreiten: „Es ist schon so, dass ab einem gewissen Alter vor allem Mädchen sich an Fehlstellungen besonders stören und diese auch gerichtet haben wollen.“ Oft entstünde dies auch aus Gruppendruck und elterlicher Fürsorge. Bei Jungen stehe dies nicht so sehr in Vordergrund. „Allerdings ist es auch nicht so, dass sich die Behandlung allein daran orientiert, wer was gerne haben möchte“, sagt Miersch.

So teilt der Kieferorthopäde die Patienten je nach Schweregrad in fünf sogenannte kieferorthopädische Indikationsgruppen (KIG) ein. Die Kassen zahlen die Therapie bei gesetzlich Versicherten bis zum Alter von 18 Jahren ab KIG 3 bis 5, für leichte Fehlstellungen in den Klassen 1 und 2 müssen die Betroffenen selbst aufkommen. Neben den KIGs gebe es noch geregelte Vorgaben der Krankenkasse über die Art der Behandlung und deren Dauer. „Bestehen Zweifel am Sinn einer Behandlung, kann auch ein Gutachterverfahren eingeleitet werden“, so Miersch.

Eltern zahlen vierteljährlich einen Anteil der Behandlung

Die Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung, die meist drei bis vier Jahre dauert, beliefen sich im Durchschnitt auf 3600 Euro, erklärt Barmer Landeschef Plötze. Eltern zahlen vierteljährlich 20 Prozent des Kassenanteils, zehn Prozent ab zwei behandelten Kindern. Bescheinigt der Arzt einen erfolgreichen Abschluss, erstattet die Kasse den Eigenanteil. „Im Schnitt sind das bis zu 570 Euro“, sagt Plötze.

Die Kosten können allerdings steigen: „Inzwischen bietet die moderne Kieferorthopädie insbesondere bei der festen Zahnspange eine Vielzahl an Apparaturen, um die Behandlung komfortabler zu machen“, sagt Miersch. Diese kann der Patient selbst auf Wunsch oder auf Empfehlung des Behandlers auswählen. „Welche Zusatzleistungen dann zum Einsatz kommen wird schriftlich festgehalten“, sagt Miersch. Darin enthalten ist auch ein Kostenplan. Fest stehe: „Es darf kein Patient zu einer Behandlung über das Druckmittel der Zusatzleistungen gedrängt werden.“