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Es klingt wie im Märchen: Nach der Insolvenz im Februar hagelte es nicht nur Glückwünsche, auch Aufträge und Kunden kehren zurück. Ein Treffen mit den Rettern von Junghans.

Schramberg - Es klingt wie im Märchen: Im Februar haben die Schramberger Unternehmer - Hans-Jochem Steim und sein Sohn Hannes - den Uhrenhersteller Junghans aus der Insolvenz übernommen. Danach hagelte es nicht nur Glückwünsche, auch Aufträge und Kunden kehren zurück. Ein Treffen mit den Rettern von Junghans.

Steil geht es abwärts nach Schramberg. Das Städtchen ist von Hügeln umgeben - daher der Name Fünftälerstadt. Hans-Jochem Steim steuert sein Auto geschickt durch die schmalen Gassen -durch den Industriepark, vorbei am Dieselmuseum und dem einstigen Stammhaus von Junghans. Einen Stopp bei der privaten Autosammlung Steim - das Lieblingskind von Vater und Sohn. Hier stehen rund 100 Oldtimer. "Das ist ein Junghans-Geschwindigkeitsmesser von 1911", sagt Steim und zeigt auf den Tacho eines Mercedes von 1927. "Wussten Sie, dass Junghans mal Tachos hergestellt hat?", fragt er und ist ganz in seinem Element, ehe es weiter zur Uhrenmanufaktur geht.

Der 66-Jährige ist in Schramberg geboren, hier verwurzelt und ein richtiges Energiebündel. Deshalb hat er auch nicht lange gezögert, als vergangenen Herbst der Oberbürgermeister mit der Frage auf ihn zukam, ob er sich nicht vorstellen könne, Junghans zu übernehmen. Interessenten gab es genug - auch solche, die für viel Geld nur an der Marke, nicht aber an den Arbeitsplätzen interessiert waren. Dass womöglich Chinesen zum Zug gekommen wären - Steim will gar nicht daran denken. Er schließt die Türen zur Uhrensammlung im nahe gelegenen Gebäude auf. Fast 5000 Uhren - auch Uhrwerke und Wecker - lagern hier in Regalen und dokumentieren Junghans-Geschichte. "Alles Teil der Insolvenzmasse", sagt Steim. Man stelle sich vor, das wäre nach Asien gegangen. Nicht alle Stücke sind wertvoll, aber eben doch Schramberger Firmengeschichte.

In Glanzzeiten waren es 3000 Mitarbeiter

"Vielleicht verstehen Sie jetzt", fügt er hinzu. "Junghans ist Schramberg und Schramberg ist Junghans", wird er später sagen, wenn die Fahrt durch den Stadtpark vorbei an der Villa Junghans geht. In Glanzzeiten beschäftigte der weltgrößte Uhrenhersteller 3000 Mitarbeiter - heute sind es etwas mehr als 80. Im September 2008 musste Junghans Insolvenz anmelden, weil der Mutterkonzern Egana-Goldpfeil pleite war. Für den Neustart von Junghans nach der Insolvenz mussten 30 Mitarbeiter in eine Qualifizierungsgesellschaft wechseln.

Steim spricht von Verantwortung, Tradition und Emotionen. Er hat keine Starallüren, ist freundlich, grüßt seine Mitmenschen, ist einer, dem man die Millionen nicht ansieht. Haben muss er welche, denn er räumt ein: "Wenn jemand Junghans für Schramberg halten konnte, dann wohl wir." Die Familie stemmte den Kauf aus Eigenmitteln - lediglich für das Umlaufvermögen hat man Bankkredite in Anspruch genommen. Heute gehören Steim zwei Drittel des Uhrenherstellers, seinem Sohn Hannes ein Drittel.

"Der Kauf ist für uns keine Eroberung oder Trophäe, sondern die Verpflichtung, Erfolg zu haben,", sagt Steim senior mit ernster Stimme. Junghans zu kaufen sei leichter gewesen, als etwas daraus zu machen. Dem Mann nimmt man sein Verantwortungsgefühl ab. Er ist Ehrenbürger der Stadt, saß jahrelang in Kommunalparlamenten und im Stuttgarter Landtag. Er ist kein Provinzler, hat viel von der Welt gesehen, war mehrere Jahre in den USA, hat in China Fabriken aufgebaut und rückte später an die Spitze des Familienunternehmens Kern-Liebers in Schramberg. Er will den Leuten auch dort später noch ins Gesicht schauen können.

Sein Sohn tickt ähnlich: "Wir sind uns bewusst, dass Junghans uns nicht die Taschen füllt, sondern dass das Geld reinvestiert werden muss", sagt der 31-Jährige. In zwei Jahren feiert die Firma 150-Jahr-Jubiläum und da müsse schon heute geplant und in neue Modelle investiert werden. In der Manufaktur, wo ein Uhrmachermeister gerade in Handarbeit winzigste Gravurstriche zieht, streicht er über eine Fliegeruhr, die bald auf den Markt kommt. Die will er sich auf jeden Fall kaufen, schwärmt er von dem Stück.

