Das irische Kuratorenteam Gerard Byrne und Judith Wilkinson hat am Württembergischen Kunstverein einen neuen Blick auf Samuel Becketts Fernsehstücke inszeniert
Zwischen 1966 und 1985 produzierte Samuel Beckett mit dem Süddeutschen Rundfunk Stuttgart eine Reihe von Fernsehspielen, die damals wie heute fesseln, irritieren: Unwirkliche Szenen, die isolierte Menschen zeigen, existenzielle Themen behandeln, Schuld, Erinnerung, Vergänglichkeit, in einer reduzierten, sehr eindringlichen Formensprache. Der Württembergische Kunstverein Stuttgart wirft nun einen neuen Blick auf diese Fernsehstücke, präsentiert sie in einem neuen Kontext. Am Freitagabend eröffnete die Ausstellung „Über Fernsehen, Beckett.“, kuratiert von Gerard Byrne und Judith Wilkinson.
Vier Kabinen, in denen die Filme zu sehen sind
Byrne und Wilkinson stammen aus Irland; beide beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Samuel Becketts Werk, tauschen sich schon seit 2006 dazu aus. Gerard Byrne ist Professor für Film an der Städelschule Frankfurt, war, als Künstler, beteiligt an der 13. Documenta sowie der 52. und 54. Biennale Venedig. Judith Wilkinson ist Kunsthistorikerin, arbeitet für die Tate Gallery in London, bereitet die Veröffentlichung eines Buchs über Beckett vor.
Die Ausstellung „Über Fernsehen, Beckett.“ besteht im Wesentlichen aus vier Kabinen, die im Zentrum des Ausstellungsraumes aufgebaut sind und in denen Becketts Fernsehfilme gezeigt werden. Die Folge der Fernsehspiele in den unterschiedlichen Kabinen endet jeweils mit der gleichen Sequenz, den Stücken „Quadrat I+II“, der einzigen Arbeit mit musikalischer Begleitung: Vier Figuren in langen, farbigen Gewändern schreiten ein Quadrat ab, rasend schnell zuerst, mechanisch. Der zweite Teil des Fernsehspiels zeigt die selben Figuren nur, so Beckett, „zehntausend Jahre später“, grau, tonlos, schlürfend.
Becketts Protagonisten in Lebensgröße
Becketts Fernsehspiele werden in den Kabinen auf Leinwände projiziert – ein frappierender Effekt: Ihre Protagonisten, jene stummen, gequälten, in sich gekehrten Figuren, treten den Zuschauer in Lebensgröße gegenüber; die grauen, unwirklichen Interieurs, in die Beckett sie stellte, werden zu Räumen, die sich öffnen. „Es ist ein Transfer von einem Broadcasting-Format, das in die privaten Räume der Fernsehzuschauer gesendet wurde, zur Projektion in einem Ausstellungsraum“, sagt Hans D. Christ, der den Württembergischen Kunstverein gemeinsam mit Iris Dressler leitet.
„Film“ derweil, ein Kinofilm, der 1965 entstand, als vorletzter Film, an dem Buster Keaton mitwirkte, ein Star-Komiker der Stummfilmzeit, wird in der Ausstellung auf einem Fernsehbildschirm gezeigt. Andere Bildschirme zeigen Sendungen des deutschen Fernsehens aus jener Zeit, in der Becketts Stücke ausgestrahlt wurden, schaffen so zeitgeschichtlichen Kontext: „Geistertrio“ und „...nur noch Gewölk...“ entstanden 1977, wenige Wochen nach der Ermordung Hanns-Martin Schleyers und den Selbstmorden in Stammheim. „Mir gefallen diese Kontraste“, sagt Gerard Byrne. „Man erlebt so den Charakter des Fernsehens, das ja ein fast unkuratiertes Medium war, in dem sich alles vermischen durfte.“
Zuschauer werden Teil des Beckett-Spiels
Am Tag vor der Eröffnung ist Gerard Byrne damit beschäftigt, die Präsentation von Bildern aus den Archiven des SWR einzurichten: Ein Fries, bedruckt mit Aufnahmen von Dokumenten, Skripts, Fotografien, die während den Dreharbeiten mit Beckett entstanden, zieht sich als schmales Band über die Wände des quadratischen Ausstellungsraums. Byrne hat ausgewählt aus gut 1200 Motiven; er bringt nun Rahmen unterschiedlicher Größe aus dem Fundus des Kunstvereins an, akzentuiert so einzelne Passagen, stellt Dynamiken her: Ein flackernder Ring aus Bildern legt sich ums Zentrum der Ausstellung.
