Deutschlands Großmeister der politischen Wutrede: Der damalige SPD Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner bei einer Rede am 21. Dezember 1981 im Bundestag. Foto: Imago/photothek

Im heutigen weich gespülten deutschen Politik-Alltag fehlen große Choleriker wie Herbert Wehner, Franz-Josef Strauß oder Helmut Schmidt. Ein Jammer. Plädoyer für ein vergessenes Kapitel deutscher Parlamentsgeschichte.

Die Wutrede ist ein – leider etwas in Vergessenheit geratenes – qualifiziertes Mittel in der Politik. Für Choleriker ist der parlamentarische Schlagabtausch die perfekte Bühne. Im Stilblüten-Archiv des Bundestages sind Pöbel-Klassiker verewigt wie: Berufsrandalierer, Gangster, Galgenkandidat, Lackschuhpanther, Möchtegern-Schimanski, Nadelstreifen-Rocker, Petersilien-Guru, Putzlumpen, Massenmörder oder Giftspritze.

 

„Ein Scheiß haben unsere Politiker getan“

Waren das noch Zeiten, als Großmeister der Schimpfkunst wie Herbert Wehner, Franz Josef Strauß, Horst Ehmke, Helmut Schmidt oder Joschka Fischer maulten, schimpften und wüteten.

Mit 58 Ordnungsrufen ist der frühere SPD-Fraktionschef Herbert Wehner unerreichter Spitzenreiter. Hinter ihm landen Heinz Renner (KPD) mit 47 und Ottmar Schreiner (SPD) mit 40 Ordnungsrufen. Strauß (CSU) brachte es gerade mal auf eine offizielle Rüge.

The Best of Parade-TV-Choleriker Gernot Hassknecht

Wehner ist auch der Lieblingscholeriker von Kabarettist Hans-Joachim Heist. In der ZDF „heute-show“ gibt er den Schreihals Gernot Hassknecht.

Was die Fähigkeiten unserer Politikern angeht, hat Spießer Hassknecht so seine eigene Meinung: „Ein Scheiß haben unsere Politiker getan. Einen Scheiß“, brüllt er los. „Nichts hat sich geändert. Die Zockerschweine stapeln weiter ihre Kohle und lachen sich kaputt über uns blöden Schwachmaten.“ 

Herbert Wehner: „Waschen Sie sich erst einmal“

Psychologisch gesehen ist Wut eine impulsive und aggressive Reaktion auf eine als unangebracht empfundene Situation oder Bemerkung. Um Seelenkunde und öffentliche Empörung haben sich Wehner und Strauß nie gekümmert. „Hodentöter“ nannte der SPD-Zuchtmeister Herbert Wehner den CDU-Abgeordneten Jürgen Todenhöfer.

Jürgen Wohlrabe (CDU) redete Wehner als „Herr Übelkrähe“ an, und der Unionsmann Schneider war für Wehner der „Ehrab-Schneider“.“ Den CDU-Abgeordneten Heiner Möller provozierte er mit dem Satz: „Waschen Sie sich erst einmal! Sie sehen ungewaschen aus.“ Zwei Minuten später wieder: „Waschen Sie sich erst einmal!“

Den ehemaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, rhetorisch selbst wenig zimperlich, bezeichnete Wehner anerkennend als die „größte parlamentarische Haubitze aller Zeiten“. Ex-Kommunist Wehner ließ die Emotionen in seinen Reden gezielt hochkochen.

Seinen Lieblingsfeind CSU-Chef Strauß verglich er mit Joseph Goebbels. Der streitlustige Bajuware revanchierte sich mit Polemiken wie: „Bei Ihnen, Herr Wehner, ist das deshalb möglich, weil Sie Ihre Umwelt so zu behandeln pflegen, wie ostelbische Gutsbesitzer früher angeblich ihre Kutscher behandelt haben.“

Franz-Josef Strauß: „Genscher, der marokkanische Teppichhändler“

Über Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) grantelte „FJS“: „Der Genscher ist eine armenische Mischung aus marokkanischem Teppichhändler, türkischem Rosinenhändler, griechischem Schiffsmakler und jüdischem Geldverleiher und ein Sachse.“

Der CSU-Übervater war genauso wie der frühere SPD-Kanzler Helmut Schmidt (Spitzname: „Schmidt Schnauze“), sein Vorgänger Willy Brandt und Schmidts Nachfolger von der CDU, Helmut Kohl, für seine knüppelharte Rhetorik und geschliffenen Attacken auf den politischen Gegner bekannt. Einen Demonstranten auf einer Wahlkundgebung kanzelte Strauß ab: „Wenn’s schon kein Hirn haben, dann halten Sie’s Maul wenigstens. Dieses dämliche Gequatsche eines politisierenden Beatles!“

Joschka Fischer: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“

Legendär auch die bekannteste Entgleisung vom grünen Ex-Außenminister Joschka Fischer aus vorministerieller Zeit: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“, sagte er zu CSU-Bundestagspräsident Richard Stücklen.