Steim ist hart, aber fair

Manchmal muss er noch den Kopf schütteln, weil er noch nicht richtig registriert hat, was im letzten halben Jahr alles passiert ist. "Da ist eine Lawine ins Rollen gekommen", beschreibt Steim junior die Tage und Wochen nach der Übernahme von Junghans - unzählige Anfragen, E-Mails und Telefonate. Viele suchten den Kontakt zu den neuen Eigentümern. Kumpels beglückwünschten ihn, selbst an Fastnacht bei der legendären Da-Bach-na-Fahrt war die Junghans-Rettung ein Thema. In dem 22.000-Einwohner-Städtchen war die Freude groß - auch bei der IG Metall. Die kennen den Unternehmer Steim als harten, aber fairen und verlässlichen Verhandlungspartner.

Hans-Jochem Steim ist Chef und Miteigentümer der Kern-Liebers-Gruppe im Stadtteil Sulgen, sein Sohn Geschäftsführer bei der Tochterfirma Carl Haas, die unter anderem Federn für die Uhrenindustrie liefert und früher auch Junghans als Kunden hatte. Die Kern-Liebers-Gruppe mit rund 5000 Beschäftigten machte letztes Jahr 470 Millionen Euro Umsatz. Das Familienunternehmen ist fast so alt wie Junghans und einer der heimlichen Weltmarktführer, dessen Produkte viele nicht kennen, obwohl fast jeder schon damit in Kontakt gekommen ist.

Kern-Liebers ist weltgrößter Hersteller von Aufrollfedern für Sicherheitsgurte und hat hier mehr als 50 Prozent Marktanteil. Auch in Hörgeräten stecken Minifedern drin - ein Gramm Draht ergibt etwa 6000 davon. Doch damit nicht genug: Hundeleinen oder Staubsauger mit Kabelaufrollern enthalten Federn des Unternehmens, auch in Dieseleinspritzsystemen stecken sie. Im vergangenen Jahr hat Kern-Liebers rund 175 Millionen Federn produziert, dieses Jahr wird die Zahl wohl auf 130 Millionen schrumpfen. Auch ist jede dritte Feinstrumpfhose auf der Welt mit Platinen von Kern-Liebers gestrickt.

Das Unternehmen, das rund 60 Prozent des Umsatzes mit der Autoindustrie macht, leidet wie andere auch unter der Wirtschaftskrise. Befristete Jobs wurden bereits abgebaut. Kurzarbeit ist angesagt, denn die Auftragseinbrüche summieren sich auf rund 30 Prozent. Wohl deshalb waren auch manche Banken nicht über sein finanzielles Engagement bei Junghans erfreut, vermutet Steim. Doch die neuen Eigentümer des Uhrenherstellers glauben an eine Erfolgsgeschichte - auch wenn der Weg noch weit ist. Ihren Einstieg haben sie nicht bereut. Junghans sei eine Perle, die man zum Glänzen bringen müsse. Freilich spürt auch der Uhrenhersteller die Krise. "Was uns in die Hände spielt, sind Tradition, Werte und die Strahlkraft der Marke", sagt Steim junior. Dieses Jahr, schätzt er, dürfte Junghans sogar schwarze Zahlen schreiben.

Ein urdeutsches Unternehmen

Doch verstehen die neuen Eigentümer überhaupt etwas von Uhren? "Der Uhrensachverstand fehlt uns", räumen beide Steims ein. Dafür haben sie die beiden Junghans-Geschäftsführer Werner Wicklein, ein Branchenkenner, und Matthias Stotz, Uhrmachermeister in vierter Generation. "Der lebt und strahlt die Uhr aus", sagt Steim senior lachend. Seit Februar konnte man 45 Neukunden an Land ziehen - Fachhändler, die künftig auf Junghans setzen. Erfreulich ist auch der Auftragseingang - 30 Prozent plus im Inland, freut sich Wicklein. Im Ausland sieht er noch Nachholbedarf. Für ihn sind die Steims die Wunschlösung. Und Stotz setzt noch eins drauf: "Jetzt sind wir wieder ein urdeutsches Unternehmen mit nachvollziehbaren Gesellschaftern, vorher gehörten wir zu einem Lifestyle-Konzern", meint er mit Blick auf Egana-Goldpfeil.

Der Konzern hat zwar investiert, das Sortiment angehoben und die Fabrik modernisiert, doch der Atem war zu kurz. Zuletzt wurden noch 35000 Uhren pro Jahr hergestellt, der Umsatz lag bei 13 Millionen Euro. Die Marke Junghans - mit Funk-, Quarz- und Mechanikuhren - will sich auf Einstiegs- und Mittelpreislagen konzentrieren. Daneben setzt man auf klassische Uhrmacher-Kunst und knüpft mit der Premiummarke Ehrhard Junghans - sie trägt den Namen des Firmengründers - an die Schramberger Uhrmachertradition an. Damit will man in der oberen Preisklasse mitmischen und als eine der feinen Uhrenmanufakturen wahrgenommen werden. Insgesamt variieren die Preise quer durchs Uhrensortiment von 299 bis rund 15.000 Euro.

Prominente Träger gibt es auch: Papst Benedikt XVI. jedenfalls hat eine Junghans-Uhr, verrät Steim - eine Erhard Junghans Tempus Automatic, ein Gastgeschenk des CDU-Politikers Volker Kauder. "Wenn man sieht, wie Junghans anspringt, geht einem das Herz auf", freut sich Steim über neue Aufträge. Mittlerweile gibt es bei Junghans auch Überlegungen, in die Produktion von Uhrwerken einzusteigen. Die Federn könnten die Steims liefern.