Bei der Eröffnung der Ausstellung wird der Großteil des Raums im Halbdunkel liegen: Willkommen in einer Welt des Dämmerns, der blassen Konturen. Die nach außen gewandten Seiten der Filmkabinen wurden nicht gestrichen, stehen roh, sollen erinnern an ein Filmset. Jene Flächen aber, mit denen die Kabinen aneinander grenzen, sind in feinen Grautönen gehalten, bilden annähernd ein Quadrat: Hier werden die Besucher der Ausstellung umhergehen, als seien sie selbst Darsteller eines Beckett-Spiels; hier werden sich auch eine Sitzbank, ein Bett finden, so wie sie in den Filmen erscheinen.
Becketts Fernsehspiele fordern
„Über Fernsehen, Beckett.“ ist eine Ausstellung, die Samuel Becketts Fernseharbeiten in ihrer ursprünglichen Form präsentiert, und die dennoch Verschiebungen vornimmt, implizit Fragen zum Medium Fernsehen und seiner Veränderung in den vergangenen 40 Jahren stellt. Der Württembergische Kunstverein wird für die Dauer der Ausstellung zu einem Ort des Verweilens und Betrachtens, an dem es keine Möglichkeit gibt, den Sender zu wechseln, zur nächsten Szene zu springen. Becketts Fernsehspiele fordern, strengen an mit ihrem Verzicht auf Dialog, auf konventionelle Handlungsstrukturen. Sie wollen ausgehalten werden, wenn sie erzählen von Einsamkeit, Tod, oder, so wie bei „He Joe“ von sexueller Gewalt und Suizid.
Gerard Byrne und Judith Wilkinson sind sehr zufrieden mit den Arbeitsbedingungen, die sie in Stuttgart vorfanden, mit der Unterstützung, die sie durch den Württembergischen Kunstverein erfuhren. Dass Beckett seine Fernsehspiele in dieser Stadt inszenierte, erscheint den Kuratoren nach wie vor stimmig, denn das Nichts in der Neckarstraße, über das Samuel Beckett ein bekanntes Gedicht schrieb, ist – Judith Wilkinson hat nachgeschaut – noch immer unvergleichlich, und das Grau der Stadt harmoniert mit seiner tief pessimistischen, aber poetischen Weltsicht.
Die Ausstellung in Stuttgart
Dichter
Samuel Beckett wurde 1906 in Dublin geboren und starb 1989 in Paris. 1969 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. „Warten auf Godot“ gilt als wichtigstes Theaterstück des 20. Jahrhunderts. Ein erstes Fernsehspiel nach einem Text von Beckett wurde 1965 von der BBC gedreht. 1966 kam Beckett, durch Vermittlung des Kunsthistorikers Werner Spies, mit dem damaligen SDR Stuttgart in Kontakt (heute SWR); es entstand eine Reihe von Fernsehspielen, deren Dreharbeiten eng vom Autor begleitet wurden.
Schau
Die Ausstellung „Über Fernsehen, Beckett.“ präsentiert diese Fernsehspiele bis zum 12. Januar 2025 im Württembergischen Kunstverein: „He Joe“ (1966), „Geistertrio“ (1977), „…nur noch Gewölk…“ (1977), „Quadrat I+II“ (1981), „Nacht und Träume“ (1982), „Was, Wo“ (1985), sowie die BBC-Produktion „Not I“ (1975) und den Spielfilm „Film“ (1965).