Peer Steinbrück: „Völlig lose Kanone an Deck“

Auch Ex-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (SPD) hat sich mit seinem losen Mundwerk um die Gattung der Wutrede verdient gemacht. Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer nannte er „eine völlig lose Kanone an Deck. Der ändert seine Meinung viermal pro Tag.“

Kurt Beck: „ Können Sie mal das Maul halten“!

Erlesen auch die Auslassung des früheren rheinland-pfälzischen Landesvaters Kurt Beck (SPD). Bei einem Interview fauchte er einen Zwischenrufer an: „Können Sie mal das Maul halten einen Moment, einfach das Maul halten, wenn ich ein Interview mache!“

Steinmeier, Merkel und Schily

Nach Sigmund Freud, dem Vater der Psychoanalyse, resultiert die Wutrede aus dem angeborenen Aggressionstrieb des Menschen, der, wenn dieser Trieb unterdrückt wird, zu seelischen Störungen und Charakterschwäche führt. Doch ausgerechnet die Stillen im Lande ernten Anerkennung und Lob, wenn sie ausrasten.

Wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der im Mai 2014 bei einer Rede auf dem Berliner Alexanderplatz gegen Pöbler wütend zurückkeilte. Unvorstellbar, dass Kanzlerin Angela Merkel Journalisten als „Schmeißfliege“ beschimpft wie weiland Franz Josef Strauß. Der für seine reizbare Stimmung bekannte frühere Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) soll sogar mit Schreibutensilien und Aktenordnern um sich geschmissen haben.

Giovanni Trapattoni: Die Mutter aller Wutreden

Ist die Wutrede bei Politikern noch geduldet, wird sie von Fußball-Trainern geradezu erwartet. Am 10. März 1998 hielt Giovanni Trapattoni die Mutter aller Wutreden. Das sinnfreie Gestammel des Trainers vom FC Bayern München gehört zu berühmtesten Ausrastern der deutschen Fußball-Geschichte: „Ich habe fertig.“„Was erlaube Struuunz.“ „In diese Spiel es waren zwei, drei oder vier Spieler, die waren schwach wie eine Flasche leer.“ „Ein Trainer sehen was passieren in Platz.“

Rudi Völler: „Das ist das Allerletzte“

In Rage geriet 2003 auch der damalige DFB-Teamchef Rudi Völler: „Ich kann diesen Käse nicht mehr hören nach jedem Spiel . . . Das ist das Allerletzte“, polterte er vor laufenden Kameras. Moderator Waldemar („Weizen-Waldi“) Hartmann bescheinigte er: „Du sitzt hier locker auf deinem Stuhl, hast drei Weizenbier getrunken und bist schön locker.“

Bruno Labbadia: „Am Arsch geleckt!“

VfB Stuttgart-Coach Bruno Labbadia ließ sich 2012 nach einem 2:2 gegen Bayer Leverkusen während einer Pressekonferenz zu einer Wutrede hinreißen: „Ich kann gewisse Dinge nicht akzeptieren, wenn der Trainer wie der letzte Depp dargestellt wird, als hätte er gar keine Ahnung . . . Am Arsch geleckt! Das Fass ist absolut voll.“

Uli Hoeneß: „Populistisches Scheiß!“

Der einst wegen Steuerhinterziehung in der JVA Landsberg einsitzende Ex-Bayern-Chef Uli Hoeneß ist ebenfalls nicht als Leisetreter bekannt. Bei der Hauptversammlung des FC Bayern im November 2007 redete er sich mit hochroten Kopf in Rage, als Fans sich über schlechte Stimmung auf den Rängen der Allianz-Arena beschwerten. Ihre Kritik kanzelte er als „populistischen Scheiß“ ab: „Die Scheißstimmung, für die seid ihr doch zuständig und nicht wir. Es kann nicht sein, dass wir uns jahrelang den Arsch aufreißen und dann so kritisiert werden. Was glaubt ihr denn, wer ihr seid?“

Klaus Kinski: „Du dumme Sau!“

Auch Mimen können wüten. Schauspieler Klaus Kinski beschimpfte 1971 bei einem Rezitationsabend einen Zuschauer, der auf die Bühne kletterte als „Du dumme Sau!“ Auch Jesus habe Störenfriede mit einer Peitsche traktiert und ihnen in die Fresse gehauen!, schrie der auf die Darstellung psychopathischer Charaktere spezialisierte Kinski.

Aristoteles: Wem der Zorn fehlt, dem fehlt auch die Selbstachtung

Heute werden politische Kontroversen im Parlament, Talkshows und in der Öffentlichkeit diszipliniert und kontrolliert ausgetragen. Bloß nicht zu viele Affekte zeigen. Dabei kann so ein gepflegter Wutausbruch richtig gut tun. Auch Trapattoni verließ nach seinem legendären „Ich habe fertig“ mit stolzgeschwelter Brust den Raum.

Schon der antike griechische Philosoph Aristoteles wusste: Wem der Zorn fehlt, dem fehlt auch die Selbstachtung. Wer jede Beleidigung, jeden Zwischenruf, jede bittere Pille schluckt, wird zum willkommenen Opfer für Spott und Häme.