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Wenn das Wetter weiter mitspielt, erwarten die Stuttgarter Wengerter einen guten Jahrgang – Lese beginnt Ende September.

Stuttgart - Trollinger-Trauben mit 60 Grad Öchsle, Lemberger gar mit 82, und der Riesling steht Anfang September schon bei 78 Grad Öchsle. Stolze Zahlen, die den Weinkenner in Vorfreude auf einen guten Tropfen mit der Zunge schnalzen lassen. Die Öchslewerte haben nur einen Fehler: Sie stammen aus dem Vorjahr. Zu Beginn des Weinherbstes 2012 liegt der Zuckergehalt der Trauben bei allen Sorten um etwa zehn Grad unter dem von 2011. Reicht’s deshalb in diesem Jahr nur für Weine der Marke Bahndamm Nordseite, flach und sauer?

Jürgen Off, der Kellermeister der Weinmanufaktur Untertürkheim mit ihren 100 Hektar Rebfläche, schmunzelt bei dieser Vorstellung. Dass die Trauben in diesem Herbst später reif werden als 2011, sei ausgezeichnet. Die derzeit großen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht sorgen nämlich dafür, dass die einzelnen Rebsorten ihre ganz speziellen Aromen besser entfalten können. Zusätzlich garantieren die Witterungsverhältnisse, dass die Säure in den Trauben nicht wie im Vorjahr zu schnell abgebaut wird. Zudem freut sich Off über einen optimalen Gesundheitszustand der Trauben in den Weinbergen von Ober- und Untertürkheim. Sogar der sonst übliche Wespenfraß, der die kugeligen Früchte anfällig für Fäulnis macht, sei derzeit nicht zu beobachten.

Es ist an einigen Stellen zu trocken

Also alles klar in den 400 Hektar Stuttgarter Weinbergen? Nicht ganz. Eine kleine Sorge treibt Jürgen Off doch noch um. „Manchen Lagen und Sorten fehlt das Wasser für eine optimale Reife“, stellt der Kellermeister fest. Keine Sorge macht sich Off in dieser Beziehung um den Lemberger und den Spätburgunder. Diese Sorten stammen aus südlichen Gefilden und seien Trockenheit gewöhnt. Anders sieht es bei dem großbeerigen Trollinger aus. Der könnte laut Off durchaus etwas Nässe von oben vertragen, um sich voll zu entfalten. Vor allem sei dort Regen nötig, wo der Trollinger nicht auf tiefgründigen Böden wächst – beispielsweise rund um den Mönchsberg.

Zufrieden blickt auch Manfred Wipfler, der Kellermeister der Remstalkellerei, auf die 700 Hektar Weinberge zwischen Waiblingen und Schorndorf. Die gemessenen Öchslegrade der Trauben entsprechen einem durchschnittlichen Weinjahrgang. 2011 habe die Lese nur deshalb sehr früh (10. September) beginnen können, weil durch das schöne Frühjahr die Reben extrem früh geblüht hätten. Die Vegetationsphase von 100 Tagen zwischen Blüte und Traubenreife sei 2011 deshalb schon Mitte September abgeschlossen gewesen.

2010 und 2011 haben Hagel und Frost die Ernte verdorben

Alles in allem liegt für Wipfler der Jahrgang 2012 Anfang September im grünen Bereich. Treffen die Prognosen der Wetterdienste zu, bleibt es zumindest bis Ende dieser Woche bei einer Hochdrucklage. Der Kellermeister aus Weinstadt wagt deshalb schon einen vorsichtigen Ausblick auf die Qualität und die Menge des neuen Jahrgangs. Wipfler geht davon aus, dass bei beiden Kriterien die Werte vom ausgezeichneten Jahrgang 2009 erreicht werden. Von dem gibt’s bei der Remstalkellerei laut Wipfler noch „klasse Sachen“.

Zurückhaltender als der Weinstadter gibt sich Werner Bader, der Geschäftsführer des Württembergischen Weinbauverbands. Er hält es mit der Devise, dass sich ein Weinjahrgang erst bewerten lasse, wenn er im Keller liege. Bei der im 10 000 Hektar großen Verbandsgebiet zu erwartenden Erntemenge lehnen sich Bader und Verbandspräsident Hermann Hohl allerdings weiter aus dem Fenster. Beide gehen davon aus, dass die württembergischen Wengerter 2012 wieder eine normale Erntemenge einfahren können. Normal sind rund 1,2 Millionen Liter Wein. Davon waren die Württemberger 2010 und 2011 weit entfernt. Hagel und Frost haben dafür gesorgt, dass es in manchen Gegenden zu Totalausfällen gekommen ist und die Erntemenge in beiden Jahren deutlich unter eine Million Liter gesunken ist. Insbesondere, so Bader, sei durch die Ausfälle der Weißwein knapp geworden.

Feuchtwarme Witterung wäre jetzt fatal

Bader, Off und Wipfler sind sich jedoch in einem einig: Alles, was der württembergische Weinbau jetzt nicht brauchen könne, sei eine feuchtwarme Witterung. Sie setze im Weinberg den Fäulnisprozess bei den Trauben in Gang, der zu einer schnellen Ernte zwinge. Deshalb gelte es ab jetzt bis zum Ende der Lese (Mitte Oktober) die Daumen zu drücken. „Es fängt langsam an, spannend zu werden“, meint Wipfler.

Abseits von Qualität und Erntemenge beschäftigt die Wengerter noch ein weiteres Thema: der Diebstahl von Trauben aus den Weinbergen. Der letzte spektakuläre Fall auf Stuttgarter Gemarkung datiert aus dem Jahr 2009. Ende Oktober klauten unterm Rotenberg unbekannte Diebe rund 1500 Kilo Trollingertrauben. Weil die Weinberge zur Erntezeit nicht mehr abgesperrt werden dürfen, hat der Stuttgarter Vollzugsdienst seit 2006 seine Weinbergstreifen erhöht. Spaziergänger, die hin und wieder eine reife Traube naschen, müssen sich allerdings vor einer Verfolgung nicht fürchten. „Das Probieren ist doch eine Werbung für unseren Wein“, sagt Kellermeister Off – und stellt den Traubennaschern einen Freibrief aus.